Das überlegene Lächeln, das seit Monaten die Einheitsmimik der McLaren-Teammitglieder zu sein scheint, wirkte schon am Tag vor dem 75. Gran Premio in Monza eingefroren. Max Verstappen hatte im Tempodrom vor den Toren Mailands mit der schnellsten je gefahrenen Runde der Formel 1 (Durchschnittsgeschwindigkeit 264,682 km/h) scheinbar aus dem Nichts die Favoriten Lando Norris und Oscar Piastri düpiert. Der konsternierte Gesichtsausdruck wurde am Rennsonntag konserviert, denn da war den 130 000 Zuschauern schnell klar, dass der Titelverteidiger tags zuvor nur Schwung geholt hatte für eine noch größere Tat: 20 Sekunden Vorsprung hatte der Niederländer am Ende vor Norris, und die Siegerzeit von einer Stunde, 13 Minuten und 23 Sekunden markiert das schnellste Rennen der Grand-Prix-Geschichte.
Pünktlich zu einem heißen Herbst sind der 27-Jährige und sein Red-Bull-Rennstall plötzlich wieder da. Obwohl sie nach den personellen, persönlichen und technischen Krisen schon abgeschrieben galten für den Rest des Rennjahres. Der Triumph im Ferrari-Land wirft jetzt ein anderes Licht auf das letzte Saisondrittel. Zwar ist der Rückstand von Verstappen immer noch riesig: 96 Punkte auf WM-Spitzenreiter Piastri, 73 Punkte auf Norris. Ohne weitere gewaltige Überraschungen wird das kaum aufzuholen sein, aber wenn einem solch eine Wende zuzutrauen ist, dann Verstappen.

Lewis Hamilton in der Formel 1
Lewis Hamilton in der Formel 1
:Mach mal wie Lauda
In Italien macht sich vor dem Heimrennen in Monza die Sorge breit, dass Lewis Hamilton im Ferrari wohl kaum an die Erfolge von Niki Lauda oder Michael Schumacher anknüpfen wird.
Der neue Red-Bull-Teamchef Laurent Mekies, ein gelernter Ingenieur, hat innerhalb von ein paar Wochen den kriselnden Rennwagen wieder in die Balance gebracht und damit automatisch auch den Fahrer. Verstappen hat das Vertrauen in Auto und Team zurückgewonnen, und damit kann er das Risiko wieder besser kontrollieren. Ein neuer Unterboden am Fahrzeug ist dabei offenbar mit ausschlaggebend: Es ist das größte Teil an einem Formel-1-Auto, und entsprechend riesig ist auch der Motivationsgewinn.
Nicht, dass Max Verstappen seit seinem letzten Sieg – im Mai in Imola – irgendetwas an seiner Fahrweise geändert hätte. Das Nadelöhr gleich nach dem Start in Monza ist immer gut für Duelle, die Freundschaften beenden können. Angreifer Lando Norris war in der Hektik des Kurvengefechts auch drauf und dran, das zu tun: „Was für ein Idiot“, brüllte er nach dem harten Eröffnungsmanöver, an dem er aber selbst nicht ganz unschuldig war. Verstappen hatte zu viel Schwung, musste die Schikane illegal abkürzen und wurde vom eigenen Kommandostand zurückgepfiffen, um keine Strafe zu riskieren. Für ein paar Runden also durfte Norris so tun, als würde er davonfahren. Aber auch das Hinterherfahren kontrollierte der Red-Bull-Pilot. Kaum durfte die Überholhilfe DRS aktiviert werden, war er auch schon dran, dann vorbei und schnell auf und davon.
McLaren befiehlt Piastri, Norris vorbeizulassen. Verstappen findet das offenbar amüsant
Das Feld zog sich auseinander. Charles Leclerc im Ferrari und Oscar Piastri im McLaren lieferten sich sehenswerte Duelle, nicht weniger hart als die Manöver Verstappens, und begleitet von beidseitigen Protesten. Der Australier legte sich den Monegassen zurecht, um dann seinen Podiumsplatz zu sichern. Für ihn war nicht Verstappen der Gegner, sondern Norris. Es geht um das interne Standing und um den Titelkampf.
Als nur noch ein paar Runden zu fahren waren, Verstappen hatte frische Pneus und fuhr weiter mit sich selbst um die Wette, gab McLaren die Hoffnung auf, dass eine Safety-Car-Phase und ein letzter Stopp noch etwas am Sieger ändern könnten. Erst wurde Piastri zum Reifenwechsel gewunken, woraufhin Norris schon eine Benachteiligung witterte. Dann kam der Brite, um sich frische Gummis zu holen, und einmal mehr war er der Pechvogel, das vordere linke Rad klemmte. Piastri war vorbei. Aber McLaren-Einsatzleiter Andrea Stella ist ein Mann, der an Fairness und Gesetze glaubt, und er wollte nicht, dass Norris wegen eines Teamfehlers im Titelrennen benachteiligt wurde. An Piastri erging die Aufforderung, seinen Rivalen vorbeizulassen, was dieser auch tat. Das gab vermutlich Karma-Punkte. „Nur ein kleiner Zwischenfall“, urteilte der gelassenste aller Grand-Prix-Piloten später. Als Spitzenreiter Verstappen über die Aktion informiert wurde, verschluckte er sich fast vor Lachen. Es gibt nicht wenige Stimmen im Fahrerlager, die behaupten, dass McLarens größter Gegner im Titelkampf McLaren selbst sei.
Lewis Hamilton unternahm alles, um seinen ersten Auftritt mit Ferrari in Monza zumindest emotional zu einem Versöhnungswochenende werden zu lassen. Das Motorrad, mit dem er zur Strecke kam, war auf der einen Seite in den italienischen Nationalfarben lackiert und auf der anderen Seite in Herzblut-Rot. Der fünfte Rang in der Qualifikation war sehr ordentlich, leider lastete noch eine Rückstufung um fünf Startplätze aus dem vorherigen Rennen auf ihm. „Ich werde mich nach vorn schlängeln“, hatte er den Fans versprochen – und hielt Wort. Nach wenigen Runden war er am Sonntag Sechster, weiter nach vorn ging es nicht mehr, aber mit dem Resultat kann er leben. Dass er sich bei seinen Mechanikern öffentlich für die Arbeit bedankte, schadete seinem Ansehen sicher nicht. „Lewis ist zurück“, glaubt Scuderia-Teamchef Fred Vasseur.
Vom einzigen Deutschen im Feld lässt sich das nicht behaupten. Nico Hülkenberg schaffte es zwar als Zwölfter in die Startaufstellung, erneut düpiert vom Rookie Gabriel Bortoleto, aber ins Rennen konnte der Emmericher wegen eines Hydraulikproblems erst gar nicht gehen. Jene Balance, die Max Verstappen gerade wieder gewonnen hat, ist Hülkenberg offenbar komplett abhandengekommen. Zurück zur alten Stärke finden, das bleibt für viele die ganz große Sehnsucht beim Abschied der Formel 1 aus Europa.