Stand: 07.11.2025 13:05 Uhr
Immer mehr gefälschte Studien untergraben die Glaubwürdigkeit der Forschung. Mit einer Deklaration fordert eine Gruppe von Forschern, den organisierten Wissenschaftsbetrug zu stoppen.
Hunderttausende von gefälschten Studien überschwemmen die Wissenschaft und nehmen so auch Einfluss auf unsere Gesellschaft. So hat zum Beispiel ein amerikanischer Wissenschaftler mehr als 120 Fake-Studien über die angebliche therapeutische Wirkung von Kurkuma veröffentlicht. Und obwohl mittlerweile nachgewiesen ist, dass die Heilwirkung des Haupt-Wirkstoffes Curcumin zumindest nicht so groß ist wie die Studien vorgaben, werden jedes Jahr weitere Studien veröffentlicht, die auf den bereits widerlegten Ergebnissen aufbauen.
Aufruf aus den Reihen der Forscher
Um diese Praxis zu stoppen, haben sich zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammengeschlossen und einen Aufruf zum Handeln entworfen: Die sogenannte Stockholm-Deklaration. Sie ist gerade in der renommierten Fachzeitschrift Royal Society Open Science veröffentlicht worden. Einer der Autoren ist der Neuropsychologe und Hirnforscher Bernhard Sabel von der Universität Magdeburg.
Organisierter Betrug durch kriminelle Netzwerke
Sabel warnt, der systematische Wissenschaftsbetrug führe in die größte wissenschaftliche Krise aller Zeiten. Denn mittlerweile werden wissenschaftliche Studien und Analysen quasi am Fließband industriell gefälscht und dann mit Hilfe von Agenturen in wissenschaftlichen oder scheinwissenschaftlichen Zeitschriften untergebracht.
Das Geschäftsmodell der sogenannten „Papierfabriken“, die wissenschaftliche Veröffentlichungen auf Bestellung fälschen, ist durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz noch profitabler geworden. Die organisierten Netzwerke sorgen dafür, dass gefälschte Studien auch in den wissenschaftlichen Journalen und Zeitschriften veröffentlicht werden. So werde es auch für Forschende immer schwieriger, echte von falschen Studien zu unterscheiden.
Immer mehr Fake-Veröffentlichungen
Erst im August hat eine Studie aufgedeckt, dass die Zahl der Fake-Veröffentlichungen fast zehnmal schneller steigt als die der wissenschaftlichen Publikationen insgesamt. Der Magdeburger Neurophysiologe Bernhard Sabel sagt, dass „wir inzwischen zum Beispiel in der Biomedizin über 100.000 Fake-Publikationen pro Jahr haben. Gerade in diesem Bereich hat es direkt Konsequenzen für die Menschen, wenn zum Beispiel aufgrund von Fake-Studien das falsche Medikament empfohlen wird.“
Bio-Medizin besonders von Fake-Forschung betroffen
Sabel und sein Team an der Universität Magdeburg hatten schon 2023 herausgefunden, dass allein im biomedizinischen Bereich rund 245.000 wissenschaftliche Artikel gefälscht oder zumindest verdächtig waren.
Dem Neurophysiologen, der selbst Herausgeber einer wissenschaftlichen Zeitschrift war, fiel auf, dass immer mehr gefälschte Manuskripte eingesandt wurden. Seither forscht Sabel auch zum Wissenschaftsbetrug und hat es sich zur Aufgabe gemacht, dagegen vorzugehen. Er hat dazu das Buch „Fake-Mafia in der Wissenschaft“ veröffentlicht.
Schwierig, Fake-Studien auszusortieren
Fälschungen und Betrug gab es schon immer im Wissenschaftsbetrieb. Aber es handelte sich um Einzelfälle, und die wurden irgendwann erkannt und aussortiert. Heute jedoch wird die Wissenschaftscommunity geflutet von Fake-Veröffentlichungen, die auf den ersten Blick nicht wie eine Fälschung aussehen und so auch nicht rasch aussortiert werden können.
