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Plan von IS-Anhänger Wenn Neonazis und Islamisten Allianzen schmieden
Stand: 10.12.2025 12:21 Uhr
Rechtsextreme und Islamisten stehen sich eigentlich feindlich gegenüber – doch gibt es immer wieder Allianzen. Der Fall eines IS-Anhängers aus Niedersachsen zeigt erstaunliche Schnittmengen zwischen den Lagern, wie eine STRG_F-Recherche zeigt.
Von Julian Feldmann, Anne Ruprecht und Jakob Sax, NDR
Im Februar 2017 nehmen Ermittler den damals 26-jährigen Sascha Lemanski in seiner Wohnung in der Innenstadt von Northeim in Niedersachsen fest. Im Polizeisystem wird er noch als Rechtsextremist geführt.
Doch der Grund der Festnahme ist ein anderer: Lemanski soll sich Material zum Bau eines Sprengsatzes beschafft haben. Er habe einen islamistisch motivierten Terroranschlag geplant. Später wird er verurteilt, zusammen mit einem anderen Islamisten und einem Neonazi.
Sascha Lemanski ist heute 35 Jahre alt und sitzt immer noch im Gefängnis. Er war 2017 wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. 2019 griff er in der Justizvollzugsanstalt Oldenburg mit zwei Gabeln bewaffnet einen Beamten an, stach auf ihn ein. Das Gericht wertete die Tat ebenfalls als islamistisch motiviertes Attentat. Er wurde wegen versuchten Mordes zu zusätzlichen 14 Jahren Haft verurteilt. Seitdem sitzt er in Einzelhaft in einem Gefängnis in Niedersachsen.
Vom Neonazi zum Islamisten
Lemanski stammt aus Berlin, war dort in der Neonazi-Szene aktiv. Bilder zeigen ihn etwa bei einem rechtsextremen Aufmarsch in der Hauptstadt am 1. Mai 2013. Online wird er zum Propagandisten der rechten Szene: Er tritt vermummt oder mit Maske in Videos auf, propagiert rassistische und antisemitische Thesen. „Ich bin gegen Demokratie. Ganz klar: Nationalsozialismus“, betont er in einem der Videos, die er im Netz veröffentlicht. Lemanski distanziert sich heute von rechtsextremem Gedankengut, von Antisemitismus und auch vom militanten Islamismus.
Mit 23 Jahren zieht Lemanski nach Northeim, konvertiert Ende 2014 zum Islam. Noch als Neonazi hatte Lemanski ein Pamphlet mit dem Titel „Wer gegen den Islam hetzt, zischt mit der Zunge des Judentums“ verbreitet. „Weil ich dann gesehen habe, dass die Hamas gegen Israel kämpft“, habe er erkannt, „die kämpfen gegen Juden“. „Das war dann aus der Sicht eines Rechten positiv“, sagt Lemanski im Gespräch mit dem Rechercheformat Strg_F.
Innerhalb eines Jahres wird er Anhänger der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS). Nach den IS-Anschlägen in Paris spottet er im November 2015 auf Facebook: „Frankreich? Heul ma nicht.“ Im Jahr darauf will Lemanski nach Syrien ausreisen, doch die Behörden können das verhindern.
Anschließend radikalisiert er sich weiter, plant in Deutschland einen Anschlag auf Polizisten oder Soldaten vorzubereiten. „Weil ich das Gefühl hatte, ich bin im Krieg und dann habe ich auch nicht so viel Empathie mehr gehabt, sondern: Hauptsache der Feind wird besiegt“, sagt Lemanski rückblickend im Interview mit STRG_F.
Juden als gemeinsames Feindbild
Lemanski nimmt ein Video mit dem Treueeid auf den damaligen Anführer des IS auf und schickt es nach eigenen Angaben an die Terrororganisation in Syrien. Währenddessen hält er weiter Kontakt zu früheren rechtsextremen Kameraden. In Chats diskutieren Rechtsextreme mit Islamisten, tauschen sich aus. Sie eint eine Gewaltbereitschaft und ein gemeinsames Feindbild: Juden.
Ein Ziel dieser „Querfront“ sei es gewesen, die terroristische Schlagkraft zu erhöhen, so „dass am Ende das Sicherheitssystem überlastet werden würde“, erzählt Lemanski heute. Neben dem Antisemitismus sei auch die Staatsfeindlichkeit verbindendes Element zwischen den Rechtsextremen und den Islamisten gewesen.
Jens Lehmann von der Generalstaatsanwaltschaft Celle ermittelt damals in dem Fall. Er bestätigt, dass es Lemanski darum ging, eine „Querfront“ zwischen Islamisten und Neonazis aufzubauen. Aus Chats und umfangreicher Kommunikation zwischen den Verdächtigen sei das hervorgegangen. „Man hat eine ganze Menge auswerten können“, sagt Oberstaatsanwalt Lehmann. „Aber da wurde nie davon geredet, ‚Ich musste nochmal mit meinem Vorgesetzten beim IS skypen und muss mir noch Anweisungen einholen‘.“ Eine Einbindung in die Terrorgruppe IS hätten die Ermittlungen daher nicht ergeben.
Verfassungsschutz weiß von Querfronten
Zusammen mit Lemanski werden im Dezember 2017 vom Landgericht Braunschweig zwei Unterstützer verurteilt: Ein Islamist und ein Neonazi. Für die Sicherheitsbehörden kein Einzelfall.
Verbindungen zwischen Islamisten und Rechtsextremisten seien bekannt, aber beschränken sich auf „punktuelle und temporäre Kooperationen“, heißt es vom Bundesamt für Verfassungsschutz auf Anfrage. „Es finden sich zwischen rechtsextremistischen und islamistischen Akteuren – trotz fundamental unterschiedlicher Ideologie – zahlreiche geteilte Feindbilder.“ Dazu zählten neben Juden und dem Staat Israel auch queere Menschen.
Der Verfassungsschutz beobachtet außerdem, „dass sich Radikalisierungsverläufe – insbesondere von Jugendlichen – in beiden Phänomenbereichen ähneln“. Die Radikalisierung werde oft „von einer Faszination für Gewalt und weniger von dem zugrundeliegenden Verständnis für die eigene Ideologie“ angetrieben.
Gruppe um Lemanski besonders radikal
Julia Ebner, die an der Universität Oxford zu Extremismus forscht, beobachtet insbesondere online und bei Demonstrationen eine niedrigschwelligere „Querfront“ zwischen verschiedenen extremen Lagern. „Konflikte und vor allem Kriege wie der Gaza-Konflikt, aber auch der Krieg in der Ukraine, haben enorm viel ausgelöst in der Bevölkerung“, sagt Ebner. Die Proteste dazu „bringen auch unterschiedlichste Zielgruppen zusammen“.
Und man sehe auch, dass in beiden Fällen teilweise sehr radikale Akteure mitliefen. „Da besteht ein größeres Potential, dass sich auch die extremeren Ideologien weiter ausbreiten“, so Ebner.
Die Gruppe um den verurteilten Terroristen Lemanski scheint ein Beispiel für eine besonders radikale Querfront zu sein. Die Polizei konnte eingreifen, bevor Lemanski seine Pläne in die Tat umsetzen konnte. Voraussichtlich zehn weitere Jahre wird er noch hinter Gittern bleiben.









