
Internationale Hilfsorganisation Missbrauchsvorwürfe gegen Gründer von SOS-Kinderdorf
Stand: 23.10.2025 15:20 Uhr
1949 gründete der Medizinstudent Hermann Gmeiner eine Hilfsorganisation, die heute als SOS-Kinderdorf weltweit agiert. Gegen den verstorbenen Österreicher wurden jetzt Missbrauchsvorwürfe öffentlich. Intern waren diese offenbar schon lange bekannt.
Der Gründer der weltweiten Hilfsorganisation SOS-Kinderdorf steht unter Missbrauchsverdacht: Dem seit 1986 verstorbenen Hermann Gmeiner werden sexueller Missbrauch und physische Gewalt gegen acht männliche Kindern angelastet. Die Vorfälle beträfen vier Standorte der Organisation in Österreich im Zeitraum der 1950er- bis 1980er-Jahre, heißt es in einer Mitteilung von SOS-Kinderdorf.
Die mutmaßlichen Vorfälle seien zwar nicht durch Gerichtsurteile belegt, aber durch glaubhafte und plausible Schilderungen, sagte eine Sprecherin gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Es sei „nicht auszuschließen“, dass im Zuge der Aufarbeitung weitere Fälle auftauchen
Vorwürfe intern schon seit 2013 bekannt
Die Anschuldigungen gegen Gmeiner waren intern offenbar schon länger bekannt – wurden aber im Zuge der laufenden Aufarbeitung von Übergriffen innerhalb der Organisation jetzt erst öffentlich gemacht. Laut SOS-Kinderdorf hatten sich Gmeiners mutmaßliche Opfer bereits zwischen 2013 und 2023 gemeldet und in dieser Zeit auch Opferschutzverfahren durchlaufen. Die Betroffenen hätten Entschädigungszahlungen und Therapien erhalten.
SOS-Kinderdorf Österreich steht wegen Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs und der Misshandlungen von Kindern seit September massiv unter Druck. Damals hatte die Wochenzeitung Falter über Gewaltvorwürfe gegen das SOS-Kinderdorf in Moosburg in Kärnten berichtet. Anfang Oktober entband die Organisation wegen der Vorwürfe ihren langjährigen Geschäftsführer Christian Moser von seinen Funktionen.
Aufarbeitung mit externe Kommission
Seitdem hat die Organisation einen „Neustart“ angekündigt: Es wurde eine externe Kommission eingerichtet, um Missstände und strukturelle Probleme aufzuarbeiten. „Niemand steht über dem Prinzip der Verantwortung, auch nicht Gründerfiguren“, betonte Geschäftsführerin Annemarie Schlack in einer Stellungnahme.
Die Anschuldigungen gegen Mitarbeiter seien ein „Super-Gau“, sagte die Kommissionsvorsitzende Irmgard Griss. Es gehe nun darum, das Vertrauen in die Organisation wieder herzustellen und weitere Vorfälle zu verhindern, so Griss. Die zusätzlichen Vorwürfe gegen Gmeiner würden die Arbeit des Gremiums nicht einfacher machen.
Auch in SOS-Kinderdorf-Einrichtungen in Deutschland ist es in der Vergangenheit zu Übergriffen gekommen. Eine unabhängige Kommission berichtete voriges Jahr von 189 Meldungen zu körperlichen oder emotionalen Übergriffen sowie Verletzungen der Privatsphäre, aber auch zu sexuellen Übergriffen. Diese Zahl umfasst den Zeitraum von 1976 bis Juni 2023.
Gmeiner gründete Organisation nach Zweitem Weltkrieg
Der damalige Medizinstudent Gmeiner hatte die Hilfsorganisation 1949 gegründet – damals noch unter dem Namen Societas Socialis. Im Jahr 1951 wurde das erste SOS-Kinderdorf für verwaiste und verlassene Kinder im österreichischen Imst in Tirol eröffnet. Mittlerweile betreut die Organisation weltweit Kinder und Jugendliche.
In Österreich galt Gmeiner bislang als „Pionier der Menschlichkeit“. Laut der Website der Organisation erhielt er 146 Auszeichnungen. In Österreich wurden zudem zahlreiche Schulen, Straßen und Parks nach ihm benannt.