Stand: 24.11.2025 05:01 Uhr
Sie sind jung und ohne Arbeit: Unter dem Vorwand lukrativer Jobangebote werden immer wieder junge Afrikaner nach Russland gelockt. Doch in Wahrheit sollen sie kämpfen – für Russland gegen die Ukraine.
Wir nennen ihn Calvin Masharia. Seinen echten Namen möchte der junge Kenianer in der Öffentlichkeit nicht preisgeben, denn seine Geschichte ist heikel. Wir treffen Calvin zu Hause. Hier fühlt er sich sicher, hier möchte er reden.
Calvin ist IT-Spezialist, derzeit allerdings arbeitslos. Damit geht es ihm wie vielen jungen Kenianern. Laut dem Verband der kenianischen Arbeitgeber haben knapp 70 Prozent der jungen Leute bis 34 Jahre keinen Job. Calvin möchte arbeiten und Geld verdienen. Über einen Freund erfährt er von Jobangeboten in Russland.
„Mir wurde gesagt, dass es um Jobs wie Fahrer oder Küchenpersonal in einem Militärcamp geht“, berichtet Calvin. „Die Bezahlung soll gut sein. Sehr gut sogar. Und es soll einen Arbeitsvertrag für ein Jahr geben.“
Jobangebot ohne Arbeitsvertrag
Für diesen Job wurden Calvin umgerechnet 1.600 Euro pro Monat angeboten. Etwa viermal so viel, wie er zuletzt in Kenia verdient hat. Plus eine Sonderzahlung von knapp 20.000 Euro. Calvin greift zu. Eine Agentur in Kenia organisiert die Reise nach Russland. Doch um dorthin zu kommen, muss Calvin erst einmal selbst zahlen – umgerechnet gut 400 Euro für den Flug und ein Touristenvisum.
Über WhatsApp kommunizierte Calvin mit der Agentur. „Eine Mitarbeiterin sagte mir, ich solle ihr vertrauen“, erzählt er. „Mit dem Arbeitsvertrag wird alles geregelt, wenn ich in Russland bin. Alles ist in Ordnung.“
Kenianern werden Pässe abgenommen
Calvin verlässt sich darauf. Wenige Tage später sitzt er im Flieger. Von Kenia aus geht es über Dubai nach Moskau. Nach 12 Stunden Flugreise müssen sich Calvin und andere Kenianer einer ausgiebigen Kontrolle am Flughafen in Moskau unterziehen: Fotos, biometrische Daten, ihre Mobiltelefone werden gecheckt, ihre Pässe werden ihnen abgenommen.
In einem Bus werden die Afrikaner aus der Stadt gefahren. Nach etwa 45 Minuten Fahrtzeit kommen sie in einem Militärcamp an, erinnert sich Calvin. Dort treffen sie andere junge Männer, auch aus Kenia. „Von ihnen haben wir erfahren, dass die angebotenen Jobs ein Fake sind. Sie sagten, was auch immer euch erzählt wurde, ist eine Lüge. Jeder der hierhin kommt, wird an die Front geschickt.“
Keine Ausbildung in Militärcamps
Calvin ist schockiert, er bekommt Angst. Er will nicht für Russland gegen die Ukraine kämpfen. Deshalb beginnt Calvin einen Fluchtplan zu schmieden. Doch die Tage im Militärcamp sind durchgetaktet: frühes Aufstehen, medizinische Untersuchungen, Fitnesstraining. Eine militärische Ausbildung gibt es nicht, erinnert sich der junge Kenianer.
Den meisten im Militärcamp werden die Mobiltelefone abgenommen. Doch Calvin versteckt sein Handy, behauptet er habe keines und kommt damit durch. Das ist seine Rettung, denn so kann er die Flucht organisieren. Calvin zieht zwei befreundete Kenianer ins Vertrauen. Beim Einkauf in einem kleinen Supermarkt ganz in der Nähe des Militärcamps nutzen sie die Chance zur Flucht. Calvin bestellt ein Taxi, sie fahren nach Moskau, retten sich in die kenianische Botschaft. Dort bekommen sie Ersatzdokumente und können damit zurück nach Kenia fliegen.
„Wir haben uns so befreit gefühlt. Ich war kurz davor zu weinen, als ich meine Familie wiedergesehen habe. Uns ist die Flucht gelungen. Aber mir tun die Jungs leid, die noch dort sind.“
Afrikanische Soldaten als Söldner
Für Russland sei es sehr wichtig, neue Kämpfer aus dem Ausland zu rekrutieren, um die eigene Bevölkerung zu schonen, sagt der kenianische Sicherheitsexperte Byron Adera. Denn der Krieg mache sich auch in der russischen Armee bemerkbar. Nach einer Schätzung des Center for Strategic and International Studies in Washington sind bislang bis zu 250.000 russische Soldaten in diesem Krieg gestorben.
Nach Angaben des ukrainischen Außenministeriums sollen mindestens 1.400 Menschen aus 36 afrikanischen Ländern in der russischen Armee kämpfen. Darunter auch ehemalige afrikanische Soldaten, die nun als Söldner arbeiten. Die meisten von ihnen kämen schon beim ersten Kampfeinsatz in ukrainische Gefangenschaft.
Der kenianische Präsident William Ruto schrieb auf dem Onlineportal X, er habe den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gebeten, die Freilassung aller Kenianer aus ukrainischer Haft zu ermöglichen. Er wolle auch das Bewusstsein bei jungen Kenianern schärfen, dass solche Einsätze illegal und gefährlich seien.
Menschenhandel statt Jobchance
Calvin wusste, dass es diesen Krieg gibt. Dass Afrikaner dort für Russland gegen die Ukraine kämpfen, habe er nicht geahnt. „Da geht es mehr um Menschenhandel als um Jobmöglichkeiten. Ich fühle mich betrogen“, sagt er.
Deshalb will Calvin nun andere junge Afrikaner warnen. Sie sollen nicht auf Fake-Jobs in Russland reinfallen, an der Front laden und dort unter Umständen ihr Leben verlieren.








