
Comeback der analogen Spiele Wie Brettspiele Menschen wieder zusammenbringen
Stand: 23.10.2025 17:25 Uhr
In vielen Städten eröffnen Spielecafés – Orte, an denen Menschen zusammen spielen, reden und lachen. Ganz analog. Warum das gemeinsame Spielen auch nach Jahren der Digitalisierung so viele anzieht.
Die Würfel rollen über das Holz. Im Bingo Club in Köln ist jeder Tisch besetzt. Die Regale an den Wänden sind bis zur Decke mit Gesellschaftsspielen vollgestellt. Es wird gelacht, getrunken, diskutiert. Einer der Besucher im Brettspielcafé ist Daniel, er ist heute allein hierhergekommen: „Ich habe das Café entdeckt und gefragt, was man machen kann, wenn man keine Gruppe hat – da meinten sie: Bei der Board-Game-Night kann man auch allein einfach mitspielen.“
Einmal im Monat findet die Board-Game-Night statt, ein Ticket kostet acht Euro, aus Fremden werden Mitspielerinnen und Mitspieler. Die Regeln werden am Tisch erklärt, schnell kommt man miteinander ins Gespräch. Daniel kommt jetzt regelmäßig.
Daan Stapelbroek hat den Bingo Club in Köln gegründet. Auf die Idee kam er bei einem Besuch in Kopenhagen.
Vom Nischenhobby zum Nachbarschaftstreff
Das Brettspielcafé am Kölner Südbahnhof ist fast immer ausgebucht. Betreiber Daan Stapelbroek hat das Konzept mit seiner Freundin im Urlaub in Kopenhagen kennengelernt. Als er kurze Zeit später mit ihr nach Köln zog, hat er sich auf die Suche nach einem Brettspielcafé begeben. Es gab keins. Also hat er selbst eins gegründet: den Bingo Club.
„Wir haben gedacht, die ersten zwei, drei Jahre sind wir nur damit beschäftigt, den Leuten zu erklären, was ein Brettspielcafé ist. Aber die Leute kamen sofort und erzählten es weiter. Jetzt haben wir eher das Problem, dass so viele Leute reservieren, wie kriegen wir das alles verarbeitet?“, sagt Stapelbroek.
Für 3 Euro können Gäste außerhalb der Board-Game-Night aus rund 600 Spielen wählen, vom Klassiker „Die Siedler von Catan“ bis zu Erzähl- oder Strategiespielen. Man habe im Grunde nie ausgespielt, sagt Stapelbroek.
Kooperative Brettspiele liegen im Trend
Mittlerweile eröffnen deutschlandweit immer mehr Brettspielcafés, Spieleclubs und -vereine. Gerade Menschen, die neu in einer Stadt sind, finden hier Anschluss. Denn Brettspiele sind längst kein Nischenhobby mehr: Rund 5,6 Millionen Deutsche spielen regelmäßig Brett- oder Kartenspiele. Der Markt bleibt auch nach dem Pandemie-Boom lebendig und stabil: 1.000 bis 1.500 neue Spiele erscheinen jährlich.
Der Berliner Spieleforscher Jens Junge sieht im Boom der analogen Brettspiele eine Gegenbewegung zum Digitalen, eine Sehnsucht nach echter Begegnung: „Das ist tatsächlich Digital Detox, also digitale Entgiftung. Man möchte einfach die Kiste auslassen und wieder das normale Menschsein spüren.“
Junge leitet das Institut für Ludologie und forscht zur Wirkung von Spielen. In diesem Jahr gründete er mit weiteren Expertinnen und Experten die Deutsche Gesellschaft für Spielwissenschaft. Seine Lehr- und Forschungssammlung umfasst rund 82.000 Brettspiele. Einen aktuellen Trend sieht er in kooperativen Spielen, die auf Interaktion und Abstimmung basieren: „Da kommt es auf unterschiedliche Perspektiven an, um die kreativen Herausforderungen des Spiels zu meistern.“
Katharina und Andreas haben sich über Brettspiele kennengelernt – mittlerweile erklären sie den Gästen im Bingo Club die Spielregeln.
