Stand: 02.11.2025 11:06 Uhr
Schlaganfälle können zu Behinderungen und schlimmstenfalls zum Tod führen. Die Gefahr steigt mit dem Lebensalter, aber auch Jüngere sind gefährdet – abhängig von den Risikofaktoren. Die aber lassen sich beeinflussen.
Sie hat unglaubliches Glück gehabt: Birgit Braun hatte einen schweren Schlaganfall und ist schon eine Woche später wieder zu Hause. Etwas erschöpft – aber ohne bleibende neurologische Schäden. „Das ist wie ein Sechser im Lotto, aber natürlich viel, viel schöner. Man hat das Leben.“
Die 63-Jährige berichtet im Gesundheitsmagazin Visite, wie sie morgens nach dem Aufstehen gemerkt hat, dass etwas nicht stimmt. Als „Peng im Kopf“ beschreibt sie das. Sie konnte nur noch verwaschen sprechen, die rechte Körperhälfte nicht mehr bewegen. Ihr Mann rief den Rettungswagen, binnen kurzer Zeit war sie in der Stroke Unit, einer auf Schlaganfall spezialisierten Station des Sana Hanse-Klinikums in Wismar. Dort zeigte sich im MRT, dass ihre basale Hirnstammarterie fast komplett verschlossen war. Eine solche Diagnose bedeutet Lebensgefahr, denn in diesem Hirnareal werden zentrale Körperfunktionen wie Atmung und Kreislauf gesteuert.
Schlaganfälle treten auf, wenn eine Hirnarterie platzt und eine Blutung verursacht. Oder wenn ein Blutgerinnsel die Blutzufuhr blockiert. Dahinterliegende Areale bekommen dann nicht mehr genug Sauerstoff, Gehirnzellen drohen abzusterben. Einen solchen „ischämischen“ Schlaganfall hatte Braun erlitten.
„Time is brain“
Sofort ordnete Karina Haefke, die Neurologin in der Stroke Unit, eine „Thrombolyse“ an. Dabei wird ein Medikament über die Vene gegeben, das das Gerinnsel im Gehirn auflösen soll. „Time is brain“, sagt die Neurologin – die Behandlung soll so schnell wie möglich beginnen, damit das von der Versorgung abgeschnittene Gewebe möglichst wenig Schaden nimmt. Das Zeitfenster für eine solche Behandlung liegt in der Regel bei viereinhalb bis sechs Stunden. Hätte Braun den Schlaganfall schon am Abend, unbemerkt im Schlaf, erlitten, hätte eine Thrombolyse am Morgen ihr womöglich nicht mehr helfen können.
Da nicht klar war, ob die Thrombolyse das Blutgerinnsel würde auflösen können, wurde Braun mit dem Notarzt nach Lübeck gebracht. Anders als in Wismar gibt es dort es ein Spezialistenteam, das Gerinnsel per Katheter mechanisch entfernen kann, mit einer sogenannten „Thrombektomie“. Dabei wird ein feiner Katheter bis zum Blutgerinnsel im Gehirn vorgeschoben, der mit einem sogenannten Stent-Retriever ausgestattet ist – ein Geflecht aus feinstem Maschendraht, das sich entfaltet, bis zur Gefäßwand ausdehnt und das Blutgerinnsel einschließt. Anschließend wird der Retriever mit dem Gerinnsel zurückgezogen und die Arterie dadurch wieder freigemacht.
Eine moderne Methode, die die Überlebenschance der Patientinnen und Patienten erhöht, in bestimmten Fällen auch noch 24 Stunden nach dem Ereignis wirksam sein kann, um die Folgen des Schlaganfalls zu begrenzen. Aber: „Diese Thrombektomien werden nur in übergeordneten Zentren durchgeführt, und das haben wir hier nicht“, sagt die Wismarer Neurologin Karina Haefke. „Aber wir haben gute Kooperationspartner, die uns dann schnell Hilfe leisten.“
Als Braun in den Sana-Kliniken Lübeck ankommt, hat sich das Blutgerinnsel in ihrem Gehirn allerdings schon durch die Medikamente aufgelöst, sie braucht keine Thrombektomie mehr.
