Stand: 17.11.2025 04:02 Uhr
Schüchtern, besorgt, aufbrausend – die eigene Persönlichkeit ist nicht in Stein gemeißelt. Eine neue Studie zeigt: Eine Krankheit, die Umwelt oder auch der eigene Wille können den Charakter formen – auch im hohen Alter noch.
Der Tag, der Jörg Zubers Leben für immer verändern wird, beginnt sonnig. Ein perfekter Tag zum Radfahren. Zuber ist Geschäftsführer von einem großen Unternehmen, er liebt die Abwechslung und Herausforderung – auch im Privaten. Zusammen mit einem Freund und seinen Kindern packt er die Räder an diesem Tag in einen Zug nach Hannover. Am Bahnhof angekommen, bricht er zusammen, kann nicht mehr sprechen. „Und als ich dann im Krankenwagen lag, ist der zweite Schlaganfall gekommen. Danach war ich weg“, erinnert sich der heute 58-Jährige.
Als Jörg wieder zu sich kommt, ist nichts mehr, wie es war. Seine Frau Tanja trifft auf einen anderen Menschen: „Ich habe Jörg als starken Mann auf die Radtour vor neun Jahren verabschiedet. Und es kam ein sehr geschwächter Mensch zurück, der plötzlich hilflos war.“ Der Schlaganfall hat körperliche Auswirkungen: Sein Sprachzentrum und sein Kurzzeitgedächtnis sind getroffen, und er ist zum Teil gelähmt.
Eine Krankheit kann die Persönlichkeit verändern
Aber die Krankheit hat nicht nur Auswirkungen auf exekutive Körperfunktionen: „Jörg hat sich auch verändert im Hinblick auf seine Emotionen. Er war der starke, toughe Manager und wurde zu einer sehr nahbaren Persönlichkeit, die plötzlich auch Emotionen zeigt. Das heißt, ihm kommen Tränen bei emotionalen Momenten. Das kann bei einem schönen Fernsehfilm sein oder wenn jemand eine tolle Rede hält.“
Wie komplex unsere Persönlichkeit ist, zeigt sich im Gehirn. Dort sitzt die Persönlichkeit nicht an einer bestimmten Stelle, sondern entsteht im Zusammenspiel neuronaler Netzwerke. Krankheiten können dieses komplexe System, aus dem sich der eigene Charakter zusammensetzt, verändern.
Die Persönlichkeit entwickelt sich ein Leben lang
Die Krankheit hat Jörg ungewollt verändert, und er muss lernen, sich mit seiner neuen Wesensart zu arrangieren. Doch es ist nicht gesagt, dass er so bleibt, denn die Persönlichkeit eines Menschen ist nicht in Stein gemeißelt. Das Netzwerk aus über einer Billion Synapsen wird nicht einmal gebildet und bleibt dann unverändert – es wandelt sich ständig durch Umwelt, Erlebnisse und Erfahrungen.
Lange Zeit galt die Annahme, dass eine Persönlichkeit mit 30 Jahren gefestigt ist. Studien konnten aber zeigen, „dass sie sich über die gesamte Lebensspanne hinweg entwickeln kann“, erklärt die Professorin für Psychologie von der Universität Zürich, Wiebke Bleidorn, in der ARD-Dokumentation „Mein Körper. Meine Persönlichkeit“. Ihr Forschungsschwerpunkt sind Persönlichkeitsentwicklung und Persönlichkeitsveränderung.
Persönlichkeitsmuster sind sehr komplex
Persönlichkeitsmerkmale werden im Laufe der Kindheit und Jugend langsam stabiler und festigen sich im jungen Erwachsenenalter. „In diesem Alter passiert das meiste, da kristallisiert sich unsere Persönlichkeit heraus, und wir entwickeln auch eine Identität“, so die Wissenschaftlerin. Im mittleren Erwachsenenalter festigt sich die Persönlichkeit weiter, und es gibt weniger Veränderungen. „Werden wir älter, nimmt die Stabilität der Persönlichkeit ab, und wir werden wieder offener für Veränderungen.“
Aber was ist eigentlich Persönlichkeit? „Wir definieren Persönlichkeit als das relativ stabile Muster von Gedanken, Gefühlen und Verhalten, das eine Person von anderen unterscheidet“, beschreibt Bleidorn. Persönlichkeitsmuster seien aber sehr komplex und auch schwer zu beforschen.
