Vor Berufungsprozess Sarkozy kämpft um milderes Urteil und provoziert
Stand: 11.12.2025 05:18 Uhr
Frankreichs Ex-Präsident Sarkozy wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt, ist aber bis zum Berufungsprozess auf freiem Fuß. Diese Zeit nutzt er zur Selbstinszenierung – und für politischen Tabubruch.
Nicolas Sarkozy ist ein Meister der Inszenierung. Und sein neuester Coup ist ihm in Perfektion gelungen. Vor der Buchhandlung Lamartine im feinen 16. Arrondissement von Paris, wo er sein frisch erschienenes „Tagebuch eines Gefangenen“ signieren will, hat sich schnell eine Schlange gebildet – mindestens 100 Meter lang.
Als Sarkozy später eintrifft, kommt er natürlich nicht mit dem Auto, sondern zu Fuß. Das wirkt volksnäher und sorgt für mehr Tumult vor den Dutzenden Kameras. Glühende Anhänger schütteln ihm die Hand. Auch Précilia hat stundenlang gewartet.
„Was auch passiert, wir unterstützen unseren ehemaligen Präsidenten für alles, was er für Frankreich getan hat“, sagt sie. „Wir wünschten, dass er zurück an die Macht kommt. Wir sind da, um ihm die Stange zu halten.“ Sarkozy habe immer Frankreichs Werte und Interessen vertreten, findet Précilia. „Das gibt es heute so nicht mehr; heute haben wir niemanden, der Frankreich so gut repräsentieren könnte.“
„Verbissen und ungerecht“
Alle hier in der Schlange wollen Sarkozys Buch kaufen, das er in den drei Wochen im Pariser Gefängnis La Santé geschrieben hat. Sie wollen seine Unterschrift und eine Widmung ergattern. Sarkozy habe zu unrecht im Gefängnis gesessen, ist Agnès überzeugt.
„Die Richter waren verbissen und ungerecht“, befindet sie. „Einen Präsidenten der französischen Republik ins Gefängnis zu werfen, das ist heftig und das beschmutzt das Bild Frankreichs. Zumal Sarkozy ein großer Präsident war, ein sehr großer.“
Genau dieses Narrativ entwickelt Sarkozy in seinem Buch. Es hat drei zentrale Botschaften: Er sei unschuldig und Opfer parteiischer Richter. Er habe sich immer in den Dienst Frankreichs gestellt. Er werde kämpfen für seine Rehabilitierung und das Ansehen seiner Familie.
„Tagebuch eines Gefangenen“: Sarkozys Anhänger sind überzeugt von der Unschuld des Ex-Präsidenten.
Dumas‘ Klassiker als Stilmittel
Das Buch schon vor Haftantritt anzukündigen, die aufsehenerregende Signierstunde in der Buchhandlung anzusetzen, vor der Polizisten die Menschenmassen im Zaum halten müssen: All das sei Kalkül, so Philippe Moreau Chevrolet, Kommunikationsexperte bei No Com und Dozent an der Pariser Uni Sciences Po.
„Das ist eine sehr klassische Strategie. Prozesse finden heute genauso in den Medien statt wie im Gerichtssaal“, betont der Wissenschaftler. „Mit seiner eigenen Wahrheit will Sarkozy Druck machen: auf die öffentliche Meinung, aber auch auf die Richter. Denn das Atmosphärische lässt Richter bei so einem Prozess nicht unbeeindruckt.“
Alles ist ganz genau orchestriert. Die Presse wurde vorab informiert, dass Sarkozy Lektüre mit ins Gefängnis nehme: eine Jesusbiographie sowie Alexandre Dumas‘ Rache-Roman „Der Graf von Monte Christo“. Noch während seiner dreiwöchigen Haft erfuhren Journalisten, dass Sarkozy sich dort nur von Jogurt und Müsliriegeln ernähre. Außerdem erzählt er in seinem Buch, dass er einen Priester in seiner Zwölf-Quadratmeter-Zelle empfangen und auf Knien gebetet habe.
Schulterschluss mit dem Rassemblement
Und der frühere Präsident geht zur politischen Attacke über. Er berichtet von einem Telefonat mit der rechtsnationalen Politikerin und Chefin der größten Oppositionsfraktion Marine Le Pen. Ihr habe er versichert, dass er seinem konservativen Lager bei den nächsten Wahlen raten werde, keine Front mehr gegen den Rassemblement National zu machen.
Es ist ein Freifahrtschein für eine Allianz mit der extremen Rechten. Das hat eingeschlagen wie eine Bombe, erklärt Kommunikationsexperte Chevrolet. „Das ist wie wenn die CDU eine Allianz mit der AfD einginge. Mit Blick auf die anstehenden Kommunalwahlen und die 2027 folgenden Präsidentschaftswahlen öffnet er also die Schleusen für eine Verbindung der klassischen Rechten mit der extremen Rechten.“
Ohne Rücksicht auf Verluste?
Sarkozy, so Chevrolet, sei ein gewiefter Politiker. „Er macht das, damit das auf die Titelseiten kommt. Damit man über diese politische Bombe redet und nicht etwa über das, was er sich möglicherweise hat zu Schulden kommen lassen.“
Sarkozy geht also in die Offensive und zieht dabei alle Register. Der Berufungsprozess findet im März statt. Dann werden die Richter entscheiden, ob sie die fünfjährige Haft aus der ersten Instanz bestätigen oder nicht. Der ehemalige Präsident könnte also doch wieder ins Gefängnis gehen, es sei denn, Sarkozys Strategie verfängt.








