Die AfD steht bei den NRW-Kommunalwahlen vor Erfolgen – oft zulasten der SPD im Ruhrgebiet. Einzelne SPD-Oberbürgermeister wissen darauf zu reagieren. Sie zeigen ihren Genossen eine Strategie auf, wie die alte gegen die neue Arbeiterpartei bestehen kann. Vor allem einer tut sich dabei hervor.
Die Mädchen sitzen vor der Eisdiele und kichern. Soeben ist ihnen aufgegangen, dass der hochgewachsene Mann, der ihnen das Eis spendiert hat, der Oberbürgermeister ist. Also der Chef von Duisburg! Kurz beratschlagen sich die vielleicht Elfjährigen, dann erklären sie ihm ihr Anliegen: Ob er die Sommerferien bitte auf acht Wochen verlängern könne? Sören Link schmunzelt, dann winkt er resolut ab. Nee, nee, da könne er nicht helfen. Als erfahrenes Stadtoberhaupt besitzt er aber ein sicheres Gespür dafür, wie man die Laune enttäuschter Mitbürger wieder hebt: Ob sie noch ein Eis wollten? Das versöhnt. Und Sozialdemokrat Link setzt seinen Wahlkampf an einer Eisdiele in Duisburgs Westen fort.
Die kleine Szene verdeutlicht, wie Link vor den NRW-Kommunalwahlen sein Profil schärft. In seinen Worten: „Man muss klare Sprache reden. Man muss die Leute so, wie sie sind, ernst nehmen und sich um ihre Anliegen kümmern“. Besonders zielt er mit dieser Strategie (neben Elfjährigen mit Eis-Faible) auf potenzielle AfD-Wähler. Denn die AfD ist hier die parteigewordene Kampfansage an die SPD: Bei den Wahlen werden ihr satte Stimmengewinne prognostiziert, auch in SPD-nahen Revierstädten wie Duisburg oder Gelsenkirchen mit hoher Arbeitslosigkeit und großen Integrationsproblemen. Bei der Bundestagswahl kam die AfD auf 20,8 Prozent in Duisburg und auf 24,7 Prozent in Gelsenkirchen (für westdeutsche Verhältnisse außergewöhnlich). Aus der früheren SPD-Kernklientel der Arbeiter gewann sie bundesweit 38 Prozent der Stimmen, die SPD nur zwölf Prozent.
„Sozialdemokraten dürfen vor keinem Thema Angst haben“
Link, seit 2012 im Amt, ist mit seinen gerade mal 49 Jahren bereits einer der erfahrensten Revier-Oberbürgermeister – und einer der wenigen Genossen, der früh vor Stimmenverlusten nach rechts warnte. Aber nicht nur das, er reagierte darauf auch schon vor Jahren. Wenn er darüber spricht, schwingt Kritik an seiner Partei mit. Ihr wirft er vor, „teilweise falsche Akzente gesetzt“ zu haben. „Die SPD muss als ‚Partei der Arbeit‘ auftreten. Man muss uns verstehen, wir dürfen unsere Reden nicht mit Fremdwörtern überladen und von oben bis unten durchgendern“, fordert er. Link geht es natürlich nicht nur um Stil: „Sozialdemokraten dürfen vor keinem Thema Angst haben. Wenn es irgendwo dreckig oder unsicher ist, müssen wir das benennen. Und wenn dafür Zugewanderte die Verantwortung tragen, müssen wir das genauso aussprechen.“
Dieser Devise folgt Link. Nimmt die Zahl der Schwarzfahrer zu, beschimpft er diese als „asozial“. Legt sich eine Gruppe Türken mit der Polizei an, urteilt Link „Asozial bleibt asozial, egal aus welchem Land“. Und erschleichen südosteuropäische Einwanderer Sozialleistungen, greift er zu so scharfen Worten, dass der Zentralrat der Sinti und Roma sich über ihn beschwert.
Eine SPD mit AfD-Tönen?
