Afrika sei zugleich ein romantischer und der wohl tragischste aller Kontinente. Und doch falle Afrika aus den meisten weltgeschichtlichen Darstellungen heraus. Das beklagte der Soziologe, Bürgerrechtler und Panafrikanist W. E. B. Du Bois 1915 in seinem Klassiker „The Negro“. In dieser Zeit galt Afrika als ein „Kontinent ohne Geschichte“. Dies hat sich inzwischen geändert. Die historische Afrikaforschung entwickelte sich zu einem respektablen, wenngleich vielerorts weiterhin marginalen Teilbereich der Geschichtswissenschaft. Das Wissen über die Historie des Kontinents ist enorm gewachsen, mit einem deutlichen Schwerpunkt in der zumeist lediglich achtzig Jahre dauernden Kolonialperiode. Die in diesem Zusammenhang gewonnenen Einsichten bleiben allerdings, einige Ausnahmen bestätigen die Regel, weitgehend auf den akademischen Diskurs beschränkt.
Amat Levin ist nicht der Erste, der dies ändern möchte. Der mehrfach ausgezeichnete schwedisch-gambische Journalist, der unter anderem den Podcast „Black History Unveiled. From the Continent to the Diaspora“ betreibt, tritt mit seinem vor drei Jahren zuerst auf Schwedisch publizierten Buch an, eine nuancierte Geschichte schwarzer Menschen zu schreiben, die zugleich ein breites Lesepublikum anzusprechen vermag. Ein wichtiges Anliegen ist ihm, die frühe afrikanische Geschichte in den Blick zu nehmen, deren Erforschung aus seiner Sicht vor allem in Ermangelung von schriftlichen Quellen – die Historiker nun mal gegenüber anderen Überlieferungen präferierten – weitgehend randständig geblieben sei. Überdies bezieht er dezidiert jene Diaspora, die ihre Wurzeln in Afrika südlich der Sahara hat, in seine Darstellung ein.

Der Verlag preist den Mut des Autors, „nicht alles zu erwähnen und dafür Unzähliges neu zu entdecken“ – eine elegante Beschreibung des zuweilen arbiträr anmutenden Potpourris aus zentralen und auf den ersten Blick eher randständigen Entwicklungen, Ereignissen und Persönlichkeiten, das Levin angemischt hat. Zugleich gelingt es ihm in seiner locker chronologisch angelegten Darstellung auf sehr eingängige Weise, die Vielfalt und Komplexität der langen Historie Afrikas und seiner Diaspora zu vermitteln und dabei gelegentlich auch kontroverse historiographische Debatten zu reflektieren. Die nahezu ausschließlich englischsprachigen Leseempfehlungen, die am Ende eines jeden der knapp achtzig zumeist eher kurzen Kapitel stehen, bilden zwar nicht immer den neuesten Forschungsstand ab, bezeugen aber gleichwohl, dass sich der Autor mit der einschlägigen Fachliteratur vertraut gemacht hat.
Neue Forschungsergebnisse kann Levin nicht präsentieren – dies ist dezidiert auch nicht sein Anliegen –, aber sein kühner Ritt vom Beginn der Menschheitsgeschichte bis in die Gegenwart enthält zahlreiche aufschlussreiche, umsichtig interpretierte Einblicke in zentrale Episoden aus Afrikas Vergangenheit. Wiederholt verweist er auf die zählebige Tendenz, afrikanische Geschichte zu bagatellisieren, etwa in Bezug auf die großen Reiche und architektonischen Leistungen, welche Teile des Kontinents in vorkolonialer Zeit prägten. Ein Beispiel nur: In Südrhodesien, dem heutigen Simbabwe, zensierte die Kolonialverwaltung archäologische Funde, die signalisierten, dass die beeindruckende Ruinenstadt Groß-Simbabwe zwischen dem elften und fünfzehnten Jahrhundert von Schwarzafrikanern errichtet worden ist. Sie lancierte stattdessen eine Theorie, die besagte, es habe sich dabei um die Reste antiker phönizischer Kolonisatoren aus dem heutigen Libanon gehandelt.
Sklaverei in der muslimischen Welt
Ausführlich beschäftigt sich der Autor mit der Verbreitung des Islams und der Sklaverei in der muslimischen Welt. Er bemüht sich um ein differenziertes Bild und vermeidet die politisch und ideologisch motivierten Aufrechnungen, entweder den muslimischen oder transatlantischen Sklavenhandel als jeweils „schlimmer“ einzuordnen. Den größten Unterschied sieht er darin, dass im Kontext des Islams der Sklavenhandel „nicht so stark rassistisch begründet war“. Zugleich gab es freilich, schreibt er, „durchaus Vorurteile und Rassismus gegenüber Schwarzen – sowohl bezüglich freien Menschen als auch Sklaven – in Nordafrika und dem Nahen Osten“. Und er zitiert in diesem Zusammenhang den berühmten, 1332 im heutigen Tunesien geborenen Historiker und Philosophen Ibn Khaldūn, der behauptete, schwarze Nationen würden sich generell „der Sklaverei unterwerfen, weil Schwarze nur wenig von dem besitzen, was Menschlichkeit ausmacht“.
Die Jahrhunderte des atlantischen Sklavenhandels, denen sich Levin ebenfalls eingehend widmet, bezeichnet er als Zeit der Umwälzungen, „die unmenschliche Brutalität und unfassbares Leiden mit sich brachte“, aber ebenso durch historische Revolutionen und intensive Widerstandsbewegungen geprägt war. Ihm ist es nicht zuletzt um die Handlungsmöglichkeiten – und Grenzen – schwarzer Akteure zu tun. Kurz geht er etwa auf Anton Wilhelm Amo ein, der zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts als Sklavenjunge an den Wolfenbütteler Hof kam, später jedoch in Halle, Wittenberg und Jena studieren und dozieren konnte und bemerkenswerte philosophische und rechtswissenschaftliche Schriften vorlegte.
Eine dauerhafte Dozentenlaufbahn in Preußen blieb ihm jedoch versagt. Er kehrte um 1750 nach Westafrika zurück. Erwähnung findet auch die hierzulande völlig unbekannte, zuweilen als „schwarze Florence Nightingale“ bezeichnete Mary Seacole. 1805 auf Jamaika als Tochter einer freien Jamaikanerin und eines britischen Leutnants geboren, eröffnete sie während des Krimkriegs ein Hotel, um, wie sie in ihren Memoiren schrieb, „einen Speisesaal und komfortable Unterkünfte für kranke und genesende Offiziere“ bereitzustellen.
Die Abschnitte zur Kolonialzeit und den Dekaden des formal unabhängigen Afrikas wirken doch arg zusammengepuzzelt, springen vom Völkermord an den Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika zur Unternehmerin Annie Malone, einer der ersten schwarzen Millionärinnen in den Vereinigten Staaten; von Patrick Lumumbas tragischem Kampf um die Unabhängigkeit des Kongo zu Sister Rosetta Thorpe, der „Godmother of Rock ’n’ Roll“; von Valerie Thomas, einer schwarzen Veteranin der NASA, zum blutigen Bürgerkrieg in Liberia. Lesenswert sind die Vignetten jedoch allemal. Mit dem Autor darf man hoffen, dass dieses Buch eine größere Leserschaft zum Weiterlesen animiert.
Amat Levin: „Black History“. Die vergessene Geschichte Afrikas. Von den Schwarzen Pharaonen bis heute. Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann. Verlag C.H. Beck, München 2025. 528 S., Abb., geb., 32,– €.