Stand: 10.10.2025 16:01 Uhr
Demokratische Akteure erreichen laut einer neuen Studie weniger junge Menschen auf Social Media als populistische Kräfte – trotz großer Anstrengungen. Die Forschung gibt eine deutliche Empfehlung.
Von Anja Braun und Emily Burkhart, SWR
Die Social-Media-Plattformen Instagram und Tiktok sind für junge Menschen die wichtigsten Vermittler politischer Inhalte – noch vor Familie, Schule, Freunden, Zeitung oder Fernsehen.
Das ist das Ergebnis einer Studie des Progressiven Zentrums, der Bertelsmann Stiftung und der Stiftung Mercator. Die Untersuchung „How to Sell Democracy Online (Fast)“ basiert auf der KI-gestützten Analyse von rund 31.000 Kurzvideos sowie Befragungen junger Menschen zwischen 16 und 27 Jahren.
Tatsächlich sehen auch junge Menschen selbst die Gefahr, dass populistische Akteure über Social Media große Reichweiten und Sichtbarkeit erzielen: Viele berichten von ihrer Sorge, dass sich immer mehr junge Menschen von der Demokratie abwenden und dass soziale Netzwerke einen negativen Einfluss auf unsere Gesellschaft haben.
Die Jugendbefragung zeigt eindrucksvoll, dass Social Media für junge Menschen in Deutschland die wichtigste Quelle für politische Informationen ist. Allerdings wünschen sich Jugendliche dort mehr Inhalte, die tatsächlich auf ihre Bedürfnisse und Interessen zugeschnitten sind.
Social Media als wichtigste Informationsquelle
74 Prozent der befragten jungen Menschen zwischen 16 und 27 Jahren geben an, dass Social Media ihre primäre Informationsquelle für politische Themen ist. Diese Quelle liegt damit noch vor Familie (58 Prozent), Schule (60 Prozent) oder Freundinnen und Freunde (54 Prozent). Laut Studienleiterin Paulina Fröhlich kommen Jugendliche mit politischen Themen dabei eher zufällig in Kontakt.
„Politik begegnet scheinbar beiläufig im persönlichen Feed und taucht sozusagen einfach auf. Junge Menschen suchen bei Instagram nicht danach, was denn die SPD eigentlich zum Bürgergeld sagt, sondern es passiert halt gefühlt einfach so.“ Dabei sei das kein Zufall, sondern das Ergebnis gezielter Algorithmen.
Vertrauen in Influencer größer als in Politiker
Wichtig ist auch, dass 38 Prozent der befragten Jugendlichen gezielt Politikerinnen und Politikern oder Accounts von Parteien folgen, aber die große Mehrheit – nämlich 60 Prozent – vor allem politischen Influencern vertrauen. „Das ist eine Art neues Berufsbild“, sagt Fröhlich. „Personen, die durch konsequente Selbstvermarktung eine hohe Reichweite auf Social Media haben und direkt oder indirekt über Politik sprechen.“ Insgesamt zeige sich deutlich, die Jugend sei politikinteressiert.
„Die wichtige Erkenntnis ist: Politik wird in der Regel eher nicht aufgesucht, sondern in persönlichen Feeds konsumiert, und die sind eben nicht zufällig erstellt und auch nicht auf Grundlage von journalistischer Auswahl oder schon mal gar nicht demokratischen Kriterien“, erklärt Fröhlich. Die persönlichen Feeds seien Produkte der jeweiligen privaten Plattformen wie TikTok oder Instagram. TikTok gehört beispielsweise dem chinesischen Technologiekonzern ByteDance, während Instagram zu Meta und damit zu US-Tech-Milliardär Mark Zuckerberg gehört.
Negative Botschaften performen besser
Das Studienteam hat auch analysiert, wie Politik in den Kurzvideos auf TikTok und Instagram vermittelt wird. Parteien und Politiker demokratischer Parteien produzieren überwiegend Videos in einem positiven Stil. Das bedeutet, sie präsentieren ihre eigenen Erfolge und stellen ihre Leistungen in ein gutes Licht. Von solchen Videos gibt es eine große Anzahl, allerdings erreichen sie nur wenige Zuschauer.
