
Stand: 20.10.2025 07:17 Uhr
In Bolivien gehen zwei Jahrzehnte linker Regierungen zu Ende: Der Christdemokrat Rodrigo Paz hat die Stichwahl um das Präsidentenamt gewonnen. Jetzt steht er vor der Aufgabe, Inflation, Armut und das Haushaltsloch zu überwinden.
Zur Nationalhymne und mit der Hand auf dem Herz präsentiert sich Rodrigo Paz vor jubelnden Anhängern in La Paz. Er war der Überraschungskandidat – nun wurde der Christdemokrat zum neuen Präsidenten von Bolivien gewählt. „Danke, von ganzem Herzen, all das hier erklärt sich aus einer großen Leidenschaft, die uns bewegt: für Bolivien, Bolivien, Bolivien.“
Der 57-jährige Senator positionierte sich als volksnaher, gemäßigter Kandidat. Mit dem Slogan „Kapitalismus für alle“ warb Paz im Wahlkampf für eine soziale Marktwirtschaft: Wachstum durch den Privatsektor fördern, soziale Programme beibehalten, Kampf gegen die Korruption.
Damit konnte Paz nicht nur rechts der Mitte punkten, er holte auch viele Stimmen in einstigen Hochburgen der Sozialisten. Die linke Regierungspartei „Bewegung zum Sozialismus“, die Bolivien 20 Jahre lang regiert hatte, erlitt bereits im ersten Durchgang im August eine krachende Niederlage. Nun steht Bolivien ein politischer Richtungswechsel bevor.
„Essen auf den Tisch“ statt Kettensäge
„Wir Bolivianer wissen, dass man mit Ideologie kein Essen auf den Tisch bringt“, sagte Paz. „Essen auf den Tisch bringen das Recht auf Arbeit, starke Institutionen, Rechtssicherheit, Respekt vor Privateigentum und Gewissheit über die eigene Zukunft.“
Durchgesetzt hat sich Paz gegen den rechtsgerichtete Ex-Präsident Jorge „Tuto“ Quiroga, der im Wahlkampf eine Sparpolitik mit Kettensäge versprach – in Anspielung auf den libertären Präsidenten Javier Milei aus Argentinien. Auch wenn er später zurückhaltender auftrat, schreckte das viele Menschen im von großer sozialer Ungleichheit geprägten Bolivien ab.
Quiroga erkannte seine Niederlage unter Protest seiner Anhänger an: „Wir wissen, dass der Wahlkampf hart war“, sagte Quiroga, „aber Bolivien und unsere Demokratie brauchen aufgrund der Wirtschaftskrise, die wir durchmachen, eine reife, demokratische und staatsmännische Haltung.“
Leere Kassen und hohe Inflation
Die Wahlen fanden inmitten einer schweren Wirtschaftskrise statt: Die einst reichlichen Erdgasexporte sind eingebrochen, der Staatskasse fehlen Devisen, und der Treibstoff wurde knapp – an Tankstellen sind seit Monaten lange Schlangen zu sehen. Dazu steigen die Preise: Die Inflation ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht.
In einer TV-Debatte kurz vor den Wahlen hatte Paz schnelle Lösungen für die Treibstoffkrise im Land versprochen und Steueranreize in Aussicht gestellt. Kritiker bezeichnen diese Versprechen jedoch als unrealistisch, auch weil im Haushalt ein tiefes Loch klafft.
Paz kündigte an, dass er eine auf „Konsens“ basierende Regierung bilden wolle, um das Land voranzubringen und die diplomatischen Beziehungen zu den Nachbarländern, aber auch den USA verbessern will.
In jedem Fall ist Paz, dessen Partei keine Mehrheit im Parlament errang, zum Regieren auf Bündnisse angewiesen – nicht nur auf Allianzen im Parlament, sondern auch mit den sozialen Bewegungen auf der Straße. Die größte Gewerkschaft des Landes hat bereits Widerstand gegen einen Abbau sozialer Errungenschaften angekündigt.