
interview
Stand: 13.10.2025 19:36 Uhr
Dass der US-Präsident zuletzt Druck auf Israels Premier ausgeübt hat, hat nach Ansicht des Nahost-Experten Busse das Gaza-Abkommen erst ermöglicht. Doch die schwierigsten Fragen müssten noch geklärt werden – und hier komme es weiter auf Trump an.
tagesschau.de: US-Präsident Donald Trump wurde im israelischen Parlament bejubelt, mit teils frenetischem Applaus wurde ihm gedankt. Premierminister Benjamin Netanjahu betonte, mit Trumps Amtsantritt habe sich über Nacht alles geändert. Wie haben Sie den Auftritt von Trump wahrgenommen?
Jan Busse: Der Auftritt von Trump war natürlich typisch. Zunächst lobte er sich selbst, im Anschluss aber auch seine Entourage und deren Verhandlungsgeschick – und er ging sehr auf Netanjahu als starke Führungspersönlichkeit ein.
Bemerkenswert fand ich, dass er den israelischen Staatspräsidenten Izchak Herzog dazu aufforderte, Netanjahu zu begnadigen, obwohl der ja noch gar nicht verurteilt ist wegen Korruption. Da hat die Opposition sicherlich nicht applaudiert, weil das ein ganz kontroverses Thema in Israel ist.
Zudem war es schon bemerkenswert, dass Trump immer wieder auch das Thema Frieden hervorhob und betonte, nun sei nicht die Zeit für Krieg. Trump sprach damit auch Netanjahu persönlich an. Israel hat in den vergangenen zwei Jahren durch militärische Stärke sehr viel in der Region verändert. Zwar zu seinen Gunsten, aber bisher war daraus noch kein dauerhafter Frieden, Stabilität oder Sicherheit entstanden.
„Druck war ein zentrales Mittel“
tagesschau.de: Blicken wir auf die Methode, die Trump in den vergangenen Monaten angewandt hat, um Frieden zwischen Israel und der Hamas zu bewirken. Druck und Drohgebärden – das scheint aufgegangen zu sein?
Busse: Druck war ein ganz zentrales Mittel von Trump, um jetzt diesen Deal zu ermöglichen. Den Druck hat er aber eigentlich erst jetzt innerhalb des vergangenen Monats aufgebaut und zuvor genau auf dieses Mittel verzichtet. Im Gegenteil, er hat zugelassen, dass Netanjahu diesen Krieg im Gazastreifen ungehemmt führen konnte. Trump hat auch toleriert, dass Israel dort die humanitäre Hilfe vorenthalten konnte.
Und das war nicht das erste Mal, dass Trumps Druck zum Erfolg führte. Bereits im Januar, kurz bevor er ins Amt eingeführt wurde, hatte er schon einmal diese Methode angewandt. Damals gab es im Anschluss einen Waffenstillstand und einen Austausch von Geiseln und Gefangenen.
Dieser Druck ist definitiv zentral – und zugleich etwas, das man der Vorgänger-Administration unter US-Präsident Joe Biden vorwerfen muss. Der hatte die ganze Zeit während dieses Krieges darauf verzichtet, Druck auszuüben – vor allem auf Netanjahu.
Die Nachwirkungen des Angriffs auf die Hamas-Führung
tagesschau.de: Wie erklären Sie, dass jetzt so kurzfristig der Druck so massiv angestiegen ist? Spielte da der Angriff in Katar doch die maßgebliche Rolle?
Busse: Dieser israelische Angriff auf die Führung der Hamas in Katar hat tatsächlich eine Veränderung herbeigeführt. Daraus folgte die Einschätzung von Trump, „das Maß ist voll, jetzt reicht es“. Ab diesem Zeitpunkt kam eine andere Dynamik rein. Trump hat sicherlich auch beobachtet, dass es die Anerkennungswelle durch viele Staaten gab, die Palästina als Staat anerkannt haben.