Videos mit negativen Botschaften und Angriffen auf politische Gegner werden dagegen hauptsächlich von zwei Parteien verbreitet: der AfD und dem Bündnis Sarah Wagenknecht. Diese negativen Videos erreichten jedoch eine deutlich höhere Sichtbarkeit, erklärt Paulina Fröhlich, da sie von den Social-Media-Plattformen wesentlich häufiger ausgespielt werden.
Bertelsmann Stiftung
Die Bertelsmann Stiftung wurde 1977 durch den Unternehmer Reinhard Mohn gegründet, den damaligen Chef des Medienkonzerns Bertelsmann. Nach Angaben des Konzerns halten Stiftungen, unter anderem die Bertelsmann Stiftung, heute etwas mehr als 80 Prozent der Aktien am Bertelsmann-Konzern, zu dem unter anderem die RTL Group, das Musikunternehmen BMG, die Verlagsgruppe Penguin Random House sowie Servicegeschäfte gehören.
Für ihre Studien sammelt und analysiert die Bertelsmann Stiftung Daten und gibt Handlungsempfehlungen an die Öffentlichkeit und Entscheidungsträger ab. Sie arbeitet operativ, das heißt sie unterstützt nicht die Arbeit Dritter, sondern investiert ausschließlich in selbst initiierte Projekte. Dabei dient sie nach eigenen Angaben dem Gemeinwohl und ist zu politischer Neutralität verpflichtet.
„Negative Videos mit Angriffen auf den politischen Gegner haben mehr Reichweite: 40 Prozent mehr Sichtbarkeit als die Videos, die positiv sind und die sagen, wir sind toll.“
Es gebe also eine große Diskrepanz zwischen dem, was von demokratischen Parteien produziert wird, und dem, was Reichweite bekommt. Dabei zeigt die repräsentative Befragung von rund 1.700 Jugendlichen, dass sich diese lieber Videos mit positiver Ausrichtung wünschen und Angriffe auf politische Gegner gar nicht gut finden.
„Populistische Angreifer wie die AfD oder das BSW reden mehrheitlich negativ über andere und bekommen weitaus mehr Sichtbarkeit“, erklärt Fröhlich.
„Relevanz, Klarheit, Authentizität“
Diese Sichtbarkeit wird von den Plattformbetreibern gesteuert und hat nichts damit zu tun, ob die Jugendlichen die Inhalte tatsächlich gut finden. Hier sollte demokratische Politik ansetzen. Das Studienteam empfiehlt demokratischen Parteien, sich stärker auf die tatsächlichen Interessen der jungen Generation zu fokussieren, denn bisher beständen deren Beiträge zu 70 Prozent aus Selbstdarstellung und verfehlten damit das Interesse der Zielgruppe.
Paulina Fröhlich erläutert, worauf Politikerinnen und Politiker dabei achten sollten: „Auf ein authentisches Profil, auf eine verständliche Sprache, auf Themen, die wirklich mit der Lebensrealität von jungen Leuten auch zu tun haben.“
Auch die Umsetzung sollten demokratische Parteien und Demokratievermittler überdenken. Viele Angebote wirkten nicht authentisch oder seien zu kompliziert gestaltet. Besonders schlecht komme es an, wenn Politikerinnen oder Politiker tanzen oder lustige Filter benutzen. Dabei sollten die Inhalte durchaus unterhaltsam sein – mit einem roten Faden und einer klaren Story könnten sie das Interesse der jungen Zielgruppe wecken.
Stiftung Mercator
Die Stiftung Mercator wurde 1996 gegründet. Das Stiftungsvermögen stammt von der Unternehmerfamilie Schmidt aus Essen. Sie gründete 1963 den ersten Metro-SB-Großmarkt. Die Stiftung Mercator ist nach eigenen Angaben gemeinnützig und will umfassende Bildung und Chancengleichheit ermöglichen, Selbstentfaltung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen stärken, Wissenschaft und Forschung zu ihren Zielen und Themen im Interesse aller fördern, die Verständigung und den Austausch zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen unterstützen, für ein geeintes Europa eintreten, die gesellschaftlichen Voraussetzungen für das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Überzeugungen und unterschiedlicher sozialer Lage verbessern und die natürlichen Lebensgrundlagen bewahren.









