analyse
Nach Abstimmung über Rentenpaket Warum die Koalition weiter wackeln wird
Stand: 05.12.2025 19:49 Uhr
Der Kanzler und die Koalition haben bei der Rente gewonnen – aber es bleiben Unzufriedene in den eigenen Reihen zurück. Die knappe Mehrheit wird zur Bürde für die Regierung Merz.
Am Ende sollte Friedrich Merz gleich doppelt Recht behalten – mit seiner Zuversicht, dass das von seiner schwarz-roten Regierung gepackte Rentenpaket im Bundestag durchgeht, und zwar mit eigener Kanzlermehrheit. Das wurde vor der entscheidenden Abstimmung als durchaus riskant betrachtet: Warum macht der Kanzler das, wenn er damit die Latte noch höher hängt – und damit noch eher scheitern kann? Die Kanzlermehrheit hatte er selbst am Vorabend ins Spiel gebracht, was schon wie eine indirekt gestellte Vertrauensfrage anmutete.
Denn einer eigenen Kanzlermehrheit konnte sich Schwarz-Rot noch bis zum Vormittag der Abstimmung nicht vollkommen sicher sein: Das versichern Beteiligte später auf den Fluren des Reichstages.
Ohnehin fühlten sich manche in der Jungen Gruppe der Union in den vergangenen Tagen schon zu sehr unter Druck gesetzt – eine Fraktionsgruppe von Abgeordneten, die zu Beginn der Legislatur jünger als 35 Jahre alt waren. Sie hat 18 Mitglieder, die mit ihren Stimmen einer nur knappen Kanzlermehrheit von zwölf Stimmen gefährlich werden konnten.
Es ging um Stabilität – der Rente und der Regierung
Und so ging es im Bundestag gleich um zwei Stabilitätsfragen: Der nach der Stabilität der Rente – aber eben auch nach der Stabilität der Bundesregierung. Hätte Merz seine Kanzlermehrheit verfehlt, wäre wohl das vorherrschende Thema am Wochenende eine immer größer werdende Regierungskrise gewesen.
Die Spannung im nahezu voll besetzen Plenum ist spürbar – bis zur Minute der Abstimmung über das umstrittene Rentenpaket: zu offen, ob sich alle – oder zumindest genügend unionseigene Gegnerinnen und Gegner – besinnen würden, um Merz mit einer zähneknirschenden „Ja“-Stimme seine Kanzlermehrheit retten. Allerdings hatte man auch bei der SPD bereits vorab erwartet, dass eine namentliche, nicht-geheimen Abstimmung sehr disziplinierend auf die Rebellen wirken würde.
So hatte es zwar seit Dienstag offenbar viele Gespräche der Fraktionsspitze mit Abweichlern gegeben, nachdem eine Probeabstimmung in der Unionsfraktion zu viele von ihnen ergeben hatte. Bei der Fraktionssitzung am Dienstag stimmten nach Informationen des Nachrichtenportals Table.Briefings 21 Abgeordnete mit Nein, darunter also auch solche außerhalb der Jungen Gruppe.
Unzufriedenheit via Protokollerklärung
Trotzdem werden es sieben „Nein“-Stimmen in der Union, nicht nur von den Jüngeren. Fünf mehr – und die echte Krise wäre da gewesen. Es ist davon auszugehen, dass die Fraktionsspitze vorab geklärt hatte, dass es knapp reichen würde, hört man. Aber ganz sicher konnte sie nicht sein, erst recht nach den Vorerfahrungen eines gescheiterten ersten Kanzlerwahlganges und dem Richterwahl-Desaster.
Unionsfraktionschef Jens Spahn wirkt an seinem Bundestagsplatz während der lebhaften Debatte ums Rentenpaket dementsprechend nur halbwegs entspannt, zuweilen tippt er nervös am Mobiltelefon.
Immer wieder stehen währenddessen Abgeordnete seiner Fraktion auf, um Protokollerklärungen beim Bundestagspräsidium abzugeben: vorgedruckte Erklärungen, weshalb man sich weiter gegen das Rentenpaket ausspreche oder zumindest enthalte – aber auch, weshalb man sich nun doch dafür entscheide.
Klar ist, Merz und die Koalition haben gewonnen – aber hier bleiben Unzufriedene in den eigenen Reihen zurück. „Es ging uns um eine Entscheidung in der Sache, das haben wir heute nicht erreicht“, sagt Junge-Union-Chef Johannes Winkel nach der Wahl ernüchtert – auf ihm ruhten an diesem Tag viele Augen. Er bleibt bei seinem „Nein“.
Doch auch die Befürworter artikulieren Zweifel: Man stimme zu, „um die Stabilität der Regierungskoalition zu stärken“, heißt es in dem Dokument, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. In der Sache jedoch, so steht es bei allen drei Protokollerklärungen wortgleich, „halte ich den vorliegenden Entwurf, insbesondere durch die Vorfestlegungen, die darin für die 2030er-Jahre getroffen werden, für verfehlt“.
Diese wackelige Mehrheit: Sie wird wohl die Bürde dieser Regierung bleiben, in der Sachfragen schnell zu Machtfragen werden können. Das kann zu weiterem gegenseitigen Misstrauen führen – Gift für die großen Reformvorhaben, welche die Koalition noch schaffen will. Das gilt im Übrigen auch das sehr viel umfangreicher geplante Rentenpaket II, das nach den Empfehlungen einer Rentenkommission im kommenden Jahr auf den Weg gebracht werden soll.
Später drückt er sich spürbar um die Antwort auf Reporterfragen, ob er mit seiner Gruppe ein Scheitern dieser Kanzlermehrheit und damit eine Regierungskrise in Kauf genommen hätte. Staatspolitische Verantwortung sei auch, über die Finanzen der Zukunft nachzudenken, antwortet Winkel. Mit der Festlegung des nun verabschiedeten Gesetzes, dass nach 2031 von der Haltelinie 48 Prozent Rentenniveau aus weitergerechnet wird, habe sich der Reformbedarf in jedem Fall erhöht.
Sollte sich die SPD-Linke etwa das Muster der Jungen Gruppe abschauen, dürften Kompromisse auch nicht leichter werden. Aus den Reihen der Jungen Gruppe heißt es bereits, man werde so weitermachen: „Jetzt geht’s erst richtig los“, kündigt Winkel nach der Abstimmung an. Spahn wiederum kündigte an, dass es nach dem Manöver nun eine interne Manöverkritik brauche – das sei offenkundig.










