Wirklich seltsame Literatur „Weird Girls“ erobern den Buchmarkt
Stand: 12.12.2025 03:27 Uhr
„Weird Girl Fiction“ trendet auf Instagram und TikTok. Mittlerweile werben auch Verlage mit dem Label „Weird Girl“. Was bedeutet der Trend und was macht den Reiz der Bücher aus?
Immer öfter landen Bücher in den Läden, in denen Frauen auf merkwürdige Weise dargestellt werden. Da gibt es Protagonistinnen, die anders ticken, extrem viele Beruhigungspillen schlucken, ein ganzes Dorf mit der Milch aus ihrer Brust ernähren oder sich in eine Zimmerpflanze verwandeln möchten. Das Körperliche sticht heraus. Die Charaktere sind darüber hinaus meist einsam, wurden verlassen, werden nicht geliebt oder auch einfach ignoriert – doch die Physiologie steht oft im Vordergrund.
In Buch „Nightbitch“ von Rachel Yoder glaubt eine Frau, die für ihren Sohn und ihren Mann ihre Karriere aufgegeben hat, sich nach und nach in eine Hündin zu verwandeln. In „Die Vegetarierin“ von Literaturnobelpreisträgerin Han Kang möchte die Protagonistin als Pflanze leben – bis an den Rand des Todes. Andere Titel der „Weird Girl Fiction“ sind Bestseller wie „Bunny“ von Mona Awad, ein Buch, das Horrorelemente beinhaltet. Als Klassiker gelten mittlerweile die Bücher von Ottessa Moshfegh, obwohl sie ihren ersten Roman erst 2015 veröffentlicht hat. „Eileen“ heißt das Buch, später erschien „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ und zuletzt „Lapvona“.
Aus den Sozialen Medien in die Verlage
Dabei existiert kein abgeschlossener Kanon der „Weird Girl Fiction“. Der Begriff verbreitete sich zunächst auf Social-Media-Kanälen von Booktokern, also Influencern auf TikTok. Mittlerweile hat die Verlagsbranche das Label übernommen und wirbt gezielt für eine bestimmte Leserschaft. „‚Weird Girl Fiction‘ ist ein Identifikationsangebot für alle, die sich als Außenseiterinnen fühlen“, sagt Sabine Metzger vom Ecco-Verlag, der ausschließlich Literatur von Frauen verlegt. „Und ehrlich gesagt, wer von uns tut das eigentlich nicht? Hier trifft Irritation auf Identifikation und das führt im besten Fall zu einem Lachen und gleichzeitiger Erkenntnis.“
Was als „weird“ oder „Weird Girl“ gilt, entscheiden noch Influencerinnen, Influencer oder die Verlage. Dennoch gibt es wiederkehrende Motive: Die Verwandlung etwa, die wörtlich gemeint sein kann. Aber auch das Infragestellen gesellschaftlicher Normen, ohne explizit zu werden. Oder die stille Verweigerung, eine Rolle einzunehmen – wie in „Die Vegetarierin“, in dem sich die Protagonistin gegen das Idealbild einer Ehefrau stellt. Oder seltsam anmutende Verhaltensweisen – wie beispielsweise die Frau, die Berge rohen Fleisches im Restaurant verschlingt, wie es im Buch „Nightbitch“ geschieht, in dem die Frau mit ihrer Mutterrolle ringt. Oder eine Protagonistin, die ein Leben im Schlaf anstrebt. Statt ihre Wäsche zu waschen, bestellt sie bergeweise Klamotten, ihre Karriere verdorrt. Andere junge Frauen steigern sich so stark in eine Fantasiewelt hinein, dass sie einen Mord begehen.
Protagonistinnen sind keine Sympathieträgerinnen
Das „Weirde“, das Seltsame, bezieht sich dabei einerseits auf die Protagonistinnen selbst, andererseits auf nicht erklärbare Elemente: plötzlicher Reichtum, eine merkwürdige Angewohnheit oder die Stimmung, die die Erzählung in eine leicht verfremdete Atmosphäre taucht. Gleichzeitig evoziert das Gelesene bei den Lesenden ein irritiertes bis ungutes Gefühl, denn die Protagonistinnen müssen keine Sympathieträgerinnen sein.
Und doch eröffnen die Geschichten einen schier unendlichen Interpretationsspielraum und machen die Bücher so offenbar für eine breitere Leserschaft zugänglich. „Weird Girl Fiction“-Bücher sind nicht per se feministisch, der Ausbruch aus patriarchalen Verhältnissen ist selten Thema, ungesunde Arten der Verweigerung sind die Regel.
Zugleich ist dies auch das Faszinosum, findet Sabine Metzger vom Ecco-Verlag, „weil die Protagonistinnen eben nicht der feministischen Norm entsprechen. Da sind die Hauptfiguren beispielsweise, die dieses dysfunktionale Verhalten zeigen. Sie lassen sich rücksichtslos auf ihre eigenen Bedürfnisse ein. Und wir als Leserinnen und Leser schauen ihnen entspannt bei ihren Fehlentscheidungen zu. In dem glücklichen Wissen, dass es uns nicht persönlich betrifft.“