Und aufseiten der Hamas war vor allem militärischer Druck ein Faktor. Gleichzeitig haben die arabischen Staaten plus die Türkei sehr viel Einfluss ausgeübt, dass die Hamas sich kompromissbereit zeigt.
„Netanjahu fehlt der Mut, einen langfristigen Frieden zu machen“
tagesschau.de: Bis zuletzt war ja unklar, ob Netanjahu doch noch nach Ägypten fliegen würde. Zunächst hatte ihn Trump eingeladen und Ägypten bestätigte sein Kommen. Dann ruderte sein Büro zurück. Welche Aussage hat dieses Hin und Her?
Busse: Netanjahu ist jemand, der sehr strategisch operiert. Er wurde da von Trumps Impulsivität überrumpelt und hat sich vielleicht auch kurzzeitig dazu hinreißen lassen, dem Ganzen zuzustimmen. Das wissen wir nicht ganz genau.
Ich denke, er musste sich dann tatsächlich eingestehen, dass er Rücksicht auf seine rechtsextremen Koalitionspartner nehmen muss. Auch wollte er wahrscheinlich partout verhindern, dass es Bilder von ihm neben dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas gibt oder er womöglich noch einen Handschlag mit ihm eingehen muss.
So zeigt sich, es fehlt Netanjahu der politische Mut, aus dieser Situation wirklich einen langfristigen Frieden zu machen. Das ist zwar nur ein Ereignis, aber es zeigt, dass er, wenn es ums Ganze geht, dann doch eher den Rückzieher macht.
Was Witkoff und Kushner jetzt klären müssen
tagesschau.de: Kann denn ein „Friedensgipfel“ funktionieren, bei dem ja beide Kriegsparteien in gewisser Weise nicht mit am Tisch sitzen oder nur indirekt durch die Vermittler?
Busse: Bei dem Gipfel ging es wohl eher um einen zeremoniellen Akt, bei dem Trump sich als Friedensstifter feiern ließ. Die Arbeit zwischen den Konfliktparteien muss jetzt noch folgen.
Dabei ist es wichtig und elementar, dass Trump am Ball bleibt und seine Berater Steve Witkoff und Jared Kushner dafür sorgen, die wichtigen Fragen zu klären: Wann zieht sich Israel mit seinen Streitkräften zurück aus dem Gazastreifen? Wie wird die Hamas entwaffnet? Wie soll eine Übergangsverwaltung aus parteilosen palästinensischen Experten aussehen? Wie soll dieses Friedensgremium, dieses „Board of Peace“, mit Kompetenzen ausgestattet werden? Wie genau erfolgt der Wiederaufbau? Und natürlich auch: Welche Staaten sollen diese internationale Friedensmission mit Truppen ausstatten?
All diese Fragen müssen jetzt noch geklärt werden. Die vergleichsweise einfacheren, auch wenn sie, wie der Austausch von Gefangenen und Geiseln, überaus bedeutsam sind, konnte man klären. Die schwierigeren Fragen, die stehen jetzt überhaupt erst noch aus.
„Sehe ein Risiko, dass der Krieg fortgesetzt werden könnte“
tagesschau.de: Ist es denkbar, dass Israel die Kampfaktivitäten wieder aufnimmt? Beispielsweise dann, wenn die Waffen jetzt doch nicht so abgegeben werden, wie ursprünglich seitens der Hamas zugesagt.
Busse: Ich sehe ein Risiko, dass dieser Krieg wieder fortgesetzt werden könnte durch Israel. Und ich glaube, dass Teile dieses Plans von Trump auch so formuliert worden sind, dass man dafür, wenn man das möchte, einen Vorwand finden kann.
