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Rekordlauf an den Börsen Berauscht von KI – eine neue Blase an den Märkten?
Stand: 09.10.2025 10:53 Uhr
Euphorie rund um Künstliche Intelligenz lässt Tech-Aktien in immer schwindelerregendere Höhen steigen. Ist das noch gesund – oder kommt bald der Absturz? Ein Blick in die Historie hilft.
„An der Börse wird die Zukunft gehandelt“ – der bekannte Spruch ist keine hohle Phrase, sondern eine ziemlich treffende Beschreibung des täglichen Börsengeschehens. Exemplarisch ist dies seit mehreren Jahren bei den Unternehmen zu beobachten, die als Chip-, Hardware- oder Software-Unternehmen an der Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) arbeiten.
Glänzend erscheinende Geschäftsaussichten treiben die Aktien der US-Konzerne mit KI-Bezug auf immer neue Höhen. Andere, deren Geschäftsprozesse mit dem Einsatz von KI effizienter und profitabler werden oder werden könnten, ziehen nach. Schließlich profitieren auch fast alle anderen Branchen, nicht zuletzt weil eine höhere Arbeitsproduktivität geringere Kosten für die ganze Volkswirtschaft verspricht.
Die Börse werde von der Erwartung getragen, dass die hohen Investitionen in Chips und in Infrastruktur „sich in einigen Jahren in Form von konkreten Anwendungen, für die Unternehmen und Verbraucher dann kontinuierlich Geld bezahlen“ tatsächlich rechnen werden, erläutert Christian W. Röhl, Chief Economist von Scalable Capital. Entsprechend eilten die US-Aktienmärkte zuletzt von Rekord zu Rekord, während KI-Vorreiter Nvidia in den vergangenen drei Jahren über 1.400 Prozent zugelegt hat. Und auch der deutsche Leitindex DAX hat gerade eine neue Bestmarke erreicht.
„Beachtliche Überbewertung“
Ist das eine „Blase“ – also eine ungesunde Übertreibung an den Märkten? Blickt man auf die Bewertungen, muss die Antwort eindeutig ja lauten. Aktuell werden die Unternehmen im marktbreiten US-Aktienindex S&P 500 etwa mit dem 22-Fachen ihrer für das nächste Jahr erwarteten Gewinne bewertet. Der langfristige Durchschnitt dieses Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) liegt dagegen bei rund 16.
Ein Großteil dieser hohen Bewertungen stammt von den US-Technologie-Stars. Der KI-Liebling Nvidia wurde zuletzt sogar mit dem 48-Fachen seines erwarteten Gewinns bewertet. Die sogenannten „Magnificent 7“, also Alphabet, Amazon, Apple, Meta, Microsoft, Nvidia und Tesla zusammen, kommen auf ein KGV von 37. „Das Gewinnwachstum dieser Gruppe ist allerdings außergewöhnlich und ihre sind Aussichten gut, sodass ihre beachtliche Überbewertung gerechtfertigt erscheint“, meint Alexis Bienvenu, Fondsmanager beim französischen Vermögensverwalter LFDE.
Dennoch liegt nahe, dass irgendwann eine Korrektur erfolgen muss, die die Aktienbewertungen insgesamt wieder in die Nähe ihrer nachhaltigen Niveaus rückt. Auch wenn ein schwindelerregendes KGV bei einzelnen Unternehmen angesichts exorbitanter Wachstumsraten im Nachhinein gerechtfertigt sein mag – auch in solchen Fällen naht bei weiter steigenden Kursen unweigerlich das Ende der Fahnenstange.
Langfristig entscheidet der Gewinn
Das heißt, an der Börse wird zwar die Zukunft gehandelt, aber an einer zweiten fundamentalen Börsenregel führt kein Weg vorbei: Auf lange Sicht entscheidet nicht der projektierte, nicht der erhoffte, sondern der tatsächlich erwirtschaftete Gewinn darüber, wie hoch ein Unternehmen an der Börse bewertet wird – und ob es überhaupt überleben kann.
Ein Unternehmen, das dauerhaft keine Gewinne erzielt, wird eines Tages zahlungsunfähig sein und sein Börsenwert unweigerlich gegen Null sinken. Das geschah hundertfach beim Platzen der Internet-Blase Anfang der 2000er-Jahre. Damals wurde in einem dreijährigen schmerzhaften Börsenabstieg die Spreu vom Weizen getrennt. Aber auch die Unternehmen, die eine profitable Zukunft hatten, wurden auf vernünftigere Bewertungen zurechtgestutzt – und mit ihnen der gesamte Aktienmarkt. Das KGV, das schon damals als veraltet belächelt worden war, bewährte sich letztlich als längerfristiger Bewertungsmaßstab.
Vieles ist noch unklar
Der Vergleich mit der „Dotcom-Blase“ wird immer wieder bemüht, aber er liegt aus vielen Gründe nahe. Auch das Internet brachte eine tiefgreifende gesellschaftliche und wirtschaftliche Revolution, die Geschäftsmodelle geschaffen und andere grundlegend verändert hat. Und damals wie heute konnten auch Analysten kaum erkennen, in welchen Unternehmen die Chancen die Risiken übertreffen.
Und ähnlich wie heute blieben den meisten Marktteilnehmern viele Geschäftsmodelle unklar. „Grundsätzlich sehen wir heute wie vor 25 Jahren, dass massiv investiert wird in eine Zukunft, die noch gar nicht wirklich klar erscheint“, fasst Christian W. Röhl zusammen. „Man sieht viele Möglichkeiten und ist begeistert, berauscht von diesen Möglichkeiten.“
Wie hart könnte eine Korrektur werden?
Mit all dem ist aber noch nicht gesagt, wie lange sich diese Blase noch weiter aufblähen kann – und wann und wie sie platzen wird. Neben der tatsächlichen Gewinnentwicklung hängt das auch von zahlreichen weiteren Faktoren ab, vor allem dem geopolitischen Umfeld und der Zinsentwicklung. „Das Timing von möglichen Umbrüchen, von möglichen Korrekturen oder vielleicht auch Zäsuren ist eine Sache der Unmöglichkeit“, erläutert Röhl. Die Historie erlaubt aber wenigstens einige Hinweise auf das Wann und Wie.
Blickt man auf die Dauer der Dotcom-Blase, läuft die KI-Party bereits deutlich länger. Mit der Internet-Euphorie war bereits nach weniger als fünf Jahren Schluss. KI macht dagegen schon seit rund sieben Jahren Schlagzeilen an der Börse. Allein auf Basis der Bewertungen scheint es dennoch noch Luft zu geben: Ende 1999 wurden die 500 S&P-Unternehmen sogar mit dem etwa 30-Fachen ihrer erwarteten Gewinne bewertet.
Was die Art der Korrektur betrifft, können zumindest die europäischen Märkte auf einen milderen Verlauf hoffen. „Zwar werden die Aktien mit einem KGV von 15 pro Aktie beim EuroStoxx 50 ein wenig teurer gehandelt als zu ihrem langfristigen Durchschnitt von etwa 13, aber das ist bei weitem keine extreme Lage“, erklärt LFDE-Fondsmanager Bienvenu. In den USA könnte es dagegen zu heftigeren Verwerfungen kommen. Die jüngst bekannt gegebenen Verflechtungen großer Technologiekonzerne drohen diese noch zu verstärken, da sie die gegenseitigen Abhängigkeiten erhöht haben.