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Brombeerkoalition in Thüringen Von der Hexenküche zum Regelbetrieb
Stand: 14.12.2025 11:40 Uhr
Seit einem Jahr wird Thüringen von einer neuen Landesregierung geführt – unter schwierigen Bedingungen. Die Brombeerkoalition aus CDU, BSW und SPD hat keine eigene Mehrheit im Landtag. Wie funktioniert das?
Es gab eine Zeit, da war das politische Thüringen in überregionalen Medien immer für eine Schlagzeile gut. Vor 16 Jahren verunglückte CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus auf der Skipiste, eine Frau starb. Seine Christdemokraten hielten trotzdem an ihm fest und verspielten damit die absolute Mehrheit bei der Landtagswahl. Althaus warf das Handtuch, die CDU musste mit der SPD koalieren.
Fünf Jahre später zog Bodo Ramelow als erster und bislang einziger Ministerpräsident der Linken in die Staatskanzlei ein, wiederum fünf Jahre später irrlichterte mit dem damaligen FDP-Politiker Thomas Kemmerich erstmals ein Regierungschef von AfD-Gnaden durch eine deutsche Staatskanzlei – wenn auch nur für wenige Tage.
Danach arbeitete sich noch einmal eine linksgeführte Landesregierung an den Herausforderungen durch Flüchtlinge, Corona und den russischen Angriffskrieg ab. Nach fünf Jahren Dauerkrisenmodus ging die Landtagswahl für Rot-Rot-Grün im vergangenen Jahr verloren.
Die Thüringer AfD, die der Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ einstuft, konnte von der Regierung träumen. Thüringen, das Politlabor der Republik – oder eher die Alchemistenküche?
Ein geräuschloses Regieren ist möglich
Ein Jahr später ist das kleine Land in der Mitte Deutschlands aus den Schlagzeilen verschwunden. Seit zwölf Monaten regiert mit der sogenannten Brombeere eine Koalition aus CDU, SPD und BSW. CDU-Politiker Mario Voigt koaliert also gleichzeitig mit der ältesten und der jüngsten Partei in Deutschland.
Seine Regierungskoalition kommt im Landtag gerade einmal auf die Hälfte der 88 Sitze – rein rechnerisch ein Patt. Wenn die Brombeere im Plenum etwas durchsetzen will, ist sie auf die Opposition angewiesen.
Doch das Konstrukt funktioniert. „In Thüringen haben wir eine ungewöhnlich stabile Koalition“, sagt der Erfurter Politikwissenschaftler Thorsten Thiel. „Gerade angesichts der Ausgangslage.“
Anders als in Sachsen haben sich CDU, BSW und SPD in Thüringen überhaupt erst einmal zu einer Koalition zusammengefunden. Anders als Friedrich Merz im Bundestag wurde Mario Voigt im Thüringer Landtag gleich im ersten Wahlgang zum Regierungschef gewählt. Und anders als in Brandenburg stellt der Thüringer BSW-Landesverband die Koalition nicht jeden Tag infrage, obwohl die Einflussversuche von Parteigründerin Sahra Wagenknecht in Erfurt genauso spürbar sind wie in Potsdam.
„Wir haben im Landesverband eine deutliche und klare Mehrheit für die Regierungsbeteiligung“, sagt BSW-Landtagsfraktionschef Frank Augsten. „In der Fraktion ist die Zustimmung eher noch größer.“ Bis jetzt haben die Thüringer Regierungsfraktionen die ausgehandelten Kompromisse immer mitgetragen – auch das ist ein Gegenbild zur Situation im Bundestag.
Mit den Linken kann man reden
Warum ist das so? Nur die Hälfte der Stimmen im Landtag zu haben, sei disziplinierend, hört man aus der Koalition.
Es sei auch ganz praktisch, dass auf der Oppositionsseite mit AfD und Linken zwei grundsätzlich verschiedene Parteien stünden, lässt CDU-Fraktionschef Andreas Bühl durchblicken. Aus dem Patt im Landtag werde so eine „Quasi-Mehrheit“. Es sei nicht zu erwarten, dass Linke und AfD bewusst und geplant miteinander abstimmten.
In der Landtagsrealität habe es die Brombeere mit einer konstruktiven und einer destruktiven Opposition zu tun. Mit den Linken könne man reden, mit der AfD nicht. Auch wenn Unvereinbarkeitsbeschlüsse zu beiden Parteien existierten: Jedem in der CDU sei klar, dass der Hauptgegner auf der politischen Bühne die AfD ist.
Linke im Wechselbad der Gefühle
Bleiben also die Linken, mit deren Hilfe die Brombeere die Ministerpräsidentenwahl gestemmt und ihren ersten Landeshaushalt durchgebracht hat. Und die angekündigt haben, dem nächsten Haushalt – geplant ist ein Doppeletat für 2026 und 2027 – durch Enthaltung zur Mehrheit zu verhelfen.
„Für uns als Linke war das ein Ping-Pong-Spiel“, sagt Landeschefin Katja Maurer. „Was können wir in den Verhandlungen mit der Brombeere an eigenen Projekten durchsetzen? Gleichzeitig machen uns die Vereine und Verbände Druck, dass es einen Haushalt mit finanziellen Zusagen gibt statt Chaos.“ Pragmatismus und Realitätssinn sei bei den Thüringer Linken noch ausreichend vorhanden – hinüber gerettet aus zehn Jahren Regierungsverantwortung. Ein Freifahrtschein für die Zukunft der Brombeere sei das aber nicht, sagt Maurer.
Die Linken haben also einen pragmatischen Blick aus der Regierung in die Opposition mitgebracht. Bei Ministerpräsident und CDU-Landeschef Voigt ist es umgekehrt: Er konnte in der Zeit vor dem Machtwechsel genügend Erfahrungen in konstruktiver Opposition sammeln.
Immerhin hat die CDU die rot-rot-grüne Landesregierung von der Wiederwahl Ramelows im Frühjahr 2020 bis zur Abwahl im Herbst 2024 bei wichtigen Entscheidungen im Landtag gestützt – und sei es durch Enthaltungen. Wenn Voigt also jetzt die Linken-Spitzen zum vertraulichen Gespräch in die Staatskanzlei einlädt, dann greift er dabei auf Erfahrungen zurück, die er ebendort als Gast des Ministerpräsidenten Ramelow gemacht hatte.
Nächste Wahl in vier Jahren – AfD klettert
Aber: „Wir entscheiden im Landtag von Sache zu Sache immer wieder neu“, sagt Linken-Chefin Maurer.
„Uns ist völlig klar, dass wir nicht mit jedem Gesetz oder Vorhaben eine Mehrheit finden werden“, sagt auch CDU-Staatskanzleiminister Stefan Gruhner. „Im politischen Spektrum stehen sich Linke und CDU nach wie vor grundsätzlich entgegen.“
Die AfD bezeichnet die Konstellation trotzdem abwechselnd als „Vierer-Koalition“ oder gleich als „Nationale Front“. In den Umfragen ist die AfD seit der Landtagswahl um weitere Prozentpunkte nach oben geklettert.
Die Regierungskoalition lässt das nicht kalt. Aber „Umfragen sind Umfragen“, sagt Staatskanzleiminister Gruhner. Abgerechnet werde in vier Jahren – bei der nächsten Landtagswahl 2029. „Entscheidend ist doch, ob wir bis dahin die Situation in Thüringen grundlegend gedreht haben.“