Das Modell, das sich in der Forschung durchgesetzt hat, ist das Big-Five-Modell. Es unterscheidet fünf grundlegende Persönlichkeitsmerkmale: Verträglichkeit (kooperativ oder eher streitlustig), Gewissenhaftigkeit (organisiert und zuverlässig oder unzuverlässig), Extraversion (extro- oder eher introvertiert), Offenheit (neugierig und aufgeschlossen oder eher vorsichtig). Und Neurotizismus, was die emotionale Stabilität beschreibt.
Gene und Umwelt haben Einfluss auf den Charakter
„In Bezug auf Persönlichkeitsunterschiede dachte man lange Zeit, dass die Umwelt, insbesondere auch frühkindliche Erfahrungen im Elternhaus, die entscheidenden Faktoren darstellen, wie Menschen werden. Die Verhaltensgenetik oder insbesondere Zwillingsforschung konnte zeigen, dass das so nicht ist, dass auch Genetik eine große Rolle spielt“, sagt Christian Kandler, Professor für Persönlichkeitspsychologie, psychologische Diagnostik und Verhaltensgenetik an der Universität Bielefeld.
Gene und die Umwelt haben demnach jeweils einen Einfluss von 50 Prozent. Nichts sei aber determiniert in unserer Persönlichkeit, „es ist zwar eine genetische Komponente da, aber eben auch Erfahrung“.
Die eigene Persönlichkeit lässt sich gezielt verändern
Durch Erfahrung kann man auch ganz bewusst die eigene Persönlichkeitsentwicklung beeinflussen. Das zeigen die vorläufigen Ergebnisse einer Studie der Universität Zürich. Mithilfe einer App versuchen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen, ihre Verhaltensweisen zu ändern.
Die Influencerin Vanessa Ebert ist eine von Ihnen. Sie will als Comedian auf der Bühne durchstarten. Dabei steht ihr aber eine Eigenschaft im Weg: der Neurotizismus. „Das ist eine Eigenschaft, die beschreibt, wie stark Personen auf Kritik und Stress reagieren. Personen, die also sehr neurotisch sind, die grübeln viel, machen sich Sorgen, neigen dazu, sehr starke negative Gefühle zu entwickeln“, erklärt Wiebke Bleidorn von der Universität Zürich.
Und Stress kann nicht nur zu gesundheitlichen Problemen führen, sondern auch die Persönlichkeit verändern, zeigt eine aktuelle Studie aus diesem Jahr der Michigan State University. Wer über Jahre hinweg empfindlicher auf Stress reagiert, wird laut der Studie tendenziell weniger gesellig, weniger offen für Neues und weniger einfühlsam.
„Im Grunde ist die Persönlichkeit stabil“
Vanessa Ebert hat reagiert. Sie will emotional gelassener werden und an ihrem Stressempfinden arbeiten. Sie ist über Wochen mit Aufgaben und Übungen, die ihr über die App vermittelt wurden, aus ihrer Komfortzone gegangen. Das Ergebnis: Sie konnte dieses Persönlichkeitsmerkmal verändern. „Das negative Gefühl, diese Schwere, dauert nicht mehr so lange – und es wird weniger schwer“, berichtet sie.
Wichtig sei es hierbei, Veränderungen in den Alltag zu integrieren. Kein leichter Weg, sagt die Wissenschaftlerin Wiebke Bleidorn, denn „im Grunde ist die Persönlichkeit stabil. Das ist wichtig für uns, das ist auch wichtig für andere. Wir wollen eine Identität haben, die sich nicht jeden Tag verändert. Von daher ist es schwierig, die eigene Persönlichkeit zu verändern“.
Eine alternative Strategie zur Persönlichkeitsveränderung könne auch sein, das ideale Bild, was man erreichen möchte, in Richtung der eigenen Persönlichkeit zu verändern. Auch Selbstakzeptanz zu üben, könne zu höherem Wohlbefinden führen.