Ob sich Netanjahu etwa von seinen rechtsextremen Koalitionspartnern dazu drängen lässt oder aber ob dieses Drängen von Trump, es nicht wieder zu tun, stärker ist, wird sich zeigen. In der „Air Force One“ – dem Präsidentenflugzeug – hat Trump heute mehrfach gesagt: „Dieser Krieg ist zu Ende“. Ein Signal, auch an Netanjahu.
tagesschau.de: Wie lässt sich das Machtvakuum füllen, das jetzt im Gazastreifen entstanden ist? Es gibt Berichte von gezielten Tötungen und Racheakten seitens der Hamas auf offener Straße.
Busse: Die Hamas versucht direkt wieder die Kontrolle über den Gazastreifen zu übernehmen und schickt auch bewaffnete Kräfte auf die Straßen, um ihren Machtanspruch deutlich zu machen. Bewaffnete Gruppen, die von Israel unterstützt wurden und in Opposition zur Hamas stehen, werden langfristig nicht in der Lage sein, die Hamas herauszufordern. Womöglich hat Israel auch ein Interesse daran, dass die Situation in ein Chaos abgleitet. Aktuell sieht es eher danach aus, dass die Hamas tatsächlich in der Lage ist, durch Waffengewalt die Kontrolle zu übernehmen.
Viele Fragen um Stabilisierungstruppe
tagesschau.de: Trumps 20-Punkte-Plan sieht vor, dass die Macht wieder an palästinensische Hände übergeben wird. Zuvor muss aber der Waffenstillstand überwacht werden. Das soll mit einer internationalen Stabilisierungstruppe geschehen. Wie soll die aussehen?
Busse: Das ist noch eine offene Frage. Arabische Golfstaaten werden sich nur daran beteiligen, wenn auch eine Perspektive für den Wiederaufbau und für eine palästinensische Unabhängigkeit vorhanden ist. Sonst müssten sie befürchten, als Komplizen der israelischen oder amerikanischen Seite zu gelten.
Es sind jetzt schon immer wieder einige Staaten im Gespräch gewesen, beispielsweise auch Indonesien. Der indonesische Staatschef wird diese Woche erstmalig in Israel erwartet. Womöglich gibt es hier einen Zusammenhang. Die Frage ist, ob ägyptische Truppen auch dabei sein könnten. All das sind Fragen, die noch auszuhandeln sind.
Zur Person
Jan Busse ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Internationale Politik und Konfliktforschung der Universität der Bundeswehr München. Dort forscht er unter anderem zu den politischen und gesellschaftlichen Dynamiken des Nahen Ostens. Zusammen mit Bernhard Stahl ist er bis 2027 Herausgeber der Zeitschrift für internationale Beziehungen. Zuletzt erschien von ihm die aktualisierte Neuauflage des Buchs „Der Nahostkonflikt: Geschichte, Positionen, Perspektiven“ (mit Muriel Asseburg).
„An einer verhandelten Konfliktlösung führt kein Weg vorbei“
tagesschau.de: Auch wenn sie in weiter Ferne liegen mag, welche Rolle spielt denn aktuell die Zweistaatenlösung? Folgt man dem 20-Punkte-Plan ist sie eine Option, die zumindest darin nicht ausgeschlossen ist.
Busse: Sie wird in diesem 20-Punkte-Plan von Trump tatsächlich nur angedeutet. Allein das ist ein Fortschritt. Genauso wie die Tatsache, dass wir nicht mehr von der Zwangsvertreibung der Zivilbevölkerung sprechen und dass eine Besatzung oder Annexion des Gazastreifens ausgeschlossen wird.
Aber ich denke, wenn Israelis und Palästinenser tatsächlich dauerhaft in Sicherheit und Frieden leben wollen, dann führt an einer verhandelten Konfliktregelung in Richtung Zweistaatenlösung kein Weg vorbei.
Und vor allem, glaube ich, ist das der einzige Weg, der wirklich auch dazu führen kann, dass Akteure wie die Hamas letzten Endes an Boden verlieren. Wenn die Verhandlungen nicht voran kommen, stärkt das die radikalen Kräfte.
Das Gespräch führte Katja Keppner, tagesschau.de