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Wie Hildegard Knef ihr Leben zu Literatur machte

Suedpole. by Suedpole.
07:32:55 28. Dezember 2025
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Wie Hildegard Knef ihr Leben zu Literatur machte

Hildegard Knef (Archivbild: 24.5.1976)

100. Geburtstag der Schauspielerin Wie Hildegard Knef ihr Leben zu Literatur machte

Stand: 28.12.2025 07:49 Uhr

Hildegard Knef war Chansonniere, Schauspielerin und Diva. Sie machte ihr Leben radikal zu literarischem Stoff, lange bevor Autofiktion zum Begriff wurde. Darin war sie ihrer Zeit weit voraus.

Von Helen Roth, SWR Kultur

100 Jahre alt wäre Hildegard Knef am 28. Dezember geworden. Vieles an ihr ist bis heute präsent: die raue Stimme, das Chanson, die Skandale. Sie war die Trümmerfrau, die sich zu Deutschlands letzter großer Diva aufschwang.

Aber sie schuf auch ein literarisches Werk, das heute weniger bekannt, doch erstaunlich modern ist. Lange bevor Autofiktion zum literarischen Begriff wurde, machte Knef ihr Leben zum Gegenstand einer öffentlichen, literarischen Erzählung.

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Autofiktion bedeutet, das eigene Leben literarisch zu formen. Erzählt wird in Perspektivwechseln, Erinnerungsbrüchen und subjektiver Zuspitzung, statt lediglich Tatsachen zu dokumentieren. Knef ging radikal offen vor, ohne sich oder ihr Publikum zu schonen.

Im Juni 1977 heiratete Knef ihren dritten Ehemann Paul von Schell. Sie waren bis zu ihrem Tod im Jahr 2002 zusammen.

„Hildegard Knef schwieg nicht, sie war laut“

1970 erscheint ihr Buch „Der geschenkte Gaul“. Knef bricht mit den Erwartungen an Künstlerbiografien. Sie erzählt von ihrer Kindheit im Nationalsozialismus, von Bombennächten in Berlin, vom frühen Ruhm nach dem Krieg, vom Scheitern in Hollywood und vom ständigen Gefühl, nicht dazuzugehören. Sie schreibt über Scham, Ehrgeiz und Einsamkeit.

„Hildegard Knef war für die Generation dieser 1925 geborenen Frauen eine Ausnahmeerscheinung. Das waren Frauen, die über das schwiegen, was sie im Krieg erlebt hatten“, sagt die Film- und Kulturhistorikerin Daniela Sannwald. „Und Hildegard Knef schwieg nicht. Sie war laut.“

Der Text folgt keiner klassischen Chronologie: Erinnerungen stehen nebeneinander, Perspektiven wechseln. Das erzählende Ich bleibt brüchig. Knef verzichtet auf Selbststilisierung. Sie zeigt sich widersprüchlich, verletzlich, manchmal sarkastisch. Genau darin liegt die literarische Qualität des Buches.

Bucherfolge: „Der geschenkte Gaul“ und „Das Urteil“

Schon zeitgenössische Kritiken stellten fest, dass „Der geschenkte Gaul“ keine klassische Autobiografie war. Tatsächlich arrangiert Knef ihr Leben literarisch. Ein Verfahren, das heute für autofiktionales Schreiben typisch ist.

Zugleich wurde das Buch ein großer Publikumserfolg: „Der geschenkte Gaul“ erreichte Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste, wurde in 17 Sprachen übersetzt und war das international erfolgreichste Buch eines deutschen Autors beziehungsweise einer Autorin seit 1945.

Auch ihr zweites Buch „Das Urteil“ (1975) wurde zum skandalumwitterten Erfolg. Darin beschreibt Knef ihre Brustkrebserkrankung präzise und unsentimental: den medizinischen Alltag, die Angst, den Kontrollverlust. Krankheit erscheint hier nicht als privates Leiden, sondern wie ein öffentlich verhandelter Zustand.

Hildegard Knef starb 2002 im Alter von 76 Jahren an einer Lungenentzündung. Sie wurde in einem Ehrengrab der Stadt Berlin beigesetzt.

So intim wie später erst Schlingensief

Für die deutschsprachige Literatur der 1970er-Jahre war das nahezu beispiellos. Schon das öffentliche Sprechen über eine Krebserkrankung war gesellschaftlich tabu, das geschriebene Wort ein Skandal. Heute gilt das Buch in der Forschung als frühes prominentes Beispiel für autobiografische Krankheitsnarrative.

Die Verbindung aus persönlicher Offenheit und öffentlicher Selbstbeobachtung findet sich im deutschsprachigen Raum erst Jahrzehnte später wieder – etwa in Christoph Schlingensiefs Krebstagebuch „So schön wie hier kann es im Himmel gar nicht sein“ (2009), in dem Krankheit zur existenziellen und künstlerischen Erfahrung wird.

Hildegard Knefs Texte stehen heute in einer Reihe mit Autorinnen und Autoren, die das eigene Leben konsequent zum literarischen Stoff machen. So erzählt die französische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Annie Ernaux in „Eine Leidenschaft“ (1991) oder „Das Ereignis“ (2000) von Scham, Sexualität und einem Schwangerschaftsabbruch. Ihr Leben dient nicht der Selbstbespiegelung, sondern als Material, um gesellschaftliche Zwänge sichtbar zu machen.

Opfer der Boulevardpresse

Autobiografische Offenheit erreicht heute ein breites Publikum. So verarbeitet Starautor Benjamin von Stuckrad-Barre in „Panikherz“ (2016) Drogensucht, Absturz und mediale Selbstbeobachtung – und trifft damit den Nerv einer Gegenwart, in der persönliche Bekenntnisse Teil der literarischen Öffentlichkeit geworden sind.

Ernaux, Schlingensief und Stuckrad-Barre sind zu Hause bei einem Publikum, das autobiografische Offenheit kennt und erwartet. Ganz anders Hildegard Knef. Sie setzt sich in den 1970er-Jahren ohne solchen Schutz der Öffentlichkeit aus. Ihre Texte galten weniger als Literatur – eher als das moralisch zweifelhafte Bekenntnis einer prominenten Frau.

„Hildegard Knef war die ganze Zeit ein Gegenstand der Boulevardpresse – ihre Ehen, ihre Rollen, ihr Gesang“, sagt Historikerin Sannwald. „Sie hat versucht, das zu lenken, aber das ist ihr nicht gelungen. Sie war auch ein Opfer der Boulevardpresse.“

Die überraschende Aktualität von Hildegard Knef

An ihrem 100. Geburtstag provozieren die Bücher von Hildegard Knef aktuelle Fragen. Wie viel Privates verträgt die Öffentlichkeit? Was kostet es, sich selbst zum Thema zu machen? Wer darf erzählen, ohne dafür moralisch verurteilt zu werden?

In der von Autofiktion geprägten Gegenwart wirken Knefs Texte überraschend modern und nüchtern. Sie verlangen keine Zustimmung, offenbaren Zweifel, Ambivalenz und Selbstwiderspruch. Darin liegt die Kraft und die Aktualität von Hildegard Knef.

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