
Bürgermeisterwahlen Wie Parteilose die Rathäuser erobern
Stand: 22.10.2025 18:56 Uhr
In Brandenburg gewinnen zunehmend parteilose Kandidaten Bürgermeisterwahlen – oft überraschend und gegen etablierte Parteien. Was macht sie so erfolgreich? Wo liegen ihre Grenzen?
Von Jacqueline Piwon, rbb
Als Axel Strasser an diesem Morgen den Kreiswahlleiter trifft, ist alles noch ungewohnt und neu. „Ich hab mich jetzt einfach mal hier so hingesetzt“; sagt er. Wenige Minuten später unterschreibt er seine Antrittsurkunde. Damit ist es offiziell: Axel Strasser ist der frisch gewählte Bürgermeister von Frankfurt (Oder).
Mit Kommunalpolitik hatte der 48-Jährige bisher nichts zu tun. Als parteiloser Einzelbewerber hat Strasser sich gegen drei weitere Kandidierende überraschend durchgesetzt und in der Stichwahl schließlich gegen die AfD mit 69,8 Prozent die Wahl gewonnen.
Bis vor Kurzem war Strasser noch Referent bei der Industrie- und Handelskammer Ostbrandenburg. „Man spürt, dass man eine große Verantwortung übernimmt, aber es ist auch eine Freude und ich nehme das gerne an“, sagt er an seinem ersten Tag im Büro des Oberbürgermeisters.
Erfolg ohne Parteibindung
Frankfurt (Oder) ist mit seinem parteilosen Stadtoberhaupt kein Einzelfall. In Brandenburg gab es in den vergangenen Wochen 25 Bürgermeisterwahlen.
Auch in der Landeshauptstadt Potsdam hat eine parteilose Kandidatin gewonnen. Die 49-jährige Noosha Aubel sorgte mit ihrem Wahlsieg dafür, dass die SPD in Potsdam zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung das Amt des Oberbürgermeisters in Potsdam verlor. Eine Klatsche für die Brandenburger SPD.
Chancen und Risiken der Parteilosen
Aber auch in neun weiteren Brandenburger Kommunen haben parteilose Kandidaten die Bürgermeisterwahlen gewonnen. Welche Chancen und Risiken liegen im Erfolg der Parteilosen?
Der Politologe Stefan Marschall von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf erklärt den Erfolg der Parteilosen so: „Was wir beobachten können, ist, dass die Parteien an Attraktivität verlieren. Die Parteienbindung nimmt ab und das führt dazu, dass die Wählerinnen und Wähler vielleicht auch bereiter sind, Menschen zu wählen, die kein Parteibuch haben.“
Die parteilosen Kandidaten gelten eher als unbelastet und unvoreingenommen. Gleichzeitig sei es für Wählerinnen und Wähler schwieriger herauszufinden, wofür die parteilosen Kandidaten stünden, so Marschall.
Und: Rathauschefs, die keine Partei im Rücken haben, müssen in Stadtverordnetenversammlungen erst aufwendig nach neuen Kompromissen und Mehrheiten suchen. Im Zusammenspiel mit der Landesebene muss die Rathausspitze viel für die Kommune herausholen: Haushaltsgelder, Fördermittel, Landesinvestitionen. Ohne Anbindung an eine Landespartei mit Sitz und Stimme im Parlament kann das mühsam werden.
AfD scheitert an kommunaler Realität
Auffällig ist auch, dass die AfD bei den Bürgermeisterwahlen in Brandenburg bisher keine der Wahlen für sich entscheiden konnte, dabei war das ihr erklärtes Ziel. Die Partei wollte den „ersten AfD-Bürgermeister in Brandenburg stellen“.
Dieses Ziel wurde verfehlt, obwohl die AfD in aktuellen Umfragen stärkste Kraft in Brandenburg ist. Stattdessen haben in insgesamt elf der 25 Wahl-Kommunen parteilose Kandidaten gewonnen. Sind sie also die „Geheimwaffe“ gegen die AfD?
„Die AfD ist ausmobilisiert – zumindest für den Moment“, sagt Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek von der Universität Potsdam. Wenn es um eine Stichwahl gehe, könne die AfD kaum noch weitere Wählerinnen und Wähler dazugewinnen, so Thomeczek.
Sichtbar wird das in Frankfurt (Oder). Hier kam der AfD-Kandidat Wilko Möller in der ersten Wahl auf 30,2 Prozent der Stimmen. Und auch in der Stichwahl entschieden sich 30,2 Prozent der Wähler für den AfD-Kandidaten.
Bürgernähe und Regionalverbundenheit
Aber Parteilose sind kein Allheilmittel. Die Gründe für ihre Erfolge sind vielschichtig. Es ist zum einen die Schwäche der etablierten Parteien in Brandenburg, besonders die der SPD. Es ist auch eine sich generell verstärkende Skepsis gegenüber Bundes- und Landespolitik. Es ist aber auch die Forderung nach gesundem Menschenverstand vor parteipolitischen Zwängen, vor allem auf kommunaler Ebene.
Und nicht zuletzt ist es eine Verwurzelung vor Ort. Dabei geht es nicht immer nur darum, in der Stadt geboren und aufgewachsen zu sein, aber um eine gewisse Verbundenheit mit der Region.
In Potsdam gewann Noosha Aubel haushoch, die sechs Jahre in der Stadt gearbeitet hat, gegen den SPD-Kandidaten. Dieser war allein für den Wahlkampf nach Potsdam gekommen.
In Frankfurt (Oder) konnte Axel Strasser auch damit punkten, dass er fließend polnisch spricht. In der Stadt an der Grenze zu Polen, deren Menschen im Alltag eng mit der polnischen Stadt Slubice verbunden sind, ist das wichtig.
Der Politologe Marschall formuliert es so: „Parteilose sind nicht automatisch bürgernäher, aber sie haben vielleicht weniger Schranken zwischen sich und den Bürgern, weil die Partei nicht dazwischen steht.“