Forschungsprojekt Wie verwundbar ist die deutsche Justiz?
Stand: 02.12.2025 18:42 Uhr
Die Justiz ist oft der erste Bereich, der von autoritären Kräften angegriffen wird, wenn diese an der Macht sind. Ein Forschungsprojekt untersucht nun, wie anfällig die deutsche Justiz für Angriffe ist.
Ein Blick in die Welt zeigt: Autoritäre Populisten gehen strategisch oft sehr ähnlich vor auf ihrem Weg zur Macht: Erster Angriffspunkt ist fast immer die unabhängige Justiz. Das konnte man in Ungarn genauso beobachten, wie in Polen, den USA und vielen anderen Ländern. Zunächst wird die Justiz gern schlechtgeredet, als zu langsam, zu träge; als Elite, die den wahren Willen des Volkes nicht umsetzt. Das Bild wird hier und da durch eine Blockadepolitik gefüttert.
Sobald die Populisten an der Macht sind, folgt oft eine Justizreform. Nach und nach wird dann Personal ausgetauscht oder es werden Zuständigkeiten verschoben, damit die Justiz der eigenen Machtausübung nicht mehr im Wege steht.
Und wie ist die Lage in Deutschland? Anna-Mira Brandau ist eine der Co-Projektleiterinnen des sogenannten Justiz-Projekts. Elf Monate hat sich das 14-köpfige Team der Diskursplattform „Verfassungsblog“ damit auseinandergesetzt, wie anfällig die deutsche Justiz für solche Angriffe von autoritären Populisten ist. „Die Justiz ist dafür zuständig, die Macht der Exekutive zu kontrollieren“, erklärt Brandau im Podcast der ARD-Rechtsredaktion „Die Justizreporter*innen“.
Szenarien möglicher Angriffe
Eine Beobachtung, die zugleich Motivation für das „Justiz-Projekt“ war. Über Monate hat das Team zunächst 70 Gespräche mit Expertinnen und Experten aus der Praxis geführt, um eine Bestandsaufnahme durchzuführen. Wo lässt sich Sand ins Getriebe der Justiz streuen? Wo ist sie besonders anfällig und wie könnten mögliche Angriffe aussehen?
In einem zweiten Schritt hat das Projekt die Erkenntnisse in Szenarien gegossen. In konkreten Geschichten zeigen die Macher auf, wo die Justiz besonders angreifbar ist und wie Autokraten gegen sie vorgehen könnten. Diese Szenarien seien kein Blick in die Glaskugel, stellt Brandau fest und auch keine Aussage darüber, dass es hundertprozentig so ablaufen wird. Aber es seien realistische Abläufe der Zukunft.
Blockade der Landesverfassungsgerichte
So geht es zum Beispiel um die Anfälligkeit der 16 Landesverfassungsgerichte. Für die Richterwahl braucht man in 12 der 16 Landesparlamente eine Zweidrittelmehrheit. Das sei auf der einen Seite gut, sagt Brandau. Damit nicht mit einfacher Mehrheit ein Gericht mit loyalen Richterinnen und Richtern von der Regierungsmehrheit durchbesetzt werden könne. Es führt aber auf der anderen Seite dazu, dass eine Partei, die ein Drittel der Sitze in einem Parlament hat, eine Richterwahl auf Dauer blockieren kann. Ohne sachliche Gründe.
Mit Sorge blickt das „Justiz-Projekt“ auf Thüringen und Brandenburg, wo die AfD bereits eine solche Sperrminorität hat und zum Teil von der Blockademöglichkeit Gebrauch macht. In den Ländern, in denen es noch nicht so weit sei, könne man nun überlegen, wie man eine solche Blockade verhindere.
Die Projektmacher zeigen Optionen auf: So könnten nach einer gewissen Blockadezeit zum Beispiel Vorschläge für neue Richter aus dem Gericht selbst kommen. Oder aus einem unabhängigen Gremium. Aus diesen Vorschlägen könne das Parlament dann mit einfacher Mehrheit wählen.
Auch die einfache Justiz bietet Einfallstore
In anderen Szenarien geht es um die einfache Justiz, also die Zivil-, Verwaltungs-, Strafgerichte. Auch hier gebe es viele Möglichkeiten, Sand ins Getriebe zu streuen. Wenn eine Partei erst einmal den Justizminister stellen würde, könnte der schon nach den heutigen Regeln viel Unheil anrichten, so das Ergebnis des „Justiz-Projekts“. Zum Beispiel entscheiden, dass bestimmte Fälle nur noch an bestimmte Gerichte kommen, an denen bestimmte Richterinnen und Richter befördert würden, führt Brandau bei den Justizreporter*innen aus.
„Keine Handlungsanleitung für Populisten“
Nachzulesen sind die Ergebnisse in dem Buch „Verwundbarkeit und Resilienz der dritten Gewalt“. Es sei keine Handlungsanleitung, betont die Co-Projektleiterin. Das Team ist überzeugt, dass das Aufzeigen der Schwachstellen mehr Nutzen als Schaden bringe.
Brandau vergleicht es mit dem Vorgehen von Hackern, die ebenfalls Schwachstellen aufzeigen. Das sei besser, als wegzugucken und zu hoffen, dass es keiner merke.
Personal könne das Bollwerk sein
Das größte Einfallstor sei das Personal. Sowohl das juristische als auch die anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einem Gericht, die ebenfalls Verfahren verzögern und damit Einfluss nehmen könnten.
Doch das „Justiz-Projekt“ kommt zugleich zu dem Schluss: Das Personal ist auch der wichtigste Faktor für die Widerstandsfähigkeit der Justiz. Wenn das Personal seinen Berufsethos, der von Unabhängigkeit geprägt sein sollte, ernst nehme, könne dieses „auch ein wahnsinniges Bollwerk gegen solche Bestrebungen sein“.










