
analyse
Wehrdienst-Debatte Pistorius nimmt es persönlich
Stand: 18.10.2025 09:24 Uhr
Eigentlich wollte Schwarz-Rot mehr Rücksicht aufeinander nehmen, doch beim Wehrdienst krachte es erneut. Dabei rückt das Vorgehen von Verteidigungsminister Pistorius in den Fokus. Für ihn geht es auch um seinen Ruf.
Dass sein Gesetzentwurf nicht wie geplant Anfang Oktober in den Bundestag eingebracht wurde, weil die Unionsfraktion Änderungsbedarf sah, schon das hat Verteidigungsminister Boris Pistorius gewurmt. Änderungen, hieß es auch von Seiten führender Sozialdemokraten, seien schließlich nach der ersten Lesung im Bundestag möglich – und dann auch eher üblich. Kein Grund also, dem Minister jetzt in die Parade zu fahren.
Das aber scheint plötzlich stilbildend. Kanzler Friedrich Merz, der den Gesetzentwurf nach Kabinettsbeschluss gemeinsam mit dem Verteidigungsminister im Bendler-Block groß vorgestellt hat, äußert sich plötzlich kritisch. Fachpolitiker aus Union und SPD arbeiten an einem Papier, das als „Formulierungshilfe“ dienen soll. Eine Ergänzung also zum Gesetzentwurf. Und zwar eine, die sich so gar nicht mit den Vorstellungen des Ministers deckt. Was ihn und seinen Entwurf alt aussehen lässt.
Es geht um Pistorius‘ Ruf
Dass am Gegenentwurf ausgerechnet Norbert Röttgen (CDU) mitarbeitet, der öffentlich keinen Hehl daraus macht, dass er Pistorius‘ Gesetzentwurf für handwerklich schlecht gemacht hält, macht die Sache nicht besser. Inwieweit ins Gewicht fällt, dass von Seiten der SPD Siemtje Möller, die frühere Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, mitschreibt, die dort wohl auch gern geblieben wäre, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Spürbar ist nur: Pistorius nimmt es durchaus persönlich. Vielleicht auch, weil es um seinen Ruf geht. Zwar scherzt er gern darüber, dass er bei Beliebtheitsumfragen an der Spitze der Politikerinnen und Politiker steht, aber schmeicheln tut es natürlich trotzdem. Immerhin ist er Verteidigungsminister, sitzt also auf einem Posten, der gemeinhin als „Schleudersitz“ gilt, und punktet bei den Menschen, obwohl er von Kriegstüchtigkeit und hohen Ausgaben für Verteidigung und Wehrdienst spricht.
Image als Macher
Pistorius hat sich ein Image als Macher erarbeitet. Als einer, der Reformen angeht. Der nun aber auch liefern muss, weil die Voraussetzungen gegeben sind und es nicht einmal mehr an Geld mangelt.
Aus Sicht von Fachpolitikern in der Union könnte und müsste Pistorius deshalb jetzt klare Zielmarken setzen. Auch mit Blick auf die Wehrpflicht. Sie fordern, dass der SPD-Politiker konkrete Zahlen nennt, wie viele Freiwillige zu einem Zeitpunkt X zusammengekommen sein müssen, um sagen zu können, ob es reicht. Konkrete Zahlen also, an denen der Erfolg des freiwilligen Wehrdienstmodells gemessen werden könnte.
Das würde aber eben auch bedeuten, dass der Minister unter Zugzwang gerät, wenn die Zahl nicht erreicht wird. Das könnte zu Diskussionen innerhalb der SPD führen, die sich sehr auf das Modell Freiwilligkeit versteift hat.
Nichts, was sich nicht hätte klären lassen
Die Befindlichkeiten, die unterschiedlichen parteipolitischen Positionen und damit die Differenzen sind seit Langem bekannt. Und eigentlich hatten die Koalitionäre einander bei diversen Klausuren und Veranstaltungen versprochen, aufeinander Rücksicht zu nehmen und viel intern zu kommunizieren, um möglichst wenig öffentlich zu streiten. Erst recht bei wichtigen Gesetzesprojekten. Und dazu gehört der Wehrdienst.
Es ist auch nicht so, dass nicht gesprochen wurde. Am Montag trafen sich die Fachpolitiker aus Union und SPD, um noch einmal über die Änderungsvorschläge zu beraten. Mit dabei war der Verteidigungsminister, der zwar nicht begeistert war, aber das Projekt offenbar auch nicht klar stoppte.
Zumindest entstand bei SPD-Fraktionschef Matthias Miersch der Eindruck, dass man auf einem guten Weg ist. Sonst hätte er kaum am nächsten Tag von einer Einigung auf Eckpunkte gesprochen, die auf einer Pressekonferenz am selben Tag vorgestellt würden.
Bewusste Eskalation?
Nicht nur für ihn, auch für andere kam es deshalb überraschend, als ein sichtlich verärgerter Pistorius in der Fraktionssitzung der SPD das Wort ergriff und mit Blick auf die Vorschläge der Fachpolitiker von Union und SPD von einem „faulen Kompromiss“ sprach. Und damit Stimmung gegen die Änderungsvorschläge machte.
Was die Frage aufwirft: Warum erst jetzt, fast zeitgleich zum Beginn der geplanten Pressekonferenz, und nicht vorher? In der Union sind viele überzeugt, dass es kein Zufall war, dass der Vorschlag, ein Losverfahren einzuführen, für den Fall, dass sich nicht genügend Freiwillige finden, vorab an die Medien gespielt wurde. Schnell war von „Lotterie mit Gewehr“ die Rede. Die Stimmung: aufgeheizt. Die Pressekonferenz musste abgesagt werden.
Bundespräsident Frank Steinmeier, der sich qua Amt aus der aktuellen politischen Debatte heraushält, nennt es öffentlich „kommunikative Fehlleistung“.
Streit überlagert die Debatte
Auch wenn am Tag der ersten Lesung im Bundestag alle Beteiligten versuchen, einen halbwegs versöhnlichen Tonfall anzuschlagen, überlagert der Streit die Debatte. Die Frage steht im Raum, ob persönliche Befindlichkeiten über Inhalte gestellt wurden.
Es stimmt, dass es, wie der Verteidigungsminister im Parlament versöhnlich sagt, intensive, ehrliche Debatten bei einer so wichtigen Frage braucht. Aber es kommt eben auf die Art und Weise an – und die war zumindest im Vorfeld schlicht untauglich.