Handwerk in Deutschland Lukrativer Wirtschaftszweig mit Sorgen
Stand: 05.12.2025 15:16 Uhr
Handwerk hat goldenen Boden – doch dieses Sprichwort stammt noch aus Zeiten, in denen die Branche nicht mit so vielen Problemen zu kämpfen hatte. Wo es überall hakt.
Der Deutsche Handwerkstag wird als Gipfel des organisierten Handwerks betrachtet. In Frankfurt am Main kommen anderthalb Tage lang etwa dreihundert Funktionäre aus Handwerkskammern und Verbänden für Gremiensitzungen und eine Vollversammlung zusammen. Die wesentlichen Diskussionen und Entscheidungen sind zuvor abgestimmt. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) Jörg Dittrich wurde im Amt bestätigt.
Bis auf ein politisches Forum und eine Schlussfeier tagt der Deutsche Handwerkstag unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Verhältnisse in den Organisationen des Handwerks sind schwer zu durchschauen. Die Satzung des ZDH ist nur in den Akten des Vereinsregisters Berlin einsehbar.
Geringes Interesse von Spitzenpolitikern
Der politische Schwung der Handwerksorganisationen ist deutlich geringer als beispielsweise der von Industrie oder Landwirtschaft. Laut einzelnen veröffentlichten Programmpunkten treten aus der Bundespolitik nur Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) und eine Parlamentarische Staatssekretärin des Wirtschaftsministeriums auf. Boris Rhein (CDU) als Ministerpräsident des Gastgeberlandes Hessen spricht bei der Schlussfeier.
Zwei Verbände, ein Präsident
Hinter dem ZDH stehen zwei Verbände. Es sind der Unternehmerverband Deutsches Handwerk und der Deutsche Handwerkskammertag, ein Zusammenschluss der regionalen Handwerkskammern. Beiden Verbänden steht ebenfalls ZDH-Präsident Dittrich vor, der damit den inoffiziellen Titel „Handwerkspräsident“ führt.
Dittrich führt in vierter Generation eine Dachdeckerunternehmensgruppe in Sachsen mit Niederlassung in Berlin. Das Familienunternehmen überlebte als kleiner Privatbetrieb die DDR und blühte in der Bundesrepublik auf. Dittrich ist Dachdeckermeister und schloss ein Fachhochschulstudium ab.
Einen an der Technischen Uni in Kosice in der Slowakei erworbenen Doktorgrad nutzt er nicht mehr. Der Titel wird aber weiter in seiner Biografie auf seiner Unternehmenshomepage genannt. Zudem ist Dittrich Honorarkonsul von Ungarn.
Verhältnis zur AfD
Der Präsident der Handwerkskammer Dresden wurde vor drei Jahren als erster Ostdeutscher zum ZDH-Präsidenten gewählt. Nach einem Bericht des Handelsblatts fiel seine Heimatkammer gelegentlich durch Nähe zur AfD auf. Deren Vorsitzender Tino Chrupalla ist Malermeister im Kammerbezirk.
Ende November wurde der Verband der Familienunternehmen kritisiert, weil er auch Gespräche mit AfD-Abgeordneten führte. Handwerkspräsident Dittrich kommentierte, es sei nicht „Aufgabe von Wirtschaftsvertretern, über politische Brandmauern zu entscheiden“. Das Handwerk müsse schauen: „Wer steht für die Wirtschaft? Wir haben zu brandmarken, wenn Populismus der Wirtschaft schaden“, sagte Dittrich.
Wer übernimmt den Betrieb?
In der Geschäftsführung der Unternehmen von Handwerkspräsident Dittrich arbeitet bereits die nächste Generation der Familie. Bei zahlreichen anderen Handwerksbetrieben ist es anders: Es gibt keine Nachfolger oder Nachfolgerinnen aus der eigenen Kinderschar mehr. Organisationen des Handwerks klagen über das Problem.
Doch Beobachterinnen und Beobachter geben zu bedenken: Wirklich schwer ist die Nachfolge nur für mäßig bis schlecht laufende Betriebe. Gut funktionierende Handwerksunternehmen bieten große Chancen für pfiffige junge Meister.
