Stand: 11.12.2025 05:43 Uhr
Das Städel Museum in Frankfurt am Main hat eine neuartige Kunst-App für Menschen mit Demenz entwickelt – mit Erfolg. Die begleitende Forschung zeigt: Kunst kann die Lebensqualität für Demenz-Erkrankte spürbar verbessern.
Von Natascha Pflaumbaum, hr
„Willkommen im Städel Museum“ begrüßt eine freundliche Frauenstimme die Besucherinnen und Besucher. „Erleben Sie in diesem Kunstmuseum eine Zeitreise durch die Geschichte Europas“.
Die Führung durch Frankfurts bekanntestes Museum ist rein virtuell und sie richtet sich an ein ganz besonderes Publikum: Menschen mit leichter bis mittelschwerer Demenz.
Langsam und intuitiv
Langsam und intuitiv leitet die Anwendung Artemis die Menschen durch das Museum. Die App lässt viel Raum für eigene Gedanken. Nutzerinnen und Nutzer erkunden die Kunstwerke über Aufgaben zu Farben, Motiven und Themen.
Langsame Kamerafahrten erfassen dabei Gemälde von Max Beckmann, Claude Monet oder Max Liebermann. Beim dreidimensionalen „Blauen Schwammrelief“ von Yves Klein etwa steht die intensive Ultramarinfarbe im Mittelpunkt, und bei Max Beckmanns „Stillleben mit Saxophon“ ist das digitale Bild mit Saxophon-Klängen unterlegt.
Die digitale Kunst-App lädt zum Mitmachen ein.
Kunst-Zugang auch ohne Museumsbesuch
Die digitale Kunst-App ist eine Weiterentwicklung von speziellen Führungen für Demenzerkrankte in der Städel-Sammlung. Zusätzlich zu den Führungen in einfacher Sprache werden im Anschluss Workshops angeboten, in denen Besucherinnen und Besucher das Erlebte künstlerisch verarbeiten können.
Die neue digitale Anwendung soll nun auch Menschen ansprechen, denen der Zutritt zum Museum aufgrund von Krankheit oder anderen Einschränkungen verwehrt bleibt. Mitentwickelt wurden die Artemis-Angebote von einem Team um den Altersforscher Johannes Pantel von der Goethe-Universität Frankfurt.
Mit Laptops und der App werden die Menschen langsam durch die Ausstellung geführt.
Wissenschaftlich begleitet
Neben der Entwicklung geht es den Wissenschaftlern auch um die Forschung: Das Team untersuchte, wie die Kunstangebote des Städel Museums auf Menschen mit Demenz wirken. Ihre Ergebnisse zeigen: Kunst kann beruhigen, emotional stabilisieren und die Lebensqualität messbar steigern. Die Studie sorgte in der Fachwelt für große Aufmerksamkeit.
Altersforscher Pantel spricht von „knalligen Effekten“, da die positiven Wirkungen für die Erkrankten in seinen Untersuchungen deutlicher ausfielen als bei vielen Medikamentenversuchen. Er erzählt von einem Workshop-Teilnehmer, der nach dem Museumsbesuch wieder anfing, selbst zu malen. „Er war früher selbst künstlerisch tätig, hatte das aber aufgegeben mit der Krankheit“, so Pantel.
Wirksam wie Sport
Auch die Kunstvermittlerin am Städel Museum, Chantal Eschenfelder, ist von der App überzeugt: „Die Beschäftigung mit Kunst kann – ebenso wie Bewegung oder Sport – viel im Gehirn bewirken.“
Sie berichtet von einem Workshop, bei dem sich ein an Demenz erkrankter Teilnehmer beim kreativen Arbeiten mit dunklen Farben erstmals wieder an frühe Kriegserlebnisse erinnerte – und davon erzählte. „Das war ein Moment, der auch für seine Tochter, die ihn begleitete, völlig neu war“, so Eschenfelder.
Kulturelle Teilhabe durch Konzerte
Während das Städel Museum auf analoge und digitale Zugänge setzt, eröffnet die Kronberg Academy kulturelle Teilhabe für Demenzerkrankte durch speziell entwickelte Konzerte. Die Idee dazu stammt von Raimund Trenkler, dem Gründer und Intendanten. Eigentlich bildet er im Taunus junge Solistinnen und Solisten auf internationalem Spitzenniveau aus.
Mit dem Artemis-Musikprojekt hat er die Türen geöffnet für ein Publikum, das sonst nur selten in Konzertsälen sitzt. Die Aufführungen sind kürzer, weil viele demente Menschen nicht lange sitzen bleiben können, und es gibt die Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen.
Gewinn für Publikum und Künstler
„Es ist nicht nur wunderbar zu sehen, was das mit dem Publikum macht, also mit Menschen, die an dieser Krankheit leiden“, sagt Trenkler. „Es hat auch einen unglaublich starken Effekt auf die jungen Künstler.“
Auch das Kronberger Konzertprojekt wird wissenschaftlich von Professor Johannes Pantel und seinem Team begleitet und ausgewertet. Die Ergebnisse sollen Anfang 2026 veröffentlicht werden.









