Stand: 03.12.2025 19:37 Uhr
Menschen mit Behinderung haben es am Arbeitsmarkt schwer. Viele arbeiten in Werkstätten und verdienen dort deutlich weniger als Mindestlohn. Eine Mutter will das nicht mehr hinnehmen.
Wenn Ingrid Kniep mit ihrem Sohn Philipp über Geld spricht, sorgt das oft für Frust. Der 29-Jährige ist geistig beeinträchtigt und arbeitet in Braunschweig bei der Lebenshilfe. An fünf Tagen pro Woche liefert er Mittagessen an Kindergärten und Altenheime, bekommt dafür am Ende des Monats jedoch nur 345 Euro ausgezahlt. Manchmal frage Philipp seine Mutter, weshalb er so wenig verdiene und sie so viel, erzählt Ingrid Kniep. Es fiele ihr dann schwer, ihrem Sohn zu erklären, dass er trotz Vollzeitjob von der Grundsicherung leben müsse.
Da Philipp seit drei Jahren wieder bei seiner Mutter wohnt und nicht mehr in einer Einrichtung für behinderte Menschen, komme er mit dem Geld zurecht. Dennoch würde er sich laut Ingrid Kniep mehr wünschen. Dabei ist er mit den rund 1.100 Euro, die er dank Gehalt, Grundsicherung und Kindergeld monatlich zur Verfügung hat, schon fast als Großverdiener zu bezeichnen – zumindest unter den Menschen, die in einer sogenannten Werkstatt für behinderte Menschen arbeiten.
Werkstätten sind weit von Mindestlohn entfernt
Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. arbeiteten im Jahr 2024 rund 300.000 Menschen in einer solchen Werkstatt. Drei Viertel davon haben eine geistige Behinderung, so wie Philipp Kniep. Werkstätten gelten nicht als klassische Arbeitsbetriebe. Dadurch sind sie nicht verpflichtet, den gesetzlichen Mindestlohn von derzeit 12,82 Euro pro Stunde zu zahlen.
Tatsächlich verdienen viele Beschäftigte dort nur einen Bruchteil davon, im Durchschnitt 232 Euro pro Monat. Das finden sie nicht gerecht. In Hamburg und Hannover haben im letzten Jahr mehrere Tausend Werkstatt-Beschäftigte für eine bessere Bezahlung demonstriert. Auch Ingrid Kniep fordert, entweder die Grundsicherung für Menschen mit Behinderung so aufzustocken, dass sie gut davon leben könnten, oder den Mindestlohn auch in Werkstätten einzuführen. Letzteres befürworten auch der Sozialverband und die Lebenshilfe.
Unternehmen zahlen lieber Strafe, als Menschen mit Behinderung einzustellen
Eigentlich sollen die mehr als 700 Werkstätten in Deutschland auch nur eine Zwischenstation für die Beschäftigten sein und sie auf eine Tätigkeit im allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereiten. Doch der Einstieg sei schwer, berichtet Ingrid Kniep. Einmal habe ihr Sohn die Möglichkeit auf ein Praktikum bei einem Unternehmen gehabt. Sie sei begeistert gewesen, bis sie erfahren habe, dass das Praktikum ein Jahr dauern und komplett unbezahlt sein sollte. Daraufhin habe sie das Angebot abgelehnt.
Ingrid Kniep kritisiert, dass viele Unternehmen lieber eine Strafe in Kauf nähmen, als einen Menschen mit Behinderung einzustellen. Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitenden sind gesetzlich dazu verpflichtet, mindestens fünf Prozent ihrer Stellen mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Im Jahr 2024 verstießen fast zwei Drittel der Unternehmen gegen diese Vorgabe, wie das aktuelle Inklusionsbarometer Arbeit der Aktion Mensch und des Handelsblatt Research Institutes zeigt.
Dem Bericht zufolge hat sich die Arbeitsmarktlage für Menschen mit Behinderung verschlechtert; nur knapp die Hälfte derjenigen, die für einen Job zur Verfügung stünden, hatten 2024 einen Arbeitsplatz. Die Arbeitslosenquote bei Menschen mit Behinderung ist mit knapp zwölf Prozent doppelt so hoch wie die allgemeine Arbeitslosenquote.
Mutter fordert Geduld und Chancen
Aber wie soll sich daran etwas ändern? Unternehmen dazu zu zwingen, Menschen mit Behinderung einzustellen, hält Ingrid Kniep nicht für den richtigen Weg. Ihrer Meinung nach müsse die Politik Anreize schaffen und Unternehmen fördern, die Menschen wie ihrem Sohn eine Chance geben. Ihr ist bewusst, dass die Einarbeitung länger dauern werde. Dennoch ist sie überzeugt, es werde sich immer lohnen, Geduld mit einem behinderten Menschen zu haben.
Ihrer Ansicht nach können Menschen mit und ohne Behinderung viel voneinander lernen, das merke sie im Zusammenleben mit ihrem Sohn. Sie hofft, dass Philipp irgendwann eine Stelle im IT-Bereich findet. Er sei technisch begabt, habe erst kürzlich ihr neues Handy eingerichtet. Bis es so weit ist, will Ingrid Kniep dafür kämpfen, dass ihr Sohn und viele andere Menschen mit Behinderung angemessen bezahlt werden.








