Forderung von Expertenkommission Sollten alle Kinder gegen Grippe geimpft werden?
Stand: 01.11.2025 08:19 Uhr
Gesunde Kinder brauchen keine Grippe-Impfung – so die aktuelle Empfehlung der STIKO. Eine Expertenkommission fordert nun, alle Kinder zu impfen. Statt Spritzen könnte dabei ein Nasenspray zum Einsatz kommen.
Von Veronika Simon und Richard Kraft, SWR
Die Grippesaison selbst hat noch nicht begonnen, aber die Grippe-Impfsaison. Zwischen Oktober und Dezember, so wird es empfohlen, sollen sich vor allem Risikogruppen gegen die saisonale Influenza impfen lassen. Immer wieder gibt es Diskussionen, welchen Gruppen im Detail zu einer Impfung geraten werden sollte.
Der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen im Bündnis Kinder- und Jugendgesundheit gehen die aktuellen Empfehlungen nicht weit genug. Sie fordert: Auch gesunde Kinder ohne Vorerkrankungen sollten in die Empfehlung der Ständigen Impfkommission aufgenommen werden. Sie verweisen auf die Zahlen des Robert Koch-Instituts, denn die sind eindeutig. Es sind zum einen die Menschen über 80 Jahre, bei denen besonders oft eine Influenza festgestellt wird. Doch auch bei Kindern sind die Fallzahlen besonders hoch. Erst ab einem Alter von zehn Jahren sinken die Inzidenzen.
Teils schwere Krankheitsverläufe
Dazu kommt, dass nicht nur die Fallzahlen hoch sind, betont der Kinderarzt und Infektiologe Hans-Iko Huppertz. Er ist Teil der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen im Bündnis Kinder- und Jugendgesundheit und Autor der Stellungnahme. Gesunde Kinder würden im Schnitt auch schwerer erkranken als beispielsweise gesunde Erwachsene. Dabei ließen sich diese schweren Erkrankungen durch eine Impfung vermeiden. Das Problem sei, dass „auch gesunde Kinder so schwer erkranken können, dass sie ins Krankenhaus müssen. Und wir können nicht vorhersagen, welche Kinder das sein werden, weil sie keine Risikofaktoren haben“.
Empfehlungen, wer welche Impfung erhalten sollte, werden von den unabhängigen Fachleuten der Ständigen Impfkommission (STIKO) veröffentlicht. Daran orientiert sich auch der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA). Die Krankenkassen müssen dann für die Impfungen für die entsprechenden Gruppen zahlen.
Aktuell wird empfohlen, dass sich alle Menschen über 60 gegen die saisonale Grippe impfen lassen. Außerdem Schwangere, Menschen, die in Alten- oder Pflegeheimen wohnen, sowie Personen, die bestimmte Vorerkrankungen haben oder mit Wildvögeln oder im medizinischen Bereich arbeiten.
Mehr Schutz für Kinder und Betreuungspersonen
Doch auch bei der Auswahl der Gruppen mit einem erhöhten Berufsrisiko könnte man die Kinder viel stärker mitdenken, so Huppertz. „Man könnte die Menschen, die mit Kindern arbeiten, das heißt, die sich bei Kindern anstecken können und auch das Virus auf die Kinder übertragen können, impfen.“ Das seien zum Beispiel Betreuungspersonen in Kitas und Schulen, Lehrerinnen und Lehrer.
In einigen Ländern wie den USA wird Kindern bereits jetzt eine jährliche Impfung empfohlen. Eine Analyse der Grippesaisons von 2015 bis 2020 aus den USA konnte zeigen: Eine Grippeimpfung schützte Kinder vor leichten und schweren Influenza-Erkrankungen.
Entlastung der Kinderarztpraxen
Doch alle gesunden Kinder impfen – das klingt nach langen Arbeitstagen in den Kinderarztpraxen am Ende des Jahres. Jakob Maske, niedergelassener Kinderarzt mit einer Praxis in Berlin und Pressesprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, sieht hier kein Problem: „Wir sehen in unseren Praxen sehr häufig Kinder mit Grippesymptomen und auch der echten Influenza. Und wenn diese Vorstellungen durch eine Impfung wegfallen würden, tauschen wir quasi nur Termine miteinander aus.“
Insofern sei das wahrscheinlich keine starke Mehrbelastung, erklärt Maske. Im Gegenteil, er sehe gesunde Kinder, die geimpft würden und nicht Kranke, deren Behandlung mehr Zeit in Anspruch nimmt. So könne eine Impfung der gesunden Kinder die Praxen, aber auch die Kliniken entlasten.
Nasenspray als kinderfreundliche Alternative
Bleibt noch die Sorge vor dem Pieks. Jedes Jahr zur Impfung zu gehen, kann für Kinder und Familien Stress bedeuten – und das halte auch jetzt schon Familien ab, für deren Kinder mit Vorerkrankungen die Impfung schon empfohlen sei, so die Fachleute. Dabei gäbe es eine sanftere Möglichkeit, zu impfen: per Nasenspray. Es gibt einen in der EU zugelassenen Impfstoff, der bei Kindern ab zwei Jahren in die Nase gesprüht werden kann. Dabei handelt es sich um einen Lebendimpfstoff, er darf also zum Beispiel nicht bei Kindern mit einem geschwächten Immunsystem eingesetzt werden.
Kinderarzt Maske hat bereits gute Erfahrungen damit gemacht: „Es gab schon eine Saison, wo wir den Nasenimpfstoff frei verwenden konnten für Kinder und Jugendliche. Da war die Resonanz sehr gut, weil auch der Pieks und die Spritze an sich bei Kindern eine Angst auslösen.“
Kritik an Einschränkungen
Auch die Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen im Bündnis Kinder- und Jugendgesundheit fordert, dass diese „kinderfreundliche“ Art des Impfens wieder breiter angewendet werden kann. Denn mittlerweile wird die Nasenspray-Impfung nur von den Kassen bezahlt, wenn die Kinder die psychiatrische Diagnose einer Spritzenphobie haben und daher nicht „normal“ geimpft werden können. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) entschieden.
„Diese Regelung des GBA ist sehr unglücklich und beruht auch nicht auf medizinischen Daten, sondern allein auf ökonomischen Überlegungen“, sagt Hans-Iko Huppertz von der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen. Denn das Nasenspray ist teurer als die Impfung per Spritze.
Die Ständige Impfkommission will sich aktuell nicht dazu äußern, weshalb gesunden Kindern zurzeit nicht explizit zu einer Impfung gegen die Influenza-Grippe geraten wird. Denn die Fachleute der STIKO bewerten zurzeit die Studienlage zur Impfung von Kindern neu. Die Ergebnisse könnten im nächsten Jahr veröffentlicht werden.










