Stand: 28.11.2025 11:00 Uhr
Dass Wirtschaft mit Zahlen und letztendlich auch mit Mathematik zusammenhängt, ist klar. Doch kann die Mathematik auch helfen herauszufinden, wie Lohngerechtigkeit geht? Ein Chemnitzer Wissenschaftler hat darüber nachgedacht.
Mathematik sei schon eine Art Kulturgut, sagt der Chemnitzer Wirtschaftsmathematik-Professor Vladimir Shikhman. Weil es eine Errungenschaft der Menschheit sei, hinter Gesetzmäßigkeiten wie den Satz des Pythagoras gekommen zu sein.
Seit klar ist, dass Chemnitz Kulturhauptstadt 2025 wird, bringen die Mathe-Professoren der Technischen Universität deshalb ihr Kulturgut gewissermaßen unters Volk. In einem Vortrag Shikhmans geht es im Haus der Gewerkschaften um „Mathematik und Arbeit“, konkret um Löhne.
Vereinfachtes Modell aus dem 19. Jahrhundert
Die Frage „Was ist ein fairer Lohn“ kann ganz unterschiedlich beantwortet werden. Shikhmans Ansatz: Sich dem Problem zwar mathematisch korrekt nähern, aber auch allgemeinverständlich.
Das Gedankenspiel, das Shikhman für seine Betrachtung von Arbeit und Lohn verwendet, ist deshalb bewusst einfach: ein Kapitalist, viele Arbeiter, eine Fabrik, die Profit macht. Diese Vereinfachung sei wichtig, um besser zu Erkenntnissen zu kommen, sagt er. „Wir müssen die Sprache halt borgen aus dem 19. Jahrhundert – aus wissenschaftlichen Gründen.“
Doch inhaltlich sei das Modell grundsätzlich auf heute übertragbar: Auch moderne Unternehmen funktionieren nur, wenn Kapital und Arbeit kooperieren. Diese Kooperation ist der Grundgedanke des Modells. Beide Seiten haben ein gemeinsames Interesse am Erfolg: „Dass ein Unternehmen funktioniert, dass es stabil bleibt, dass man gerecht verteilt“, erklärt der Wirtschaftsmathematiker.
Wie Mathematik Fairness übersetzt
Um Löhne mathematisch zu bestimmen, muss man zunächst definieren, was „fair“ überhaupt bedeutet. Dafür nutzt Shikhman Axiome – Grundannahmen, die nicht weiter begründet werden, sondern eine Art Spielregeln darstellen. „Wenn zwei Arbeitnehmer dasselbe beitragen, kriegen sie dasselbe“, benennt Shikhman ein solches Axiom. Oder eben auch: „Wenn jemand nichts beiträgt, kriegt er nichts am Ende.“ Soweit recht klar. Dazu kommt ein weiteres Axiom, das schon etwas komplizierter klingt: Wenn die gesamte Ökonomie wächst, dann steigen die Löhne proportional dazu – niemand wird übermäßig bevorzugt oder benachteiligt.
Auf Basis solcher Axiome ergeben sich für Shikhman zwei zentrale Lösungskonzepte. Die erste Lösung folgt strikt den Fairness- und Effizienzaxiomen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Arbeiter gemeinsam den mittleren geschaffenen Mehrwert erhalten, während der Rest an den Kapitalisten geht. Der mittlere geschaffene Mehrwert ist dabei der durchschnittliche Beitrag eines Arbeiters zum Gesamtprofit.
Der zweite Ansatz richtet den Blick auf die Frage, ob das System stabil bleibt. Ihm liegt die Überlegung zugrunde, dass sich keine Teilgruppe abspalten und „etwas Besseres aushandeln“ sollte. Diese Stabilität führt zu einer anderen Lösung: Der sogenannte marginale Profit – also der Gewinn, den jeder einzelne Arbeiter zusätzlich erzeugt – wird zu gleichen Teilen auf Arbeiter und Kapitalisten verteilt. Diese Aufteilung stellt sicher, dass keine Gruppe einen Anreiz hat, sich aus dem Produktionsverbund zu lösen, und damit bleibt das System mathematisch stabil.
Aufs 21. Jahrhundert übertragbar?
Beide Lösungen sind auf Grundlage ihrer Axiome logisch, aber im Ergebnis trotzdem unterschiedlich. Und genau das ist der Zeitpunkt, wo Mathematik nicht mehr weiterhilft. Man muss aushandeln, welcher Ansatz denn nun der gerechtere ist.
Und auch wenn das Modell vereinfacht ist, sieht Shikhman darin eine große Relevanz für heutige Debatten. Lohnverhandlungen, Tarifkonflikte und Fragen der Wertschätzung haben immer eine kooperative und eine strategische Seite. Wer vergleicht, wie viel er bekommt, tut das – bewusst oder unbewusst – entlang ähnlicher Kriterien: Beitrag, Fairness, Stabilität.
Gerade in politisch angespannten Zeiten hält Shikhman den kooperativen Ansatz für besonders wertvoll. „Ich glaube, das ist die Zeit, mehr kooperative Spieltheorie zu machen“, sagt er. Kooperation könne helfen, den Blick weg vom reinen Konflikt hin zu gemeinsamen Interessen zu lenken.
Kompliziertere Modelle
Shikhman betont, dass es noch viel mehr und kompliziertere mathematische Möglichkeiten gibt – etwa aus der nichtkooperativen Spieltheorie, die man auf Strategien in Tarifverhandlungen anwenden kann. Dort geht es um Streiks, Drohungen, Angebotstaktiken oder Konkurrenz zwischen Gewerkschaften. „Da kann man auch sehr schöne Modelle aufstellen“, sagt er.










