interview
Stand: 08.12.2025 20:23 Uhr
Die neue Sicherheitsdoktrin der USA ist eine Kampfansage an die EU, sagt der Historiker Manfred Berg. Sie stehe für den Versuch einer Spaltung und eine Radikalisierung der US-Außenpolitik. Und sie werde nach Trump nicht verschwinden.
tagesschau.de: Welche Kernveränderungen bringt die neue US-Sicherheitsdoktrin im Vergleich zu der bisherigen strategischen Ausrichtung der USA mit sich?
Manfred Berg: Eine Kernveränderung kann ich in dem Sinne gar nicht erkennen, sondern eine Radikalisierung. Wir haben diese Töne von der Trump-Administration seit langem gehört – ich erinnere nur an die Münchner Sicherheitskonferenz und die Rede von US-Vizepräsident JD Vance.
Insofern ist diese neue Strategie eine Zusammenfassung, die uns ziemlich klar vor Augen führt, in welche Richtung die amerikanische Außenpolitik sich insbesondere gegenüber Europa in den kommenden Jahren bewegen wird.
Zur Person
Manfred Berg ist Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg. Sein 2024 erschienenes Buch „Das gespaltene Haus. Eine Geschichte der Vereinigten Staaten von 1950 bis heute“ behandelt die Polarisierung der US-Politik und Gesellschaft.
„USA suchen den Schulterschluss mit rechtspopulistischen Kräften“
tagesschau.de: Was zeichnet diese Radikalisierung denn aus?
Berg: Es ist im Grunde eine Kampfansage an Europa. Die Europäische Union wird als Gegner angesprochen. Die Trump-Regierung möchte am liebsten die Europäische Union auflösen und mit den europäischen Staaten bilaterale Beziehungen führen oder zumindest eine Rückstufung der Europäischen Union zu einer Art Freihandelszone. Das kann man zumindest zwischen den Zeilen lesen.
Was ich besonders radikal finde, ist, dass dieses Papier ein geradezu völkischer Tonfall auszeichnet. Was die USA betrifft, ist davon die Rede, Amerika brauche starke Familien mit gesunden Kindern. Das erinnert an die Sprache völkisch-nationalistischer Bewegungen und Regime. Was Europa betrifft, wird insbesondere die demographische Transformation, die ja im Übrigen auch die USA erleben, als ein Problem angesehen. Europa wird als verfallende Kultur angesehen, die ihre zivilisatorischen Werte verrate. Die Migration und die demografische Transformation der europäischen Nationen werden als großes Problem angesehen.
Die Trump-Regierung macht auch keinerlei Geheimnis daraus, dass sie den Schulterschluss mit rechtspopulistischen Kräften, die sie als Gralshüter der westlichen Zivilisation sieht, sucht. Das ist im Kern nicht neu, aber es ist in dieser radikalisiert vorgetragenen Fassung doch in vieler Hinsicht atemberaubend.
tagesschau.de: Ist das insofern der Versuch, die Europäische Union zu spalten oder die Spaltung, die sich jetzt schon in Teilen abzeichnet, noch zu vertiefen?
Berg: Trump hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die Europäische Union als Gegner ansieht und dass er die Kräfte in Europa gerne gestärkt sehen möchte, die gegen die Europäische Union eingestellt sind. Das sind neben Ungarns Regierungschef Viktor Orban oder etwa der PiS in Polen die rechtspopulistischen Bewegungen in Deutschland und in anderen Staaten, auch in Frankreich. Natürlich ist es ein Versuch, die Europäische Union und die Europäer zu spalten.
„Die USA fordern ihre alte Hegemonialrolle zurück“
tagesschau.de: Sie verfolgen die Polarisierung in den USA schon über einen langen Zeitraum. Das Papier selbst bezieht sich auf die isolationistische Monroe-Doktrin aus dem 19. Jahrhundert. Steht es denn tatsächlich auch in dieser Tradition?