„Es ist nicht jeder Tag Sonnenschein“
Collin Bergander war Jungmeister bei „Augenoptik Kloppenburg“ in Idstein im Taunus. Nach vierzig Jahren Selbständigkeit wollte sich Klaus Kloppenburg zurückziehen. Bergander und seine Kollegin Annkatrin Mager kauften vor fünf Jahren das Fachgeschäft mit zehn Angestellten. Sie kannten den Betrieb, den Markt und die Kundschaft.
Für die Darlehen der Volksbank stehen die beiden persönlich gerade. Ohne Risiko, sagt Bergander, sei ein Deal über sechsstellige Beträge natürlich nicht. Es stellte sich heraus, dass deutlich mehr als geplant investiert werden musste – eine Maschine für 30.000 Euro, ein Messgerät für 12.000 Euro. „Es ist nicht jeder Tag Sonnenschein“, sagt Bergander, „aber es geht stetig nach oben“.
Hilfreich war, dass die wenigen Hersteller von Brillengläsern großes Interesse an gut geführten und verkaufsstarken Optikergeschäften haben. Mit großen Optikerketten ist das Geschäft der Lieferanten weit schwerer. Ein Glashersteller beteiligte sich daher an Finanzierung des Kaufpreises für „Augenoptik Kloppenburg“.
Es fehlen Meister
Es gibt in Deutschland gut eine Million Handwerksbetriebe. Das ist ein knappes Drittel aller Unternehmen im Lande. Große Handwerksunternehmen mit mehreren Dutzend Mitarbeitenden sind die Ausnahme. Typischerweise sind Handwerksbetriebe klein. Fünf bis acht Leute werden beschäftigt, berichtet der ZDH.
Chefs und Gesellen aus den geburtenstarken kommen ins Rentenalter. Durch den Geburtenrückgang fehlt es an Nachfolgerinnen und Nachfolgern. In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden oft 1,3 Millionen Kinder pro Jahr geboren. Für Betriebsübernahmen kommen heute die Jahrgänge zwischen 1980 und 2000 in Frage – doch da wurden nur noch knapp 870.000 (1980) und 770.000 (2000) Kinder geboren.
Das deutsche Handwerk mit seinem großen Bedarf an Unternehmenschefs kämpft gegen diese Bevölkerungsentwicklung. Vergangenes Jahr wurden in Deutschland laut Statistischem Bundesamt nur noch 20.000 Meisterprüfungen abgelegt. Zehn Jahre zuvor waren es noch 22.500 und in den Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts regelmäßig mehr als 30.000 pro Jahr.
Es fehlen Auszubildende und Gesellen
Nicht nur zu wenig Chefs machen den Handwerksorganisationen Sorgen, sondern auch schrumpfendes Personal. Die amtlichen Schuldaten zeigen: 2008 gingen noch knapp 1,3 Millionen Schülerinnen und Schüler auf Realschulen und 2,5 Millionen auf Gymnasien. Vergangenes Schuljahr gab es noch knapp 800.000 Realschülerinnen und Realschüler und 2,3 Millionen Jugendliche auf Gymnasien.
Das bedeutet: Es gibt immer weniger Kinder, und die drängen immer mehr Richtung Abitur. Das macht es für das Handwerk schwer, wo Auszubildende mit mittlerem Bildungsniveau einsteigen können.
Insgesamt hohe Umsätze
Im Handwerk stoßen Automatisierung und Rationalisierung an enge Grenzen. Aktuelle Daten des ZDH zeigen aber, dass es trotzdem gelingt, die Produktivität zu steigern oder Preise zu erhöhen. Wurden im deutschen Handwerk vor fünf Jahren mit 5,9 Millionen Beschäftigten 670 Milliarden Euro umgesetzt, waren es vergangenes Jahr mit nur noch 5,6 Millionen Beschäftigten schon 770 Milliarden Euro.
Detailzahlen des Statistikamtes zeigen, dass die Lage von Handwerk zu Handwerk verschieden ist. Verputzer buchen seit fünf Jahren sinkende Umsätze. Friseure konnten dagegen offenbar ihre Preise nachhaltig erhöhen: Mit einem Fünftel weniger Personal als vor fünf Jahren erwirtschafteten sie ein Fünftel höhere Umsätze.