Wenn Spielen verbindet
Auch das aktuelle Spiel des Jahres „Bomb Busters“ gehe in diese Richtung – ebenso wie „Dorfromantik“ und „Sky Team“ in den Jahren zuvor: „Das Gemeinschaftserlebnis, das da generiert wird, und die Emotionen, die darüber geweckt werden – das ist ein ganz eigenes Spielerlebnis. Das schafft kein Computerspiel, das schafft auch kein Buch“, findet Junge.
So ähnlich sehen das auch Katharina und Andreas. Das Paar hat sich über Brettspiele kennengelernt, mittlerweile erklären sie den Gästen im Bingo Club die Regeln zu weniger bekannten Spielen. Seit Katharina in Düsseldorf 2017 zum ersten Mal in ein Brettspielcafé gegangen ist, will sie immer wieder neue Spiele entdecken. Damals kannte sie nur gängige Spiele wie Monopoly. „Nach ungefähr ein, zwei Wochen wollte ich gar nichts mehr von Monopoly wissen. Da war ich komplett drin, dass ich dachte: Oh Gott, was ist das denn hier für eine ganz neue Welt, die mir eröffnet wird?“
Andreas ist Ende 30 und hat seinen Job als Fotograf an den Nagel gehängt, um im Bingo Club zu arbeiten: „Ich führe kleine Statistiken: In den letzten 365 Tagen habe ich über 700 Spiele gespielt.“ Das größte Hindernis, um neue Spiele kennenzulernen, seien die Anleitungen. Am einfachsten sei es, wenn jemand das Spiel erklärt, der es schonmal gespielt hat.
Große Erwartungen an die Messe
So wie in dieser Woche in Essen. Katharina und Andreas werden hier an einem Stand das neue Spiel des Autorenpaars Inka und Markus Brand erklären – auf der, nach eigenen Angaben, weltweit größten Publikumsmesse für Brettspiele: Am 23. Oktober öffnet die „Spiel“ ihre Tore.
Nach dem Rekordjahr 2024 werden auch dieses Jahr wieder 200.000 Besucherinnen und Besucher erwartet. Darunter ist auch Spieleforscher Jens Junge. Er hat konkrete Erwartungen an die Politik. Im März 2025 erkannte die UNESCO Brettspiele als immaterielles Kulturerbe an – für ihn ein wichtiger Schritt nach acht Jahren im Kampf für die Anerkennung von Spielkultur.
Doch er sieht weiteren Handlungsbedarf, besonders bei Forschungsministerin Dorothee Bär, die auch für Gaming zuständig ist: Er fordert eine Nationalbibliothek für Brettspiele. „Wir haben eine deutsche Nationalbibliothek, die sammeln Bücher und Musik und die ganzen deutschen Kulturgüter, aber sie sammeln eben alles außer Spiele. Und da ist noch ein dickes Brett zu bohren, um im Bild der Brettspiele zu bleiben.“
Die Gäste im Bingo Club wissen auch die Atmosphäre dort zu schätzen: „Die Community ist einfach super.“
Alle sind willkommen
Bis dahin werden Brettspiele vor allem in privaten Sammlungen bewahrt. Bei Katharina und Andreas stapeln sich mehr als 400 davon in der Kölner Wohnung – liebevoll sortiert sind sie Teil der Einrichtung geworden. Zum Ausprobieren neuer Spiele gehen sie in den Bingo Club.
„Die Community ist einfach super, man wird herzlich aufgenommen. Und wenn man sich noch mehr damit auseinandersetzen möchte, ist die Barriere sehr gering, um Leute kennenzulernen, die sich noch intensiver mit Brettspielen beschäftigen“, sagt Katharina. Andreas ergänzt: „Und auch sehr offen – also für alle Menschen, von allen Typen, alle Religionen. Ob groß, ob klein: Alle können sich zusammensetzen und spielen gemeinsam. Was kann es Schöneres geben?“