US-Sicherheitsstrategie Zwischen Zeitenwende und Zurückhaltung
Stand: 08.12.2025 17:49 Uhr
Die neue US-Sicherheitsstrategie mit ihren vehementen Vorwürfen gegen Europa sorgt für Empörung. Während die Bundesregierung den Konfrontationskurs meidet, finden andere es an der Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen.
Für den CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen ist es etwas, das ihm als überzeugtem Transatlantiker nicht leicht fällt auszusprechen. Aber die bittere Wahrheit sei, dass die USA seit einigen Wochen zum ersten Mal nicht mehr an der Seite Europas stehen. In Fragen von Sicherheit, Krieg und Frieden.
Erst der 28-Punkte-Ukraine-Plan, der sich in weiten Teilen wie ein Papier aus dem Kreml liest. Nun die neue US-Sicherheitsstrategie, in der die Europäische Union als undemokratisch und im Niedergang bezeichnet wird.
Schwarz auf Weiß
Auch wenn nicht alles neu ist. Und sich manch einer in Berlin an die Rede von US-Vize-Präsident J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang des Jahres erinnert fühlt: Vorwürfe, in Europa würden die Meinungsfreiheit unterdrückt und demokratische Prozesse untergraben, schwarz auf weiß in einer nationalen US-Sicherheitsstrategie zu lesen, das hat noch einmal eine andere Qualität.
Gerald Knaus von der Denkfabrik „Europäische Stabilitätsinitiative“ spricht im ZDF-Morgenmagazin von einer bemerkenswerten „Brutalität“. Auch weil die USA klarstellen, dass sie den Kurs Europas korrigieren wollen: mithilfe gleichgesinnter, sogenannter „patriotischer Parteien“.
Gefährliche Situation
Als „die größte Krise für Europas Demokratien seit 1948“ bezeichnet Knaus die aktuelle Situation. Weil nun aus seiner Sicht drei Dinge zusammenkommen: die Gefahr für europäische Institutionen und die europäische Integration durch Parteien wie zum Beispiel die AfD. Die Gefahr durch Angriffe auf die Sicherheitsarchitektur von außen: vor allem durch Russland.
Und die Gefahr, dass die US-Regierung, „die im eigenen Land die Demokratie und die demokratischen Standards angreift und diese anti-demokratische Gegenrevolution exportieren will“.
Eine Drohung gegenüber Verbündeten
Etwas, das es in dieser Form seit der Gründung des westlichen Bündnisses noch nie gegeben hat. Der Kreml, der nicht als Bedrohung erwähnt wird, frohlockt. Die Verbündeten müssen sich erst einmal sortieren. Man werde das Papier in allen Punkten intensiv auswerten, erklärte Außenminister Johann Wadephul.
Gegen Ratschläge – jenseits von sicherheitspolitischen Fragen – aber verwahrt er sich. Schließlich habe Deutschland eine funktionierende Verfassungsordnung, eine Gewaltenteilung und freie Medien: „Wir sehen uns auch in der Zukunft in der Lage, das ganz allein miteinander zu besprechen und zu diskutieren und brauchen keine externen Ratschläge dazu.“
Schärfer formuliert es inzwischen der stellvertretende Regierungssprecher Sebastian Hille: Zensurvorwürfe und Kritik an demokratischen Prozessen werte man eher als Ideologie, denn als eine Strategie.
Haltung der Bundesregierung
Dass die USA der wichtigste Verbündete sind und bleiben – das steht für die Bundesregierung außer Frage. Auch Hille bemüht sich, Gemeinsamkeiten herauszustellen: die historisch gewachsenen kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen, die gemeinsame Haltung, dass Verteidigung breit gedacht werden müsse.
Die Betonung der besonderen Beziehungen, die eher zurückhaltende Kritik, die Bekundung, über alles diskutieren zu können: All das dürfte einmal mehr der Tatsache geschuldet sein, dass Europa sicherheitspolitisch weiter auf die USA angewiesen ist.
Klarere Kante gegen Trump?
Bei der Frage, ob die Bundesregierung, allen voran der Kanzler, gegenüber der Trump-Administration konfrontativer, fordernder auftreten müsste, gehen die Meinungen auseinander.
Die Co-Chefin der Linken, Ines Schwerdtner, hält es für an der Zeit, dass auch die Bundesregierung erkenne, dass Trump kein verlässlicher Partner sei. Stattdessen aber halte sie „irrlichternd an dieser Partnerschaft fest“.
Aus den Reihen der Bundesregierung dagegen ist die Mahnung zu hören, nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die Sorge hier: Durch harsche Kritik könnte der direkte Draht, den Kanzler Merz zu Trump hat, verloren gehen. Ein Kontakt, der sich in der Vergangenheit als wichtig erwiesen hat.
Hinter den Kulissen wird längst versucht, die Kontakte zum gesamten politischen US-Establishment auf breitere Füße zu stellen. Ins Gespräch zu kommen, auch über strittige Themen. Auf keinen Fall wollen die Regierungsfraktionen die Kontakte der AfD überlassen, deren Abgeordnete längst neue Reisen geplant haben. Von ihrer Seite gibt es wenig überraschend viel Applaus für die neue Strategie. Schließlich hofft sie, von ihr zu profitieren.










