Stand: 13.10.2025 02:27 Uhr
Große Teile der Warmwasser-Korallenriffe haben ihren Kipppunkt erreicht und könnten absterben. Zu diesem Schluss kommt ein neuer Bericht. Es gibt aber auch Hoffnung und einen klaren Auftrag.
Von Janina Schreiber, SWR
Sie gelten als Regenwälder der Meere und sind mit ihrem Artenreichtum die wohl buntesten Ökosysteme der Erde: Korallenriffe. Sie schützen Küsten, sind Kinderstube für viele wichtige Meeresbewohner und essenziell für die Ernährung von Millionen Menschen weltweit.
Doch weil sich die Welt mittlerweile schon um fast 1,4-Grad im Durchschnitt erwärmt hat, macht ein neuer Bericht deutlich: Große Teile der Warmwasser-Korallenriffe könnten sehr wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten absterben, denn für viele sei bereits ein Kipppunkt erreicht.
Einige Kipppunkte möglich bei 1,5-Grad-Erderwärmung
Es ist nun das zweite Mal, dass ein internationales Team aus mehr als 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter anderem der Universität Exeter und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung den sogenannten Global Tipping Points Report veröffentlicht.
Darin fassen sie den aktuellen Forschungsstand zu mehr als 20 wichtigen Elementen im Klimasystem zusammen. „Das ist besonders deswegen relevant, weil wir fast schon 1,5 Grad Erwärmung erreicht haben und dort einige Klimakipppunkte drohen, überschritten zu werden“, sagt Nico Wunderling, Professor für Erdsystemwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt und einer der Autoren.
Klima-Kipppunkte
Die Forschung definiert mehr als 20 wichtige Elemente Klimasystem, die mit steigender Erderhitzung drohen, irreversibel zu kippen. Das bedeutet, haben sie ihren Zustand erst einmal verändert, ist das nur noch schwer oder gar nicht mehr rückgängig zu machen. Wichtige Elemente im Klimasystem sind zum Beispiel die Warmwasser-Korallenriffe, die Atlantische Meridionale Zirkulation (AMOC), die Eisschilde an den Polkappen oder der Amazonasregenwald.
Kippende Elemente können sich selbst verstärken
Die Forschenden gehen in dem Bericht davon aus, dass bis Mitte des nächsten Jahrzehnts, also ungefähr bis zum Jahr 2035, das 1,5-Grad-Limit im langjährigen Mittel überschritten wird. „Damit tritt die Welt in eine Hoch-Risiko-Phase ein“, warnt Wunderling. Denn dadurch steige das Risiko, dass der grönländische und der westantarktische Eisschild genau wie wichtige Meeresströmungen kippen.
Und: Kippende Elemente könnten sich selbst verstärken, ähnlich, wie aufgereihte, umfallende Domino-Steine. Bedeutet: Sollten die großen Eisschilde auf Grönland und Teilen der Antarktis weiter abschmelzen, könnte das auch dazu führen, dass sich Meeresströmungen weiter und womöglich schneller abschwächen – mit für Menschen fatalen Folgen wie viel kühlere Temperaturen über Europa und Nordamerika und einem Anstieg des Meeresspiegels sowie Überschwemmung von Küstenstädten.
Wunderling, meint, „das hieße New York, New Orleans, Hamburg, Jakarta, hätten größte Probleme gegen solch große Meeresspiegelanstiege vorgehen zu können.“
Unsicherheit in der Kipppunkte-Forschung
Dabei gibt es in der Forschung teils große Unsicherheiten über die Temperaturen des Kippens – für den Grönländischen Eisschild liegt der Kipppunkt zwischen 0,8 und 3,4 Grad Erwärmung. Außerdem zeigen sich die Folgen des Kippens teils sehr langsam, erklärt der Erdsystemforscher.
Sollte der Kipppunkt des grönländischen Eisschildes zu weit überschritten werden, selbst dann würde ein Abschmelzen mehrere Jahrhunderte dauern, manche Studien sagen sogar bis zu wenigen Jahrtausenden. „Es bedeutet nicht, dass morgen der Kölner Dom unter Wasser steht.“
Positive Kipppunkte: Wind- und Sonnenenergie
Der Bericht definiert auch positive Kipppunkte in der Gesellschaf, das heißt, Entwicklungen, die das Potenzial haben, die Klimaerhitzung abzumildern. Zum Beispiel: erneuerbare Energien wie die aus Wind und Sonne. Sie seien in den meisten Teilen der Welt schon heute günstiger als fossile Brennstoffe. Außerdem verdrängten Elektrofahrzeuge immer mehr Benzin- und Dieselfahrzeuge von den Straßen. Auch diese Entwicklung könnten sich als unumkehrbar und sich selbst verstärkend erweisen.
Pariser Klimaabkommen nicht verloren
Und genau diese Entwicklungen seien wichtig, sagt Wunderling. Denn das Pariser Klimaabkommen aus dem Jahr 2015 sei nicht verloren. „Das Paris-Abkommen sagt, dass wir 1,5 Grad zum Ende des Jahrhunderts erreichen wollen. Das heißt 1,5 Grad dann von oben zu erreichen, ist nach wie vor möglich und auch erstrebenswert.“
Die Idee: Die Menschheit überschreitet das 1,5-Grad-Limit nur temporär. Dafür müssten die Emissionen weltweit aber so schnell wie möglich stark sinken, CO2 müsste zusätzlich auch mit technischen Mitteln wieder aus der Atmosphäre entfernt werden.
Rückkehr zu 1,5-Grad möglich
So könnten zum Beispiel auch die großen Eisschilde gerettet werden, so Wunderling. „Stellen sie sich vor, man nimmt einen Eiswürfel aus dem Gefrierfach, legt den auf den Tisch. Wenn man den schnell genug wieder ins Gefrierfach legt, dann schmilzt der auch nicht ab, sondern ist noch da.“ Dafür sei es wichtig jetzt schnell ins Handeln zu kommen – je kürzer die temporäre Überschreitung, desto besser.
Weltklimakonferenz im Kippelement Amazonas
Die Weltklimakonferenz (COP30) in Brasilien sei ein wichtiger Zeitpunkt dafür, ins Handeln zu kommen, veranstaltet in Belém, einer Stadt im Amazonas Regenwald, der selbst ein Kippelement im Klimasystem ist. Doch für ihn ist nicht allein die globale Erwärmung relevant. Auch, wie viel Wald durch Abholzung verloren geht, spielt eine Rolle für die Stabilität des Amazonas.
Denn der Regenwald produziert sein eigenes Klima. „Das heißt, er lebt von sich selbst.“ Mit Abholzung funktioniert dieser Selbsterhalt nicht mehr, der Amazonas droht zu versteppen.
Der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva hat bereits die Werbetrommel gerührt für einen Fonds zum Schutz der Tropenwälder, der offiziell auf der COP30 starten soll. Brasilien selbst hat Milliardeninvestitionen angekündigt. Tropenwälder zu schützen sei ein guter Schritt, sagt Wunderling. Und letztlich müsse klar sein: An dem Ziel, die Emissionen so schnell wie möglich runterzufahren, müsse die Welt aber ebenso festhalten.