Bernhard Sabel warnt: „Wenn das ungebremst weitergeht, dann haben wir zum Schluss einen Wissenskollaps.“ Im schlechtesten Fall wisse dann keiner mehr, was stimmt und was nicht. So gehe der Glaube an die Wahrhaftigkeit der Wissenschaft verloren.
Verseuchung der wissenschaftlichen Literatur droht
Gefälschte Studien, die nicht aus dem Verkehr gezogen werden, können wie eine Infektion den gesamten Wissenschaftsbetrieb anstecken. Denn die Fake-Veröffentlichungen werden dann wieder und wieder in neuen Studien oder auch bei Suchanfragen im Netz zitiert. So könnte es zu einer kompletten Verseuchung der wissenschaftlichen Literatur kommen, warnen die Autoren der Stockholm Deklaration. Das müsse dringend aufgehalten werden.
Deklaration nennt konkrete Gegenmaßnahmen
Die Stockholm-Deklaration schlägt deshalb konkrete Gegenmaßnahmen vor. Die erste Forderung lautet, dass sich die Wissenschaft wieder die Kontrolle über das Veröffentlichen von Studien zurückholen muss.
Zurzeit werden Studien und Analysen in Zeitschriften von wissenschaftlichen Verlagen veröffentlicht, und diese Verlage strebten dabei vor allem nach Profit. Deshalb sollten Wissenschaftsorganisationen selbst vor der Einsendung von Manuskripten an die Verlage eine Art Qualitätskontrolle einbauen, um Fake-Forschung schon herauszufischen, bevor sie veröffentlicht wird.
Das Bewertungsmaß in der Wissenschaft soll geändert werden
Zum zweiten sollte das Bewertungssystem der Wissenschaft wieder stärker auf Qualität anstatt auf Quantität ausgerichtet werden. Gegenwärtig werde zu sehr auf die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen geschaut und wie oft man zitiert wird. Davon hängt ab, ob man befördert wird oder Drittmittel bekommt.
Ohne eine gewisse Anzahl an Studien, die veröffentlicht worden sind, kann kein Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin Karriere machen. „Publish or Perish“ – auf Deutsch „Veröffentliche oder gehe unter“ – so heißt eine beliebte Redewendung, die den Wissenschaftsbetrieb gut beschreibt. Auch das ist ein Grund, warum immer häufiger Forschende nach den Angeboten der Papierfabriken greifen, um in kurzer Zeit möglichst viele Veröffentlichungen zu bekommen.
Aber spätestens seit die Fälschung von Studien mit Unterstützung von Künstlicher Intelligenz am Fließband möglich ist, ist die reine Zahl der Veröffentlichungen kein guter Maßstab mehr für Forschung, so das Autorenteam.
Wissenschaftsbetrug soll bestraft werden
Zum dritten sei es wichtig, dass in Zukunft Wissenschaftsbetrug auch klar sanktioniert werde. Dazu müsse sich auch die Politik endlich mit diesem Problem beschäftigen, fordert die Deklaration. Schließlich finanzierten Bürgerinnen und Bürger die Wissenschaft auch über ihre Steuerabgaben und hätten daher ein Recht auf zuverlässiges Wissen. Jetzt gelte es, das Übel an der Wurzel zu packen.
Viele Fake-Studien kommen aus Asien
Aus Europa und Deutschland kommen bisher noch nicht auffallend viele gefälschte Studien, erklärt Sabel. Der größte Teil der Fake-Publikationen stamme aus Asien und auch aus dem globalen Süden. Dort werde deutlich mehr Druck auf die Forschenden ausgeübt, neue Ergebnisse zu veröffentlichen. Doch wie eine Art Krebsgeschwür greife der organisierte Wissenschaftsbetrug immer stärker um sich.
Internationale Institution soll Fake-Studien verhindern
Als vierten Hauptpunkt fordert die Stockholm-Deklaration daher eine Art unabhängigen TÜV für die Wissenschaft. Mitautor Sabel erklärt, das Ideal sei eine Organisation, die international anerkannt sei, aber gleichzeitig unabhängig von den Ländern funktioniere und die auch die technischen Fähigkeiten habe, nach Fake-Studien zu suchen und diese herauszufischen.










