Stand: 05.12.2025 09:05 Uhr
Bundeskanzler Merz geht vor der Abstimmung über das umstrittene Rentenpaket ins Risiko: Zwar würden seiner Regierung voraussichtlich 284 Ja-Stimmen reichen – doch er setzt die Zielmarke deutlich höher.
Vor der Entscheidung über das umstrittene Rentengesetz im Bundestag legt Kanzler Friedrich Merz die Latte für die eigene Fraktion und Koalition noch einmal ein Stück höher. Er will die absolute Mehrheit aller Abgeordneten im Bundestag erzielen, die sogenannte Kanzlermehrheit von 316 Stimmen.
Dafür dürften bei der Abstimmung heute gegen 12.30 Uhr im Bundestag nicht mehr als zwölf Koalitionsabgeordnete fehlen, mit Nein stimmen oder sich enthalten. „Wir haben 630 Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Die Mehrheit ist 316. Wir haben 328 und ich würde mir ein Ergebnis wünschen zwischen 316 und 328“, sagte der CDU-Chef nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder in Berlin auf eine Journalistenfrage.
Bas will sich Forderung nicht anschließen
Damit nennt er eine Zielmarke, die vor ihm noch niemand aus der Koalition so gesetzt hatte. Und sie geht auch über das hinaus, was für eine Verabschiedung des Gesetzes nötig ist. SPD-Co-Chefin Bärbel Bas wollte sich in der ZDF-Sendung Maybrit Illner auf Nachfrage nicht der Forderung nach einer Kanzlermehrheit anschließen.
Sie sagte lediglich: „Wir brauchen auf jeden Fall eine eigene Mehrheit in dieser Koalition. Das ist das Ziel. Wenn alle dafür stimmen, umso besser. Aber mir ist wichtig, dass wir in der Tat eine eigene Mehrheit haben.“ Schon vorher hatten mehrere Spitzenpolitiker der Koalition erklärt, dass sie eine „eigene Mehrheit“ bei der Abstimmung anstreben.
Koalitionsmehrheit „mit Goldrand“
Dabei sind drei Varianten für diese „eigene Mehrheit“ möglich: Für die Verabschiedung eines einfachen Gesetzes im Bundestag sind mehr Ja- als Nein-Stimmen nötig. Enthaltungen werden nicht mitgerechnet. Da die Fraktion der Linken mit ihren 64 Abgeordneten angekündigt hat, sich zu enthalten, reichen der Koalition eigentlich 284 Stimmen. Damit hätte sie einen Puffer von 44 Stimmen, wenn alle Abgeordneten anwesend sind.
In der Union will sich aber niemand von den Linken abhängig machen. Deswegen besteht dort Einigkeit, dass eine Mehrheit unabhängig von deren Abstimmungsverhalten her muss. Das wäre dann eine Mehrheit aller abgegebenen Stimmen. In der Regel fehlen bei jeder namentlichen Abstimmung im Bundestag einige Abgeordnete. Wären also zum Beispiel 620 anwesend, würden 311 Stimmen reichen.
Die Zielmarke, die Merz nun setzt, ist die Koalitionsmehrheit „mit Goldrand“: die absolute Mehrheit aller in den Bundestag gewählten Abgeordneten. Sie wird auch Kanzlermehrheit genannt, weil sie nur in wenigen Fällen zwingend erforderlich ist: bei der Wahl des Bundeskanzlers zum Beispiel oder bei der Vertrauensfrage.
Bis jetzt steht nur ein Abweichler fest
Merz geht also ins Risiko, zeigt sich aber sicher, dass schon nichts schiefgehen werde. „Alle Gespräche, die wir führen, die der Fraktionsvorsitzende mit den Kolleginnen und Kollegen in der Bundestagsfraktion führt, deuten darauf hin, dass wir das erreichen“, sagte er.
Die Zuversicht des Kanzlers speist sich möglicherweise daraus, dass Merz genau weiß, wie viele Abweichler sich bei der Fraktionsführung gemeldet haben. Dafür gab es eine Frist bis Mittwoch um 12 Uhr. Da es eine namentliche Abstimmung ist, können die Abgeordneten bei diesem in der Geschäftsordnung der Fraktion festgelegten Verfahren auch nicht schummeln. Sie müssen Farbe bekennen.
Öffentlich angekündigt hat sein Nein bisher nur ein Unions-Abgeordneter: der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel. Er zählt zu den 18 jungen Abgeordneten der Unionsfraktion, die befürchten, dass das Gesetz von Arbeitsministerin Bas die jüngere Generation teuer zu stehen kommt.
Der Streitpunkt im Rentenpaket
Aber um was geht es bei der Abstimmung inhaltlich genau? Zur Abstimmung stehen drei Gesetze – das sogenannte Rentenpaket. Unumstritten sind die sogenannte Aktivrente und der Plan, die Betriebsrenten in kleinen Unternehmen zu stärken.
Streit gibt es über das folgenreichste Gesetz, das das Rentenniveau bei 48 Prozent bis 2031 stabilisieren soll. Durch diese Niveau-Haltelinie soll verhindert werden, dass die jährlichen Rentenerhöhungen nicht mehr Schritt halten mit den Einkommen in Deutschland. Wenn immer mehr Babyboomer von Einzahlern zu Rentnerinnen und Rentnern werden, soll die Rente dafür mit Steuergeld gestützt werden.
Was die jungen Unions-Abgeordneten ablehnen: Dass die weitere Entwicklung des Rentenniveaus in den Jahren ab 2032 von diesem höheren Ausgangspunkt startet. Sie befürchten dadurch Kosten von rund 15 Milliarden Euro jährlich.
Friede in der Koalition steht auf dem Spiel
Die Stunde der Wahrheit wird kurz nach 13 Uhr erwartet: Dann dürfte die Sitzungsleitung des Parlaments das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über das umstrittene Rentengesetz verkünden. Wenn es mehr Ja- als Nein-Stimmen gibt, kann das Gesetz am 19. Dezember im Bundesrat verabschiedet werden. Zum 1. Januar soll es in Kraft treten.
Ob die Koalition eine eigene Mehrheit auf die Beine gebracht hat, wird erst später am Tag klar werden. Dann werden Listen veröffentlicht, auf denen das Abstimmungsverhalten jedes einzelnen Abgeordneten abzulesen ist.