Ursachen und Risikofaktoren
Genauso wichtig wie die schnelle Behandlung eines Schlaganfalls ist die Suche nach den Ursachen – um einen weiteren Schlaganfall vermeiden zu können. Bei der 63-Jährigen stellen die Ärzte in Lübeck fest: Das Gerinnsel könnte übers Herz ins Gehirn gelangt sein. Und: Braun hat hohen Blutdruck, vermutlich schon seit Jahren. Hoher Blutdruck führt dazu, dass sich die Gefäßwände verändern, es kommt zu Arteriosklerose, in den Gefäßen sammeln sich Ablagerungen, die den Blutfluss behindern. „Blutdruck ist der Hauptrisikofaktor für Schlaganfälle“, sagt der Lübecker Neurologe Marcus Olrich, der Braun weiterbehandelt hat.
Sie selbst hatte in der Vergangenheit immer mal wieder Werte von 140, 150 systolisch, also der obere Wert, dem aber keine große Bedeutung beigemessen. „Das ist ganz normal, dass man aufgeregt ist in der Praxis“, dachte die 63-Jährige. Tatsächlich wäre laut World Stroke Organization ein Wert von 120/80 mmHg ideal, um das Schlaganfallrisiko klein zu halten.
Neben Bluthochdruck stellt auch ein hoher Cholesterinspiegel eine große Gefahr dar. Schon bei gesunden Menschen sollte das LDL-Cholesterin, also das „schlechte“ Cholesterin, laut europäischer Leitlinien unter 116 mg/dl liegen. Nach einem Schlaganfall streben Ärzte je nach individuellem Risiko wesentlich niedrigere Werte an. „Je niedriger, desto besser“, sagt Götz Thomalla vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und rät zur Einnahme von sogenannten Statinen – Medikamenten, die die Lipidkonzentration im Blut senken können. „Statine senken das LDL-Cholesterin sehr effektiv und senken damit das Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte ganz entscheidend“, so Thomalla.
Ebenso wichtig: Ein Rauchstopp. Denn Menschen, die täglich 20 Zigaretten rauchen, haben nach Angaben der World Stroke Organization ein sechs Mal höheres Risiko einen Schlaganfall zu erleiden als Nichtraucher. Denn Zigarettenrauch enthält Kohlenmonoxid, das den Sauerstoffgehalt im Blut senkt. Dazu kommt das Nikotin, das einen beschleunigten Herzschlag und erhöhten Blutdruck bewirkt. Die gute Nachricht: Wer aufhört, kann sein Schlaganfallrisiko auch wieder signifikant senken.
Auch Nachsorge spielt wichtige Rolle
Wichtig, damit solche Umstellungen im Alltag gelingen, ist eine Betreuung der Patientinnen und Patienten über die Zeit im Krankenhaus hinaus. Denn häufig fehlt es im ambulanten Bereich an klaren Ansprechpartnern, weil die Probleme gerade von leicht- bis mittelgradig Betroffenen „zwischen die Stühle der Fachdisziplinen fallen“, so Götz Thomalla gegenüber ardgesund.de. Am Hamburger UKE laufen mehrere Projekte zur strukturierten Schlaganfallnachsorge mit sogenannten Stroke Nurses, zugänglich allerdings nur für einen Teil der Patienten. Denn noch gehört eine solche Nachbetreuung, bei der Medikamenteneinnahme und Risikofaktoren regelmäßig besprochen werden, nicht zur Regelversorgung. Mit einzelnen Krankenkassen gibt es allerdings Selektivverträge.
Darüber hinaus gibt es in Deutschland vereinzelt Schlaganfall-Lotsen und -helfer, teils mit medizinischer Ausbildung, teils Laien. Erste Studienergebnisse zeigen, dass Menschen, die so begleitet werden, ein geringes Risiko haben, einen erneuten Schlaganfall zu erleiden.
Birgit Braun muss von nun an konsequent Medikamente nehmen: Blutgerinnungshemmer, Statine und Blutdrucksenker. Sie kann nichts daran ändern, dass ihre Gefäße durch den jahrelang unerkannten Bluthochdruck geschädigt sind. Aber sie hat sich fest vorgenommen, alles dafür zu tun, die Risiken für einen weiteren Schlaganfall zu senken.










