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Cum-Ex-Skandal: 595 Seiten und ein „teuflischer Plan“

Suedpole. by Suedpole.
10:32:27 23. Dezember 2025
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Cum-Ex-Skandal: 595 Seiten und ein „teuflischer Plan“

Logo des Bankhauses Warburg

exklusiv

Stand: 23.12.2025 11:19 Uhr

Hat die Hamburger Finanzbeamtin Daniela P. der Traditionsbank MM Warburg geholfen, 90 Millionen Euro gestohlenes Steuergeld zu behalten? Die Kölner Staatsanwaltschaft erhebt in einer Anklageschrift, die der WDR einsehen konnte, schwere Vorwürfe.

Massimo Bognanni

Sollte das Verfahren gegen die Hamburger Finanzbeamtin Daniela P. tatsächlich vor Gericht verhandelt werden, dürfte das weit über ihren Fall hinaus Bedeutung haben. Denn erstmals säße eine Vertreterin des Staates mit auf der Anklagebank. Bislang mussten sich Banker, Steueranwälte und Aktienhändler für den Steuerdiebstahl verantworten.

Mit den Cum-Ex-Geschäften haben sich die Akteure Steuern erstatten lassen, die nie jemand gezahlt hat. Ein Griff in die Staatskasse, der das Gemeinwohl bundesweit schätzungsweise mindestens zehn Milliarden Euro gekostet hat.

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Anklageschrift beim Landgericht Bonn eingereicht

Als die Cum-Ex-Ermittlungen gegen die altehrwürdige Hamburger Traditionsbank MM Warburg öffentlich wurden, prüfte 2016 auch das zuständige Hamburger Finanzamt, wie rund 90 Millionen Euro Steuergeld für diese Geschäfte aus den Jahren 2009 und 2010 noch zurückzuholen seien. Doch ausgerechnet die für die Bank zuständige Finanzbeamtin soll, so der Verdacht der Kölner Ermittler, dem Geldhaus geholfen haben, die Tatbeute zu behalten.

So ist es zumindest in der Anklageschrift nachzulesen, die die Kölner Strafverfolger im Sommer beim Landgericht Bonn eingereicht haben. Die Anklageschrift gegen Daniela P. und drei Warburg-Verantwortliche umfasst 595 Seiten. Der WDR konnte sie einsehen.

Die damalige Sachgebietsleiterin im Finanzamt für Großunternehmen soll, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, ab 2016 den Plan verfolgt haben, die Bank zu schützen. Demnach habe sie Vorgesetzte mit unvollständigen und teils falschen Informationen versorgt. Damit hätte sie erreichen wollen, dass die Entscheidung gegen eine Rückforderung ausfällt, so der Verdacht.

Über Eröffnung noch nicht entschieden

Momentan prüft das Landgericht Bonn, ob es die Anklage zur Hauptverhandlung zulässt. Auf Anfrage erklärte das Gericht, dass das Verfahren gegen die Angeschuldigte aus „Zweckmäßigkeitserwägungen“ von denen gegen die Warburg-Verantwortlichen abgetrennt worden sei. Die Staatsanwaltschaft habe dagegen Beschwerde eingelegt, derzeit laufe ein Abhilfeverfahren. Über eine Eröffnung sei insgesamt noch nicht entschieden. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Daniela P.s Verteidiger Leon Kruse erhebt seinerseits Vorwürfe gegen die Kölner Staatsanwaltschaft. Der Gerichtsstand für das Verfahren sei Hamburg. „Die Staatsanwaltschaft versucht unter rechtsmissbräuchlicher Verbindung von Verfahren, einen ihr gewogenen Gerichtsstand auszuwählen und die Angeschuldigte damit ihrem gesetzlichen Richter zu entziehen. Die Hamburger Staatsanwaltschaft verneint einen Anfangsverdacht gegen meine Mandantin“, erklärte Kruse auf Anfrage. Auch inhaltlich weist der Verteidiger die Vorwürfe zurück: Daniela P. habe ihre Vorgesetzte nicht mit falschen Informationen versorgt. Die Entscheidung der Behörde wäre ohne ihre Mitwirkung ebenso ausgefallen.

Beschlagnahmte Gesprächsvermerke

Ganz anders liest sich die Anklage. Detailliert schlüsseln die Ermittler die Vorgänge anhand von beschlagnahmten Gesprächsvermerken der Bank, Tagebucheinträgen des Eigners Christian Olearius, Steuerunterlagen und zahlreichen Zeugenaussagen auf. Demnach soll es im Mai 2016 zunächst so ausgesehen haben, als behandele P. den Warburg-Fall neutral. Genau wie die beiden Betriebsprüfer der Bank habe zunächst auch Daniela P. das Steuergeld offenbar zurückfordern wollen.

