analyse
Stand: 02.12.2025 20:21 Uhr
Bei seiner ersten Auslandsreise präsentiert sich Papst Leo im Nahen Osten als Seelsorger und Botschafter. Vielfach sucht er das Gespräch auf Augenhöhe – und nimmt Religionsvertreter der Region in die Pflicht.
Eigentlich hatte Robert Francis Prevost schon den Ruhestand vor Augen. Nicht ungewöhnlich für einen Mann Ende 60, auch wenn in der Kirche andere Altersgrenzen gelten. Und dann kam im Mai das Konklave, und aus Kardinal Prevost wurde Papst Leo XIV. „Ich habe mich dann ergeben“, gestand Leo auf dem Rückflug, „als ich gesehen habe, wie die Dinge laufen“.
Spätestens nach seiner ersten Reise außerhalb Italiens weiß er, „wie die Dinge laufen“, welche Verantwortung er am 8. Mai übernommen hat und vor allem, welche Erwartungen auf ihm lasten. Im Libanon wurde Leo gefeiert wie ein Heilsbringer. Das kriegs- und krisengeplagte Land erwartete sich von diesem Papstbesuch nicht mehr und nicht weniger als „Frieden“.
Papst Leo XIV. ermutigt und bestärkt
Natürlich wissen alle, dass der Papst diesen Frieden nicht herstellen kann. Aber der Besuch von Leo hat der Welt vor Augen geführt, in welcher Lage sich die Menschen im Land befinden. Im Süden greift die israelische Armee beständig Ziele der Hisbollah-Miliz an, die ihrerseits nicht daran denkt, die Waffen abzugeben. Die libanesische Politik ist machtlos und obendrein überfordert. Die Explosion im Hafen von Beirut, im Sommer 2020, ist zum Symbol für den Niedergang eines Landes geworden. Leo hat den Libanesen mit seinem Besuch ein Stück ihrer Würde zurückgegeben. „Endlich schaut jemand auf uns“, sagte eine Frau nach dem Gebet des Papstes am Mahnmal des Hafen-Unglücks.
„Endlich schaut jemand auf uns.“ Das könnte auch für die Christen in der Region gelten. In der Türkei sind sie eine verschwindend kleine Minderheit. Da war Papst Leo als Seelsorger unterwegs, hat die Gemeinden bestärkt, auch in einer muslimischen Mehrheitsgesellschaft an ihren Traditionen festzuhalten. Und im Libanon, in dem deutlich mehr Christen leben, hat er eine sehr junge Gemeinde ermutigt, dem Land und der Kirche trotz aller Probleme nicht den Rücken zu kehren.
Israel wird nicht erwähnt
Auffallend, wie zurückhaltend Papst Leo sich in politischen Fragen äußert. Ganz Diplomat. Der türkische Präsident Erdogan wird zwar von Leo daran erinnert, wie wichtig Vielfalt für eine Gesellschaft ist, hört aber ansonsten viel Lob. Da mag die Sorge um die Existenz der kleinen christlichen Gemeinde größer gewesen sein als der Wille, heiße Eisen anzupacken. Im Libanon hat Leo nicht einmal den Nachbarn im Süden, Israel, erwähnt. Und das trotz der anhaltenden Angriffe der israelischen Armee. Und dennoch wussten alle, wer gemeint war, als Leo kurz vor seinem Abflug sagte: „Die Angriffe und Feindseligkeiten müssen aufhören.“
Papst Leo hat in diesen Tagen in der Türkei und im Libanon ein sehr dichtes Programm absolviert. Er hat die Vielfalt des Christentums im Nahen Osten kennengelernt, in dem die katholische Kirche nur eine unter vielen ist. Er hat in Istanbul die Blaue Moschee besucht und dort, wie aufmerksam registriert wurde, nicht gebetet. Anders als sein Vorgänger. Daraus eine Geringschätzung des Islam abzuleiten, ist falsch.
Appell für den Frieden
Leo hat bei verschiedensten Gelegenheiten das Gespräch auf Augenhöhe gesucht. Und er hat die Religionsvertreter in die Pflicht genommen. Und damit auch sich selbst. Religionen, Kirchen müssen dem Frieden dienen, und das können sie nur, wenn sie miteinander in Frieden leben. Umgekehrt gilt: Wenn Religion herangezogen wird, um Krieg und Gewalt zu rechtfertigen, Fundamentalismus und Fanatismus, dann muss das „entschieden abgelehnt“ werden.
Deutliche Worte des Papstes, ausgesprochen bei der 1700-Jahr-Feier des Konzils von Nicäa im türkischen Iznik. Ein Ergebnis dieser Reise: Wenn die Christenheit 2033 an das 2000. Todesjahr Jesu Christi erinnert, dann soll das gemeinsam in Jerusalem geschehen, mit sichtbaren Fortschritten in der Einheit der Christen. Ein ehrgeiziges Ziel für einen Mann, der eigentlich schon an den Ruhestand gedacht hat.