Früher und energischer als viele Parteifreunde begann Link auch den Kampf gegen „oftmals kriminelle Abzocke“ von Einwanderern aus Südosteuropa. Von dort kamen so einige im Rahmen der EU-Freizügigkeit ins Revier. Sie versuchen mit minimaler Arbeit maximale Sozialleistungen zu beziehen (für eine Familie nicht selten 2700 Euro im Monat). Laut Link schleusen „kriminelle Netzwerke diese Menschen nach Deutschland, damit sie hier Sozialleistungen erschleichen“. Gemeinsam mit anderen Städten konnte Duisburg die Bundesregierung dazu bewegen, sich des Problems anzunehmen. Sie plant, den Informationsaustausch zu erleichtern, um Betrüger schneller zu erkennen. Und sie deutete an, sie wolle das Mindesteinkommen von 175 Euro, das zum Bezug Tausender Euro Sozialleistungen berechtigt, für diese Migranten anheben oder deren Einreise erschweren. In der Frage haben sich andere Revier-Genossen dem Duisburger Kurs angeschlossen – von SPD-Kandidatin Andrea Henze in Gelsenkirchen bis zu Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda (SPD).
„Sicherheit, Sauberkeit, Kriminalität“
Mit Erfolg bemüht Link sich zudem, das Milieu trockenzulegen, in dem Sozialleistungsbetrug gedeiht. So wurden unter seiner Ägide drei Hochhäuser mit dem Spitznamen „Weißer Riese“ gesprengt. In den gewaltigen 1400-Bewohner-Betonklötzen ließ sich einfach nicht für Sicherheit und Sauberkeit sorgen. Razzien deckten auf, dass dort wohl Hunderte mit Scheinwohnsitz gemeldet waren, um Sozialleistungen, etwa Kindergeld, zu ergaunern. Dafür musste Link eine Taskforce aufbauen und sich die Zuständigkeit für die Familienkasse vom Bund erkämpfen (also das Recht, Kindergeldzahlungen zu prüfen). Auch Duisburgs CDU, die Links Kurs als Koalitionspartner unterstützt, sieht in dem Vorgehen ein Vorbild für andere Städte. Aus all dem bezieht Link den Mut, der AfD den Kampf anzusagen: „Ja, in einzelnen Stadtteilen müssen wir Sicherheitsgefühl und Sauberkeit weiter verbessern“, konzediert er. „Aber das tun wir Schritt für Schritt. Sicherheit, Sauberkeit oder Kriminalität – egal ob von Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund – sind keine AfD-Themen, das sind unsere Themen. Wir finden dafür Lösungen.“
Viele SPD-Stadtoberhäupter im Revier intonieren nun ähnlich, allerdings weniger beherzt. Manchen mag es an Mut oder Überzeugung fehlen, anderen an Geld. Denn Stadtteilumbauten wie rund um Duisburgs „Weiße Riesen“ sind teuer. Und Dortmund oder Gelsenkirchen haben sich unter SPD-Oberbürgermeistern in rot-grünen Koalitionen verschuldet. In Duisburg dagegen regiert Links SPD mit der CDU. Gemeinsam bauten sie Schulden ab, bis ein ausgeglichener Haushalt erreicht war. Gelsenkirchens SPD-Spitzenkandidatin Andrea Henze ruft denn auch viel lauter nach Geld von Bund und Land, um ihrer Stadt zu helfen und um Proteststimmen für die AfD zu verhindern (so fordert es die Stadtspitze allerdings seit Jahren).
Duisburgs AfD-Sprecher Alexander Schaary jedenfalls bestätigt, seine Partei spreche „bewusst auch traditionelle SPD-Wähler an“. In der Praxis bedeutet dies, dass die AfD Sören Links vermeintliche Härte mit dem Hinweis hinterfragt, Duisburg sei unter ihm immerhin Mitglied des Bündnisses „Sicherer Hafen“ geworden. Dessen Mitglieder versprechen, über die gesetzlichen Verpflichtungen hinaus freiwillig noch zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen.
Doch die Revier-AfD propagiert keineswegs nur rigoroseres Vorgehen gegen Straftäter, Verwahrloser und illegale Migranten; sie schlägt auch einige ursozialdemokratische Töne an, verlangt mehr „bezahlbaren Wohnraum“ oder „Patienten vor Profit“ in der Gesundheitsversorgung. „Mit Interesse“ beobachte die AfD laut Schaary auch, „wie die SPD versucht, Wähler zurückzugewinnen, die sich der AfD zugewandt haben“. Aber das werde ihr nicht helfen. Die AfD werde weitere SPD-Wähler gewinnen „aus Arbeiterschaft, städtischem Mittelstand und von Strukturverfall und Unsicherheit besonders betroffenen Stadtteilen“. Dort allerdings steht Genosse Link – und verkündet: „Die Partei der Arbeit sind wir“.