
Merz zur „Stadtbild“-Kritik Migranten sind „unverzichtbarer Bestandteil“
Stand: 22.10.2025 20:27 Uhr
An seinen Äußerungen zur Migration hatte es viel Kritik gegeben, auch weil der Bundeskanzler dabei sehr vage blieb. Jetzt hat Merz konkretisiert, wer genau für ihn ein „Problem im Stadtbild“ ist – und wer nicht.
Nach Kritik an seiner Äußerung zu Problemen im „Stadtbild“ hat Bundeskanzler Friedrich Merz bei einem Besuch in London erstmals genauer erläutert, was er damit meint.
Der CDU-Politiker betonte einerseits, dass Deutschland auch in Zukunft Einwanderung vor allem für den Arbeitsmarkt brauche. Andererseits benannte er erstmals, wer ihn im öffentlichen Bild deutscher Städte stört: Migranten ohne Aufenthaltsrecht und Arbeit, die sich nicht an die in Deutschland geltenden Regeln halten. Diese bestimmten teilweise das öffentliche Bild in den Städten, sagte Merz. Das betreffe Bahnhöfe, U-Bahnen, bestimmte Parkanlagen, ganze Stadtteile, „die auch unserer Polizei große Probleme machen“.
„Wir brauchen auch in Zukunft Einwanderung. Das gilt für Deutschland wie für alle Länder der Europäischen Union. Wir brauchen sie auch und vor allem für unsere Arbeitsmärkte“, sagte der Kanzler am Rande des Westbalkan-Gipfels in der britischen Hauptstadt. Schon heute seien Menschen mit Migrationshintergrund „unverzichtbarer Bestandteil unseres Arbeitsmarktes“. „Wir können auf sie eben gar nicht mehr verzichten, ganz gleich, wo sie herkommen, welcher Hautfarbe sie sind und ganz gleich, ob sie erst in erster, zweiter, dritter oder vierter Generation in Deutschland leben und arbeiten.“
Petition gegen Merz‘ Aussagen
Merz war für eine Aussage zum Thema Migration in den vergangenen Tagen viel kritisiert worden. Es gebe „im Stadtbild noch dieses Problem“. Auf die Frage, wie er die Aussage gemeint habe, sagte er später auf einer Pressekonferenz: „Fragen Sie mal ihre Töchter.“
Dagegen hatten mehr als 120.000 Menschen binnen 24 Stunden eine Petition mit dem Titel „Wir sind die Töchter“ unterschrieben. „Wir sind die Töchter und lassen uns von Ihrem Rassismus nicht einspannen, Herr Merz! Sie sprechen nicht für uns“, erklärte die Initiatorin Cesy Leonard. „Wir haben ein strukturelles Problem mit Gewalt gegen Frauen – fast immer im eigenen Zuhause. Die Täter sind nicht irgendwelche Menschen im ‚Stadtbild‘, sondern Ehemänner, Väter oder (Ex)Partner.“ Die Forderung: „Erklären Sie Schutz vor häuslicher Gewalt zur Chefsache und erkennen Sie Femizide endlich als eigene Straftat an.“
Am Dienstagabend hatten bereits mehrere Tausend vor der CDU-Parteizentrale in Berlin unter dem Motto „Wir sind die Töchter“ demonstriert. Weitere Kundgebungen sind in Kiel und Köln geplant.
Kritik vom DIW und der Diakonie
Auch aus Politik und Wirtschaft gibt es weitere Reaktionen. Darunter auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): „Seine jüngsten Äußerungen verschärfen die gesellschaftliche Polarisierung und richten einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden an“, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher dem Handelsblatt. „Die Botschaft des Bundeskanzlers schwächt die Willkommenskultur Deutschlands und wird den Fachkräftemangel in Deutschland in den kommenden Jahren verschärfen.“
Der Präsident der Diakonie, Rüdiger Schuch, betonte, zugewanderte Menschen seien seit Jahrzehnten „selbstverständlicher Teil unserer Stadtbilder“. „Sie gehören einfach zu uns: mit ihren Unternehmen, Kulturen, als Kolleginnen am Arbeitsplatz, als Mitspieler im Fußballverein, als Nachbarin und vieles mehr.“ Probleme müssten angesprochen, „dann aber mit einer sachorientierten Politik gemeinsam gelöst werden, ohne Polemik und in gegenseitigem Respekt“.
SPD: „Merz hat viele verunsichert“
Die SPD geht weiter auf Distanz zur Äußerung ihres Koalitionspartners. „Wir müssen als Politik auch höllisch aufpassen, welche Diskussion wir anstoßen, wenn wir auf einmal wieder in ein ‚Wir‘ und ‚Die‘ unterteilen“, sagte Vizekanzler und SPD-Co-Parteichef Lars Klingbeil auf dem Gewerkschaftskongress der IG BCE. „Ich möchte in einem Land leben, bei dem nicht das Aussehen darüber entscheidet, ob man ins Stadtbild passt oder nicht.“
Rheinland-Pfalz‘ Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) warf Merz im rbb24 Inforadio vor, mit seinen Aussagen Menschen verunsichert zu haben. Viele würden sich fragen, ob sie persönlich gemeint seien und seien deshalb verletzt und verärgert: „Ich glaube schon, da hat der Kanzler auch die Aufgabe, seinen Worten entweder Klarheit zu verleihen oder sie mit politischen Vorschlägen zu versehen.“
CSU: „Geht nicht um jemanden, der seit Jahren hier lebt“
In der eigenen Partei erhält Merz viel Zustimmung, es gibt aber auch einzelne kritische Stimmen und den Wunsch nach Klarstellung. Etwa für den ehemaligen Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) waren seine Aussagen „zu nebulös“.
Unionsfraktionschef Jens Spahn verteidigte Merz: „Der Bundeskanzler hat doch eigentlich etwas ausgesprochen, was jeder sieht, wenn er durch Duisburg geht, aber übrigens auch, wenn er durch manche mittelgroße deutsche Stadt geht. Irreguläre Migration hat etwas verändert“, sagte der CDU-Politiker der Bild-Zeitung. Vor allem an Bahnhöfen, so Spahn: „Verwahrlosung, Drogendealer, junge Männer, meistens mit Migrationshintergrund, meistens Osteuropa oder arabisch-muslimischer Kulturraum.“ Das habe auch was mit irregulärer Migration zu tun.
Auch CSU-Politiker und Nürnberger Oberbürgermeister Marcus König stellte sich hinter Merz. Er hielt die Diskussion für falsch. „Da geht es nicht um irgendjemanden, der seit Jahren da ist, der hier lebt. Die sind ein Teil unserer Gesellschaft“, sagte er im Bayrischen Rundfunk. „Sondern es geht um Menschen, die wir versuchen seit Jahren, mit allen Möglichkeiten abzuschieben, weil sie entweder Straftäter sind oder ihren Aufenthalt verwirkt haben.“