Ein entsprechender Steuerbescheid gegen die Bank habe sogar schon vorgelegen, so die Staatsanwaltschaft. Doch P. habe diesen nicht ausgehändigt. Stattdessen soll sie den Fall bewusst an die vorgelagerte Hamburger Finanzbehörde eskaliert und der Bank empfohlen haben, sich „politischen Beistand“ zu holen, so die Ermittler. Die Finanzbehörde entspricht Ministerien in anderen Bundesländern. Die dortigen Verantwortlichen habe P. jedoch mit zensierten Informationen versorgt.

Am 16. November 2016 soll es dann zum Showdown in der Finanzbehörde gekommen sein. In der entscheidenden Besprechung soll P. wider besseres Wissen eine angebliche Existenzgefährdung der Bank betont haben, sollte diese das Geld zurückzahlen müssen. P., so der Vorwurf der Kölner Staatsanwälte, soll den versammelten Finanzbeamten dabei wichtige Erkenntnisse aus Berichten von Wirtschaftsprüfern und der Kölner Ermittlungsakte vorenthalten haben. Die Betriebsprüfer, die sich vehement für eine Rückforderung stark gemacht hatten, habe sie außen vor gelassen. Im Vertrauen auf Daniela P.s Ausführungen hätten daraufhin alle Finanzbeamten gemeinsam beschlossen, das Geld bei der Bank zu belassen.

„Es gibt kein Motiv“

Kurz nach der Entscheidung habe P. via WhatsApp mit einer Freundin über den Fall gechattet: Ihr „teuflischer Plan“ sei aufgegangen. In Zeugenvernehmungen soll P.s Freundin laut Anklage ausgesagt haben, dass Daniela P. ihrer Wahrnehmung nach gewollt habe, dass nichts zurückgefordert werde und Verjährung eintrete. Ihren Ansprechpartnern bei der Warburg-Bank habe sie dann am Tag der Entscheidung über einen Erfolg berichtet. Die eigenen Betriebsprüfer habe sie hingegen nicht über das Ergebnis informiert.

Als mögliches Motiv sehen die Kölner Strafverfolger eine tatsächliche oder angestrebte Nähe zur Eigentümerfamilie der Bank.

P.s Verteidiger erklärte hierzu auf Anfrage: „Es bestand und besteht keine Nähe zur Eigentümerfamilie der Bank. Es gibt daher auch kein Motiv.“ Vielmehr habe man zum damaligen Zeitpunkt schlicht keine Cum-Ex-Geschäfte nachweisen können und wäre in einem Rechtsstreit gegen die Bank daher unterlegen. Die Entscheidung der Hamburger Finanzbehörden habe der damals herrschenden Rechtsauffassung entsprochen und sei von dem zu diesem Zeitpunkt zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft Köln befürwortet worden.

Bundesfinanzministerium erzwang Rückforderung

Als 2017 eine weitere Entscheidung über eine Cum-Ex-Rückforderung anstand, soll P. laut Anklage ihr Verhaltensmuster wiederholt haben und das, obwohl in Köln in der Zwischenzeit bereits Kronzeugen ausgesagt und viele weitere Erkenntnisse vorgelegen hätten. Erst durch eine Weisung des Bundesfinanzministeriums seien die Hamburger Finanzbeamten 2017 zur Rückforderung gezwungen worden.

P.s Verteidiger weist auch diesen Vorwurf zurück. Seine Mandantin habe sich zuvor mit der Staatsanwaltschaft Köln abgesprochen. Diese habe Frau P. im November 2017 mitgeteilt, sie halte die Position der Steuerverwaltung Hamburg für „absolut nachvollziehbar“.

Auch zwei Jahre später, als MM Warburg im bundesweit ersten Cum-Ex-Prozess 2019 als Nebenbeteiligte auf der Anklagebank saß, soll sich P. noch für die Belange der Bank eingesetzt haben. Während der Richter im Strafprozess keine Zweifel daran ließ, dass er im Falle einer Verurteilung das gestohlene Steuergeld einziehen werde, habe Daniela P. sich im Herbst 2019 für eine „tatsächliche Verständigung“ mit der Warburg-Bank stark gemacht.

Abermals soll das Bundesfinanzministerium eingeschritten sein und die Verhandlung gestoppt haben. Schließlich wurde die Warburg-Bank verurteilt und zahlte im Frühjahr 2020 knapp 187,5 Millionen Euro an die Steuerbehörden zurück.

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