Berg: Die ursprüngliche Monroe-Doktrin lautete „Amerika den Amerikanern“. Die USA verwahrten sich 1823 dagegen, dass die Europäer versuchen könnten, erneut Kolonien in den Amerikas zu gründen. Der Hintergrund war der lateinamerikanische Freiheitskampf gegen Spanien. Hinter der Monroe-Doktrin stand aber ein Hegemonieanspruch. Und den spitzte zu Beginn des 20. Jahrhunderts Präsident Theodor Roosevelt dahingehend zu, dass er verkündete, die USA müssten eine Art Polizeirolle in Lateinamerika spielen.
Daran knüpft Trump unverhohlen an. Die USA fordern ihre alte Hegemonialrolle zurück, die ihr die Kontrolle über strategisch wichtige Rohstoffe und Gebiete gibt. Hier ist wohl der Panamakanal gemeint, den die USA am Ende des 20. Jahrhunderts an Panama zurückgegeben haben, was amerikanische Nationalisten nie akzeptiert haben. Das ist im Grunde genommen nicht so sehr ein Rückfall ins frühe 19. Jahrhundert, sondern eher ins frühe 20. Jahrhundert, als die USA nach Belieben in Lateinamerika und der Karibik intervenierten.
„Trump will die Weltordnung radikal neu definieren“
tagesschau.de: Wo bleiben in dieser Situation in den USA die klassischen Transatlantiker, die eine transatlantisch ausgerichtete Außenpolitik befürworten?
Berg: Das fragt man sich in der Tat. Ich glaube, dass es viele Leute im Militär gibt, die selbstverständlich wissen, wie wichtig die NATO und das transatlantische Bündnis für die amerikanische Weltmachtstellung sind. Diese Leute finden im Augenblick nicht sehr viel Gehör.
Dasselbe gilt für die Transatlantiker innerhalb der Republikanischen Partei und selbst innerhalb der Trump-Administration. Außenminister Marco Rubio spielt ja kaum eine Rolle. Er war auch an dem sogenannten Friedensplan, den Trump vor einiger Zeit für die Ukraine vorgelegt hat, nicht beteiligt.
Es gibt natürlich bei der Opposition und in den intellektuellen Kreisen sehr viel Kritik. Einige Beobachter haben kürzlich davon gesprochen, die USA seien mit dieser Strategie dabei, sich von ihrer Weltmachtrolle zu verabschieden. Ich glaube eher, Trump will die Weltordnung und die Rolle der USA in dieser Weltordnung radikal neu definieren – weg vom Globalismus, weg vom Demokratieexport, weg von dem, was man in Deutschland wertegeleitete Außenpolitik nennt.
Im besten Falle geht es um ein Konzert der Weltmächte. Russland wird nicht mehr als Gegner betrachtet, im Gegenteil. Die USA sehen sich als Vermittler, um, wie es in diesem Papier heißt, „strategische Stabilität“ zwischen Europa und Russland herzustellen. Die transatlantische Allianz, wie wir sie seit dem frühen Kalten Krieg kannten, existiert nicht mehr, jedenfalls nicht unter den Bedingungen, wie sie die Trump-Administration derzeit definiert.
„Die EU muss einig und konsequent sein“
tagesschau.de: Was kann die EU da tun?
Berg: Wir reden seit langem von nichts anderem, als dass die EU Einigkeit zeigen und konsequent sein muss, dass sie ihr ökonomisches Potenzial ausspielen muss, dass sie sich in Richtung auf ein Militärbündnis entwickeln muss. Jedenfalls werden wir nicht erwarten können, dass wir in absehbarer Zeit zu dem transatlantischen Verhältnis vor Trump zurückkehren werden. Das ist unrealistisch – auch wenn er in einigen Jahren nicht mehr auf der politischen Bühne sein wird.
Nur scheitern diese Appelle an die Europäer oft an den nationalen Interessen. Und darauf spekuliert die Trump-Administration. Wir sind 27 Staaten in der Europäischen Union, die immer zuerst an ihre nationalen Interessen denken. Was die EU braucht, ist starke Führung, aber Deutschland und Frankreich, die Führungsmächte innerhalb der EU sein müssen, sind selbst politisch zunehmend instabil und ökonomisch geschwächt.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de. Das Interview wurde für die schriftliche Fassung leicht angepasst.









