Die Zeiten sind schnelllebig. Vor gut einem Jahr diskutierte die politische Öffentlichkeit ernsthaft, ob Taylor Swifts Empfehlung für Kamala Harris entscheidend für den Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA sein könnte. Die Argumente sind durch den Erdrutschsieg Donald Trumps widerlegt worden. Seither redet kaum mehr jemand über den politischen Einfluss des amerikanischen Popstars. Aber davon abgesehen ist Swift dauerpräsent.
Gerade hat sie die erfolgreichste Musiktournee der bisherigen Geschichte beendet. Ihre Verlobung mit dem Footballstar Travis Kelce im August brachten die beiden Promis mit dosierter Ironie unter die Leute: „Eure Englischlehrerin und euer Sportlehrer heiraten“, schrieben sie auf dem Netzwerk Instagram.
Doch nicht nur die Klatschspalten drehen sich um sie. Literaturseminare diskutieren ihre Bezüge zu Shakespeare und nutzen ihre literarischen Anspielungen als Ausgangspunkt für Zeitreisen. Dabei ist ihr maßvolles Spiel mit älteren Motiven wohl eher Türöffner als das Werk einer Bob-Dylan-Nachfolgerin.
Ihre Platte ist abgewogen und moderat
Taylor Swifts zwölftes Studioalbum „The Life of a Showgirl“ ist ihr erstes, das schon im Titel ihre außergewöhnliche Rolle reflektiert. Das war in „Reputation“, ihrem sechsten Album von 2017, nur angedeutet. Wer sie spätestens seit dessen Vorgänger „1989“ drei Jahre zuvor geworden war, beschäftigte die Sängerin und Songschreiberin intensiv in ihrem Werk. Hier tauchen viele der für sie entscheidenden Facetten wieder auf: Die Platte ist moderat literarisch, moderat feministisch, moderat kritisch. Das Werk eines abgewogenen Middleclass-Kids aus Pennsylvania.
Seit gut zehn Jahren gehört sie zu diesem elitären und inzwischen deutlich dezimierten Club der Megastars, in dem es nur einen Namensteil braucht, um überall in der westlichen Welt verstanden zu werden: Elvis, Jacko, Prince, Madonna, Beyoncé, Adele. Taylor ist heute die Vorstandsvorsitzende des Clubs. Vorbilder zu finden, fällt schwer, weil die Karrieren solcher Megastars üblicherweise über längere Zeiträume brüchig sind.
Nicht so ihre. Seit der naiven Phase mit dem selbstbetitelten Debüt 2006 ging es nur aufwärts. Madonna dient am ehesten als Blaupause. Wie bei ihr folgte auf eine naive Phase mit drei Alben die Superstarwerdung. „Red“, „1989“, „Reputation“ und „Lover“ stehen für diese Phase. Die Corona-Krise brachte einen unerwarteten Schwenk: Mit „Folklore“ und ihrem besten Album „Evermore“ legte Swift den Panzer ab, ließ Intimität zu und blinkte mit Kollaborationen (The National, Bon Iver) in Richtung Indie-Community. „Midnights“ und „The Tortured Poets“ festigten ihre Rolle als Grandmother of Pop im immer noch frühreifen Alter von Anfang 30.
Sie hört wach auf die Sängerinnen im Wartestand
In der Madonna-Rechnung, die über lange Strecken ihrer Karriere ganz gut aufgeht, wäre sie jetzt bei deren Popskandalwerk „Hard Candy“ von 2008 angelangt. Doch Taylor Swift ist trotz eindeutiger Wahlaussage und all der Fehden mit Katy Perry und Kanye West keine Provokateurin. Vielmehr hört sie wach hin, was sich im Wartestand zum Megastar tummelt – Miley Cyrus, Billie Eilish und Olivia Rodrigo haben mit mehr Hooklines und noch mehr Seelenschau Erfolg. Von den Hooks hatte sich Swift spätestens mit „Lover“ vor sechs Jahren verabschiedet.
Ihre Showgirl-Platte zählt zu den drei kürzesten ihrer Karriere. Alle anderen haben eine Spielzeit von mehr als einer Stunde. Hier ist nach 41 Minuten Schluss. Und das tut der Zusammenstellung ausdrücklich gut. Mehr Fokus, starke Melodien. Aber auch das, was bei Swift-Alben immer ein bisschen mitschwingt: Kontrolle, Midtempo, latente Langeweile. Gut, dass in „Eldest Daughter“ und „Wi$h Li$t“ auch die etwas ungeschminktere Taylor zu hören ist.
Ihre Themen verteilt sie geschickt über das ganze Album. Der Opener „Fate of Ophelia“ greift die wahnsinnige Frauenfigur aus Hamlet auf. Im Song über die älteste Tochter lässt sie ein lyrisches Ich reflektieren, wie sie „cautious discretion“ (zurückhaltende Verschwiegenheit) lernte. „Ruin the Friendship“ handelt von der verpassten Chance eines Kusses. Das in Trump’schen Großbuchstaben präsentierte „Cancelled!“ thematisiert Loyalität im Angesicht von Internetkriegen. Genug Stoff für die intensive Exegese der Fans im Netz und im echten Leben.
Ihre Duette folgen einer strategischen Logik
Positiv an dem Album, das statt Jack Antonoff nun wieder Max Martin produziert hat, fällt auf, dass man das kaum hört. Der Schwede hat seit den Backstreet Boys, Britney Spears, Katy Perry und Pink definiert, wie globaler Großpop zu klingen hat: wuchtig, glatt, frei von Kanten. Dass das nicht überall passt, hat er auf Adeles ansonsten großartiger Platte „30“ bewiesen, wo die von ihm produzierten Stücke negativ herausstachen.
Swift lädt regelmäßig zu Duetten ein, auch das folgt immer einer strategischen Logik: Mit den Dixie Chicks auf „Lover“ besiegelte sie ihre Country-Karriere. Die Kooperation mit The National signalisierte den Fans von Big Thief, Fiona Apple und Aldous Harding, dass sie auch ehrlich kann. Wobei ein bisschen unklar blieb, warum die Leute nicht einfach weiter Big Thief, Fiona Apple und Aldous Harding hören sollten. Zuletzt bat sie Lana Del Rey zum gemeinsamen Singen, deren künstliche Rätselhaftigkeit auf sie abstrahlen sollte.
Diesmal ist Sabrina Carpenter dabei. Ihre Duette sind immer Umarmungen der neusten Trends im Popgeschäft. Etwas Abseitiges hat sich Swift seit „Reputation“ bewahrt. Ihre Fähigkeit zur Intimität aus „Folklore“ ist ihr ebenfalls noch nicht abhandengekommen. Da kann eine Beimischung von Carpenters süßer Anmut nicht schaden. Die Powerakkorde von „Actually Romantic“ sind Olivia Rodrigo abgehört. „Wood“ transportiert die Funkiness von Bruno Mars.
Die Songs auf „Life of a Showgirl“ sind clever und gefällig, ein bisschen zu moderat und zu sehr im immer selben Tempo, das längst das Taylor-Swift-Tempo ist. Nach der Corona-Häutung mit ihren beiden Folkalben werden wir wohl keine Swift ohne Panzer mehr bekommen. Aber ob das überhaupt mit der Rolle kompatibel wäre, das können wohl nur die Mitglieder des Clubs der Megastars beurteilen. Und von denen ist gerade einmal ein halbes Dutzend übrig geblieben.