Alpha-Gal-Syndrom Wenn der Zeckenstich eine Fleischallergie auslöst
Stand: 09.10.2025 06:17 Uhr
Zecken können nicht nur Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis übertragen. Sie können auch Allergien gegen Rind, Schwein und Milchprodukte auslösen.
Bis Ende Oktober dauert in Deutschland normalerweise die Zecken-Hauptsaison. Schon jetzt werden die Tage kälter und viele Tiere inaktiv. Damit sinkt auch das gesundheitliche Risiko für uns Menschen – auch was Allergien angeht.
Denn dass Zecken Krankheiten übertragen können, wissen inzwischen viele. Was weniger bekannt ist: Die Zeckenstiche können auch Allergien gegen bestimmte Lebensmittel auslösen. Alpha-Gal-Syndrom nennt sich das Phänomen, benannt nach dem Zucker, den die Zecken in ihrem Speichel haben.
Ein Zucker als Allergen
Nach dem Kontakt mit Alpha Gal beim Zeckenstich reagiert der Körper der Betroffenen allergisch auf den Zucker, der auch in manchen Lebensmitteln vorkommt. „Normalerweise sind Zucker keine Allergene, sondern es sind immer Proteine, also Eiweißstoffe. Also, das ist ganz was Besonderes“, sagt der Allergologe und Dermatologe Tilo Biedermann von der Technischen Universität München.
Alpha Gal kommt zum Beispiel im Fleisch von den meisten Säugetieren, wie Schweinen und Rindern, vor, in geringeren Mengen aber auch in Milchprodukten und sogar in einigen pflanzlichen Produkten, wie dem Karrageen aus Algen – einem Bestandteil von Tortenguss und manchen Marmeladen. Menschen und auch Menschenaffen haben im Laufe der Evolution die Fähigkeit verloren, den Zucker zu produzieren. Dadurch kann es zu den allergischen Reaktionen kommen.
Soforttyp mit später Wirkung
Die Symptome des Syndroms umfassen: Hautausschläge, Juckreiz, Nesselsucht und Schwellungen im Gesicht, Rachen oder an den Augenlidern. Dazu Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. In besonders schweren Fällen Atemnot oder auch ein anaphylaktischer Schock.
Bei der Allergie handelt es sich um einen sogenannten Soforttyp. Bei anderen Allergien bedeutet das, dass die Symptome innerhalb einer halben Stunde nach dem Kontakt auftreten. Fleisch zu verdauen, dauert aber häufig besonders lange. Die Symptome könnten deshalb auch erst später, zum Beispiel mitten in der Nacht, auftreten, so Tilo Biedermann. „Ich glaube, das ist der Grund, warum man dieses Krankheitsbild so lange nicht verstanden hat“, sagt er.
Immer mehr Fälle in den USA
Denn erstmalig beschrieben wurde das Alpha-Gal-Syndrom im Jahr 2009 in den USA. Dort schätzte die Behörde für Krankheitskontrolle und -prävention die Zahl der Betroffenen im Juni dieses Jahres auf bis zu 450.000.
Die Fallzahlen steigen dabei kontinuierlich an. Das kann zwei Gründe haben, erklärt die medizinische Entomologin Lee Haines von der Notre Dame University in den USA. Denn zum einen würden sich durch den Klimawandel und die wärmeren Winter sowohl die Zecken als auch ihre Wirte, wie Rehe und Mäuse, weiter ausbreiten. Zum anderen wüssten inzwischen aber auch mehr Menschen über das Syndrom Bescheid. „Und weil es häufiger in den Nachrichten vorkommt, entsteht der Eindruck, dass es sich ausbreitet“, sagt Lee Haines.
Auch in Deutschland verbreitet
Das Syndrom kommt aber nicht nur in den USA vor, wie häufig angenommen wird. Wie hoch die Zahl in Deutschland ist, ist nicht bekannt. Bisher gibt es dazu keine epidemiologischen Studien. Tilo Biedermann hat als Chefarzt in Deutschland schon viele Betroffene behandelt und geht davon aus, dass die Zahlen gerade in Gebieten mit vielen Zecken nicht gering sind. „In den allergologischen Zentren hier kennen eigentlich alle dieses Krankheitsbild, können danach suchen und die Diagnose stellen“, so Biedermann.
Lange hieß es auch, dass nur eine Zeckenart, die sogenannte Lone-Star-Zecke, die Allergie auslösen kann. Die kommt in Deutschland kaum vor. Es können aber viele Arten das Syndrom auslösen, sagt Lee Haines. In Deutschland sei das zum Beispiel der Gemeine Holzbock. Diese Art ist hierzulande am weitesten verbreitet. „Es gibt jedoch noch andere Arten in Deutschland, die möglicherweise ebenfalls diesen Zucker Alpha Gal in ihrem Speichel haben könnten. Wir benötigen da einfach mehr Forschung“, so Haines.
Saugen und Würgen führt zur Allergie
Dass es ausgerechnet Zecken sind, die die Allergien auslösen, hängt vermutlich mit ihrer Art zusammen, an das menschliche und tierische Blut zu kommen, sagt der Allergologe Biedermann: „Das liegt wahrscheinlich daran, dass Zecken einen nicht anfliegen, stechen und wieder weg sind, sondern sich verbeißen und saugen und wieder reinwürgen und saugen und wieder reinwürgen.“ Der Austausch mit dem Alpha Gal sei deshalb besonders intensiv. „Dadurch ist es wie so eine Impfung, die dann zur Allergie führt und nicht zur Abwehr.“ Lee Haines ergänzt: „Wir reagieren nicht von Natur aus mit einer allergischen Reaktion, wenn wir etwas essen. Man muss zuerst durch etwas sensibilisiert werden, das einem injiziert wird.“
Um zu überprüfen, ob Menschen die Allergie haben, kann man sie mit Hauttests und auf bestimmte Antikörper im Blut testen. Ist das Syndrom nachgewiesen, ist Vorsicht bei bestimmten Lebensmitteln angesagt. Insbesondere Innereien, wie Schweinenieren, haben besonders hohe Konzentrationen an Alpha Gal. Ganz vermeiden sollte man den Zucker auch bei einem nachgewiesenen Syndrom nicht, so die Forschenden. Sonst würden die Reaktionen eventuell schlimmer. Spezielle Ernährungsberatungen können hier helfen, eine sichere Menge zu finden.
Je mehr Stiche, desto stärker das Syndrom
Um gar nicht erst ein Alpha-Gal-Syndrom zu entwickeln, sollte man sich vor allem durch entsprechende Kleidung und Lotionen vor Zeckenstichen schützen. Denn man muss nicht unbedingt eine besondere Veranlagung zu allergischen Reaktionen haben, um an dem Syndrom zu leiden, so Tilo Biedermann. Eher kommt es auf die Zahl der Stiche an: „Das ist schon so, dass diese Zecken jeden irgendwann, wenn man nur genug davon abbekommt, in die Richtung der Allergie treiben.“
Besonders gefährdet sind deshalb beispielsweise Menschen, die in der Forstwirtschaft arbeiten oder jagen und häufig von Zecken befallen werden. Sollte es dennoch zu Stichen kommen, könne es helfen, die Zecken so früh wie möglich zu entfernen, so Lee Haines.