faktenfinder
Stand: 03.09.2025 17:11 Uhr
Im Internet wird über den Hintergrund mehrerer Todesfälle von AfD-Politikern vor den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen spekuliert. Es gibt jedoch keinerlei Hinweise auf Fremdeinwirkung.
„Jetzt schon SECHS ‚plötzlich‘ verstorbene AfD-Kandidaten kurz vor der Wahl in NRW! (…) Was meint ihr, wurden sie absichtlich ‚gestorben‘?“ Mit diesem Post auf der Plattform X beteiligt sich die rechtspopulistische und prorussische Bloggerin Alina Lipp an den Spekulationen über den Tod von sechs AfD-Kandidaten für die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen – und stellt damit in den Raum, die Todesfälle von sechs Kandidaten der AfD für die Kommunalwahlen in NRW seien kein Zufall. Auch die rechtspopulistische Plattform „NIUS“ schreibt von einem „mysteriösem Wahl-Phänomen“.
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel selbst weist über einen Post auf der Plattform X auf die Todesfälle hin. „Vier AfD-Kandidaten gestorben“, schreibt sie am 31. August und teilt den Post des Verschwörungsideologen Stefan Homburg, der die Tode für „statistisch fast unmöglich“ hält. Auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner äußert sich ähnlich. Aus seiner Sicht sind die Todesfälle „statistisch auffällig und zurzeit schwer zu erklären“.
Das rechtsextreme Compact-Magazin heizt die Spekulationen weiter an und zitiert Weidel mit der frei erfundenen Aussage: „Der Hass gegen die AfD eskaliert – diese Todesfälle sind ein Weckruf“. Weidel habe das jedoch gar nicht geschrieben, sagte ihr Sprecher gegenüber dem Nachrichtenportal t-online.
Der stellvertretende Landessprecher der AfD Nordrhein-Westfalen, Kay Gottschalk, sagte im Interview mit WELT TV, es bestünden keine Hinweise darauf, dass es sich „um Mord oder Ähnliches“ handelt.
Polizeibehörden schließen Fremdverschulden aus
Auch die Polizeibehörden teilen mit, dass sie in allen Fällen Fremdverschulden ausschließen. In zwei Fällen hatte die Polizei ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet. „Das ist aber nichts Besonderes, sondern Standard, wenn die Todesursache zunächst unklar ist“, erläuterte ein Polizeisprecher in Wesel. Bei den Verfahren hätten sich dann keine Hinweise auf eine Straftat oder ein Fremdverschulden ergeben.
In den anderen Fällen wurde kein Ermittlungsverfahren eingeleitet, da eine natürliche Todesursache direkt festgestellt werden konnte. Nicht bei allen Verstorbenen wird die Todesursache öffentlich genannt. Bekannt geworden ist als Ursache ein Herzinfarkt, ein Suizid sowie Nierenversagen – einige der Personen litten zudem an Vorerkrankungen. Spekulationen zu nicht-natürlichen Todesursachen entbehren einer faktischen Grundlage.
Eine mögliche Erklärung in den Todesfällen sieht Politikwissenschaftler Norbert Kersting von der Universität Bonn in der Altersstruktur der AfD. Vermutlich seien die Kandidaten der Partei insgesamt vor allem männlich und eher älter, so Kersting auf Anfrage des ARD-Faktenfinder.
Jüngst ist der siebte Todesfall eines AfD-Kandidaten bekannt geworden. Ein 80-jähriger Direktkandidat aus Remscheid ist laut Informationen der WELT nach langer Krankheit eines natürlichen Todes verstorben. Es handelt sich bei den sechs weiteren verstorbenen AfD-Kandidaten um einen 42-Jährigen, zwei 59-Jährige, sowie zwei Männer, die in den Jahren 1953 und 1958 geboren sind. Das Alter eines AfD-Kandidaten ist unbekannt.
Acht weitere verstorbene Kandidaten anderer Parteien
Die bisher bekannten Todesfälle der AfD sind nicht die einzigen verstorbenen Kandidaten für die Kommunalwahlen. Derzeit sind insgesamt mindestens fünfzehn Todesfälle von Kandidaten bekannt. Nach Informationen der Landeswahlleitungen Nordrhein-Westfalen sind Kandidaten der SPD, der Grünen, der FDP, der Freien Wähler, der Tierschutzpartei und weiterer Wählergruppen betroffen. Mit sieben von diesen fünfzehn Fällen betreffen die meisten die AfD. Es ist unklar, ob es weitere noch nicht bekannte Fälle gibt.
In einer Pressemitteilung schreibt die Landeswahlleitung: „Angesichts der Vielzahl der bei Kommunalwahlen zu vergebenden Ämter und Sitze und der hierzu antretenden mehreren tausend Bewerberinnen und Bewerbern kommt es bedauerlicherweise immer wieder vor, dass einzelne Kandidatinnen und Kandidaten vor dem Wahltag versterben.“ Es lägen laut Landeswahlleitung keine Erkenntnisse vor, dass die Anzahl der Todesfälle aktuell signifikant erhöht ist.
Insgesamt liegt die Zahl der Bewerber bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen in einem hohen fünfstelligen Bereich. Die Todesfälle in Verhältnis zur Gesamtzahl aller Kandidaten der Kommunalwahlen oder einer Partei zu setzen, ist jedoch nicht ohne Weiteres möglich. Eine entsprechende Auflistung liegt der Landeswahlleitung nicht vor. In ihrer Mitteilung betont sie, dass es für die Kommunen keine Berichtspflicht zu Todesfällen gegenüber der Landeswahlleitung gibt.
Auswirkungen auf die Wahlen
Für die Wahlen haben einige der Todesfälle Folgen: Stimmzettel müssen neu gedruckt und Ersatzkandidaten festgelegt werden, Briefwähler müssen in einigen Fällen neu wählen, berichtet der WDR. Die in den betroffenen Wahlbezirken bereits ausgestellten Wahlscheine verlieren ihre Gültigkeit.
Bei der Kommunalwahl am 14. September werden in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland nach Informationen des Landesinnenministeriums Nordrhein-Westfalen Gemeinderäte und Bürgermeister sowie je nach Kommune Kreistage und Landräte bzw. in kreisfreien Städten Stadträte, Oberbürgermeister und Bezirksvertretungen gewählt. Im Ruhrgebiet wird außerdem die Verbandsversammlung des Regionalverbands Ruhr („Ruhrparlament“) gewählt. Die Wahl findet in 396 Städten und 31 Landkreisen in Nordrhein-Westfalen statt.
„Insgesamt ist gerade sehr viel Druck auf dem Kommunalwahlkampf“, beobachtet Politikwissenschaftler Norbert Kersting.
Wahlforscher werten die Wahl in Nordrhein-Westfalen als Stimmungstest für die schwarz-rote Bundesregierung. Auch in der Vergangenheit sind vor Kommunalwahlen Kandidaten verstorben, doch waren diese laut t-online bisher nur lokal Thema und nie mit Verschwörungserzählungen verbunden.