
Jugendwort des Jahres Wie sich die Sprache der Jugend verändert
Stand: 18.10.2025 06:20 Uhr
Keine Artikel und Präpositionen, dafür Digga, Bruda oder Checkst Du – Jugendjargon ist kreativ und ändert sich ständig. Genug Stoff, um jedes Jahr ein Jugendwort zu küren.
Seit Wochen werben Influencer in den sozialen Medien für goonen als Jugendwort 2025. Ein Grund: Sie wollen Susanne Daubner sehen, wie sie die Bedeutung dieses Slangs für stundenlange Selbstbefriedigung erklärt. Die Tagesschau-Sprecherin hat unter Jugendlichen schon einen gewissen Fame dafür, dass sie das Jugendwort auch auf TikTok, Instagram und Co. verkündet.
Die Influencer-Aktion zeigt eine Funktion des jugendlichen Jargons: Zuweilen soll er provozieren, die erwachende Sexualität spielt in diesem Alter ohnehin eine wichtige Rolle.
Mit ihrem Slang grenzen sich Jugendliche von der Erwachsenenwelt ab, signalisieren in ihre Gruppe oder Szene hinein Loyalität, teilen Lebensgefühl und Trends. Manchmal verschlüsseln sie auch ihre Kommunikation vor anderen. Letzteres ist allerdings nicht die Regel, wie Checkst Du oder Das crazy zeigen – beides gehört zu den Top 3 der aktuellen Jugendwort-Wahl und wird wohl auch von den meisten Erwachsenen verstanden.
Jugendliche nutzen viele allgemein bekannte Floskeln wie Aura, bodenlos oder meine Rede, allerdings mit leicht veränderter Bedeutung, sagt Germanistik-Professorin Konstanze Marx-Wischnowski von der Universität Greifswald. „Diese Phrase: ‚Das ist ja eine bodenlose Frechheit.‘ Oder auch so was wie gönnerisch irgendwie eine Äußerung mit ‚meine Rede‘ zu quittieren – das ist doch so eine richtige Erwachsenenhaltung.“
Feines Sprachgefühl
Teenager lösen die Worte aus dem ursprünglichen Kontext, verkürzen sie zuweilen und nutzen sie dann ironisch. Mit Sprachverlotterung hat das nach Ansicht der Sprachwissenschaftlerin nichts zu tun – eher im Gegenteil: „Das zeigt doch, wie fein das Gespür für Sprache ist, das Kinder und Jugendliche haben.“
Sprachpuristen mögen sich die Nackenhaare aufstellen, wenn sie zuweilen grammatikalisch etwas zu effiziente Floskeln vernehmen. Aber Floskeln wie „Ich geh Supermarkt“ ohne Präposition und Artikel sind bisher zumindest ein Phänomen der Jugend geblieben.
Teenager imitieren eben gerne bestimmte Phrasen und Verhaltenscodes und verbreiten sie damit innerhalb ihrer Altersgruppe. Zum Beispiel mit Digga, Bruda oder Bro: Gangsterrap lässt grüßen. Ein wichtiger Faktor dabei ist Coolness, Impulse kommen aus Filmen und Musik, von Influencern und Gamern – oder auch aus anderen Sprachen.
Neben Englisch auch Türkisch und Arabisch
„Wir leben in einer Migrationsgesellschaft, wir sprechen miteinander und begegnen uns“, sagt Konstanze Marx-Wischnowski. „So gelangen natürlich auch die Begriffe aus den unterschiedlichen Sprachen in den deutschen Sprachgebrauch.“
Wenn sie effizient zum Beispiel Emotionen oder ein besonders gefragtes Handeln beschreiben, haben sie auch eine gute Chance, übernommen zu werden. Wow, Let’s go! oder Echt jetzt? sind out. Stattdessen benutzen viele Teenager mittlerweile das türkische Çüş, Yallah oder Wallah aus dem Arabischen.
Auch das kennzeichnet die Jugendsprache: Sie ändert sich schnell, die Wortschöpfungen sind oft kreativ. Wer heute über 50 oder 60 ist, hat vermutlich in jungen Jahren noch knorke, krass, dufte oder urst ausgerufen. „Früher kam der Jugendjargon noch stark aus dem Deutschen“, sagt Jugendforscher Simon Schnetzer. „Heute dagegen prägt Englisch über Social Media, Gaming und Musik alles sehr viel stärker.“
Wobei die Entwicklung schon mit dem Siegeszug der Popmusik Ende des 20. Jahrhunderts einsetzte. Schnetzer hat den Wandel der vergangenen Jahrzehnte darüber erfasst, dass er bei seinen Erhebungen zur Studie „Jugend in Deutschland 2025“ auch verschiedene Altersgruppen nach ihrem Jugendwort gefragt hat.
Dialekt auf dem Land
Im gesamten deutschen Sprachraum verzeichnen Wissenschaftler durchaus Unterschiede. Der Grazer Germanistikprofessor Arne Ziegler hat festgestellt, dass in seinem Land auch der Jugendslang stark österreichisch geprägt ist: „Zum Beispiel so eine Intensivierung: Sie hatten urschöne Kleider. Dieses ur als Präfix, das gibt es im bundesdeutschen Raum nicht. Oder: Das war so leiwand, also so großartig. Das kommt aus Wien“, berichtet Arne Ziegler. „Auf dem Land in Österreich läuft die Jugendsprache eigentlich komplett im Dialekt.“
Eine weitere Besonderheit: Auch einige Begriffe aus dem serbokroatischen machen Karriere unter Jugendlichen. Zahlreiche Menschen sind in den vergangenen Jahrzehnten vom Balkan nach Österreich eingewandert.
Viele Jugendbegriffe verschwinden schnell wieder, aber manche halten sich über Jahrzehnte und gehen in den allgemeinen Sprachgebrauch über, cool oder geil etwa. Auch bei einigen aktuellen Jugendwörtern sieht Linguistin Konstanze Marx-Wischnowski dieses Potenzial. „So was wie lost oder nice sind gute Kandidaten, cringe ist ein guter Kandidat. Weil diese Wörter eine zusätzliche Bedeutung aufweisen, die die deutschsprachigen Pendants nicht so effizient ausdrücken können.“
Ältere müssen also nicht dem Jugendwahn verfallen sein, wenn sie jetzt auch cringe sagen. Sie schätzen einfach, dass dann nicht nur peinlich, sondern auch fremdschämen mit schwingt.
Die Provokation in Sachen goonen ist übrigens schon verpufft. Susanne Daubner hat das Wort in einem Kurzvideo genannt, als sie vor einigen Wochen die Top 3 für die Jugendwort-Wahl verkündete. Ganz souverän und ohne mit der Wimper zu zucken. Das crazy.