Stand: 10.12.2025 01:42 Uhr
Erstmals ist eine autistische Künstlerin mit Lernbehinderung mit dem renommierten Turner Preis ausgezeichnet worden. Nnena Kalu reiht sich damit in die Riege von Preisträgern wie Tracey Emin, Damian Hirst und Wolfgang Tilmans.
Nnena Kalu blickte regungslos drein, als ihr Name fiel. Dann klatschte die 59-jährige schwarze Frau im karierten Kleid zögerlich in die Hände und wurde von zwei Begleiterinnen auf die Bühne geführt. Kalu ist autistisch und hat eine Lernbehinderung. Sie kann sich nur schwer artikulieren.
Ihre künstlerische Assistentin Charlotte Hollinshead ergriff für sie das Wort. Dann schilderte Hollinshead, die Kalu bei Action Space betreut, einer Organisation, die Kunstschaffende mit Lernbehinderung unterstützt, dass Kalu seit Jahrzehnten sehr hart arbeite, dabei gerne ohrenbetäubende Rockmusik höre, dass sie aber bis heute mit Diskriminierung zu kämpfen habe. Der Turner Preis werde das hoffentlich ändern.
Hängende Skulpturen und großformatige Zeichnungen
Nnena Kalu hat Geschichte geschrieben, als erste Turner Preis-Gewinnerin mit einer Lernbehinderung. Die Künstlerin kreiert hängende Skulpturen aus verschiedenen Materialien in kokonartigen Formen. Objekte, die sich wie Drachenfiguren bei chinesischen Neujahrsfeiern durch den Raum schlängeln, gefertigt aus bunten Stoffbahnen, Seilen, Paketklebeband, Frischhaltefolie, Papier und dem Filmband von VHS-Videokassetten.
Nnena Kalus Skulpturen erinnern an chinesische Drachen. Gefertigt sind sie aus unterschiedlichsten Materialien.
Außerdem schafft sie großformatige Zeichnungen mit kraftvollen, rhythmischen Linien. Die Jury des Turner Preises hob Kalus lebendige Umsetzung ausdrucksstarker Gesten in eben diese fesselnden abstrakten Skulpturen und Zeichnungen hervor. Sie würdigte ihre unverwechselbare Arbeitsweise und ihr feines Gespür für Proportionen, Komposition und Farbe und die starke Präsenz ihrer Werke.
Neben Skulpturen kreiert Kalu großformatige Zeichnungen.
Kalu – eine „würdige Gewinnerin“
Die Kunstkritikerin Yvette Huddleston von der Yorkshire Post nannte Kalu in der BBC eine würdige Gewinnerin. Sie habe beobachtet, wie Besucherinnen und Besucher emotional auf Kalus Skulpturen reagierten. Ihre Skulpturen wirkten wie freundliche Kreaturen, und gerade in diesen Zeiten könne doch jeder etwas Aufheiterung vertragen und das schaffe Kalus Kunst.
Und die Kunstkritikerin Estelle Lovat fühlt sich an Paul Klee erinnert, der wie Kalu Linien „spazieren führe“. Werke, die einen reinziehen würden und umarmen, man spüre Leidenschaft und Energie.
Neben Kalu gab es drei weitere Nominierte, die jeweils 10.000 Pfund Preisgeld erhalten. Der in Bagdad geborene Maler Mohammed Sami macht auf großformatigen Bildern Gewalt zum Thema. Er hatte in den Wettbüros und in der Kunstszene vielen als Favorit gegolten.
Die kanadisch-koreanische Künstlerin Zadie Xa arbeitet zu Umweltthemen und hat eine Art immersives Aquarium gestaltet. Rene Matic ist non-binär, erst 27 Jahre alt und setzt sich in Fotos und Installationen mit Identität und Zugehörigkeit auseinander.
Kein Turner Preis ohne Kontroversen
Kritiker hatten nach der Nominierung von Nnena Kalu angeführt, sie sei nicht wegen der Qualität ihrer Kunst, sondern wegen ihrer Person für den Turner Preis nominiert worden.
Kunstjournalistin Huddleston sieht das anders. Kalus Werk habe die entsprechende Qualität. Aber der Turner Preis wäre ja nicht der Turner Preis, wenn es keine Kontroversen gäbe, so Huddleston weiter. Sie finde das eigentlich gut, denn darüber komme man ins Gespräch, man diskutiere, das löse gute Kunst aus. Sie glaubt, dass die Auszeichnung für Kalu neue Perspektiven eröffne, sie könne nun ein viel größeres Publikum erreichen.
Auszeichnung soll Interesse an moderner Kunst wecken
Der Turner Preis wird seit 1984 im Auftrag der Tate Gallery verliehen und sollte das Interesse an zeitgenössischer Kunst wecken. In den 1990er-Jahren gab es jeweils großen Wirbel um den Preis, als Damien Hirst mit in Formaldehyd gegossenen Kühen gewann oder Tracey Emin mit ihrem ungemachten Lotterbett auf der Shortlist stand.
Weitere Preisträger sind Anish Kapoor, Tony Cragg, Gilbert and Goerge, Anthony Gormley, Martin Creed oder Steve McQueen, der 1999 den Turner Prize für seine Videokunst gewann und später als Regisseur des Films „Twelve Years a Slave“ einen Oscar abräumte.
Als erster Nicht-Brite und als erster Fotograf wurde der Deutsche Wolfgang Tilmans 2000 mit dem Turner Preis ausgezeichnet. In diesem Jahr wurde die Ehrung erstmals in Bradford vergeben, der englischen Kulturhauptstadt 2025.









