Stand: 05.10.2025 11:57 Uhr
„Tschechien zuerst“ lautet das Credo von Ex-Premier Babis, der nach der Parlamentswahl gute Chancen hat, den Posten erneut zu besetzen. Sind das nur populistische Versprechen? In Brüssel sorgen sie für Nervosität.
Die Evropská ist eine der großen Prager Ausfallstraßen. Sie zieht sich vom Stadtzentrum hinaus Richtung Flughafen – und in Richtung Westen. Seit Jahren steht sie sinnbildlich für den Kurs des Landes: fest verankert in der EU, klar orientiert nach Brüssel. Doch nach dieser Wahl könnte Tschechien politisch abbiegen.
Vier Jahre nach seiner Abwahl steht der Agrar-Milliardär Andrej Babis mit seiner populistischen ANO-Bewegung wieder im Mittelpunkt der Politik – triumphierend, mit hochgereckten Armen, singt er mit seinen Anhängern im Siegestaumel zu einem italienischen Popsong. „Wir wollen, dass Tschechien in Europa der beste Ort zum Leben wird“, ruft er in den Saal. „Dafür werden wir alles tun. Alles, glauben Sie mir.“
Ende eines vertrauten Kurses
Bislang wurde das Land von einer Mitte-Rechts-Koalition unter Premier Petr Fiala geführt, die Tschechien fest auf Westkurs hielt und zu den entschlossensten Unterstützern der Ukraine gehörte. Nun ist diese Ära vorbei. Fiala gratulierte seinem Herausforderer und räumte ein, das Ergebnis sei klar – man müsse es als Demokrat akzeptieren.
Babiš hatte den Wahlkampf zu einem Referendum über diesen Kurs gemacht. Waffenlieferungen an Kiew will er beenden, die tschechische Munitionsinitiative stoppen. „Wenn wir kein Geld für Medikamente und soziale Bedürfnisse haben, müssen wir uns zuerst um unsere eigenen Bürger kümmern“, wiederholte er immer wieder. Seine Themen waren greifbar: steigende Lebenshaltungskosten, teure Energie, der Wunsch nach Sicherheit im Alltag.
Zwischen Prag, Budapest und Bratislava
Politisch bewegt sich Babis längst in Richtung der nationalkonservativen Nachbarn. Mit Ungarns Viktor Orban und dem slowakischen Premier Robert Fico verbindet ihn mehr als nur Sympathie. Genau wie sie betont er nationale Interessen, kritisiert „die Bürokraten in Brüssel“ und lehnt Teile des europäischen Green Deals ab – ungeachtet dessen, dass er ihn selbst als Regierungschef mit verabschiedet hat. Gleichzeitig versichert Babis, Tschechien bleibe „pro-europäisch und pro-NATO“.
Versprechen in alle Richtungen, von denen viele nur schwer unter einen Hut zu bringen sein werden – auch das ist ein Ausdruck des Populismus. „Niemand gibt dir so viel, wie Babis dir verspricht“, witzeln die Tschechen.
Auf der Suche nach Mehrheiten
Babis möchte am liebsten allein regieren, wird aber Partner brauchen. Er spricht mit der rechtsextremen Partei „Freiheit und direkte Demokratie“ von Tomio Okamura und mit der neuen Autofahrerpartei. Beide eint die Ablehnung weiterer Ukraine-Hilfen und eine deutliche Skepsis gegenüber Brüssel. Okamura fordert sogar ein Referendum über den EU-Austritt, was Babis ablehnt. Doch der Ton im Land verschiebt sich.
In Brüssel und Kiew beobachtet man diese Gespräche mit Sorge. Eine solche Allianz könnte Tschechien näher an Ungarn und die Slowakei führen, Länder, die Russland gegenüber deutlich nachsichtiger auftreten.
Über Babis hängt zudem weiter der Schatten der „Storchennest-Affäre“: Ein Gericht hob seinen Freispruch auf, es geht um mögliche Unregelmäßigkeiten bei EU-Subventionen. Zugleich besitzt er ein Firmenimperium mit Hunderten Betrieben. Das ist ein Dauerthema für Kritiker, die Interessenkonflikte sehen.
Europa im Wandel
Präsident Petr Pavel, ehemaliger NATO-General und klar proeuropäisch, nimmt heute mit allen Vorsitzenden der im neuen Parlament vertretenen Parteien Gespräche zur Regierungsbildung auf. Er verlangt Transparenz, bevor er über den Regierungsauftrag entscheidet.
Die Wahl in Tschechien steht nicht allein. In vielen europäischen Ländern gewinnen populistische und nationalkonservative Parteien an Gewicht: in Ungarn, der Slowakei, Österreich, Frankreich oder den Niederlanden. Überall gerät die politische Mitte unter Druck, während Populisten einfache Antworten auf komplexe Krisen versprechen.
Tschechien war lange ein verlässlicher Partner der EU und ein entschiedener Unterstützer der Ukraine. Nun könnte sich diese Rolle verändern. Der Politologe Josef Mlejnek merkt aber an: Babis sei unideologischer Pragmatiker. Er werde Europa das Verhandeln schwerer machen, aber wohl nicht alles umstoßen.
Ein Land an der Weggabelung
Die Prager Evropská-Straße führt auch am Morgen nach der Wahl unbeirrt weiter hinaus zum Flughafen, hinaus nach Europa. Für die Prager ist sie eine der wichtigsten Verkehrsadern – ob das auch in politischer Hinsicht so bleibt, ist nach der Wahl offener denn je.