Gefälschte Bronze-Figuren Der Millionen-Betrug mit Giacometti
Stand: 23.12.2025 16:42 Uhr
Einem Verbrecher-Trio um den Kunstfälscher Robert Driessen gelingt es, mit falschen Skulpturen des Künstlers Alberto Giacometti ein Vermögen zu verdienen. Wie konnte die Polizei sie überführen?
Von Torben Steenbuck und Lenore Lötsch, NDR
Langsam sinkt eine Bronze-Figur in die feurige Glut eines Schmelzofens. Es ist die extrem langgezogene Statue eines gehenden Menschen. Ein bekanntes Motiv des Schweizer Künstlers Alberto Giacometti. Kleine Funken steigen von der flüssigen Bronze auf, nachdem das Kunstwerk unwiederbringlich zerstört ist.
Giacomettis Figuren werden auf dem Kunstmarkt für mehrstellige Millionen-Beträge verkauft. Doch die Figur, die im Juni 2012 im schwäbischen Süßen vernichtet wird, ist kein Original, sondern eine von mehr als 1.300 Fälschungen, geschaffen vom Kunstfälscher Robert Driessen. Während seine Fälschungen zerstört werden, befindet sich Driessen auf der Flucht in Thailand. Er wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Seine beiden Komplizen sitzen zu diesem Zeitpunkt bereits im Gefängnis.
„Die Frau auf dem Wagen“ von Alberto Giacometti: Seine Figuren werden für mehrstellige Millionen-Beträge verkauft.
„Ich bin Fälscher, aber ich mache Kunst“
Noch heute lebt Driessen in Thailand, spricht offen über seine Zeit auf der Flucht und seine Rolle im größten europäischen Fälschungsskandal mit Bronze-Kunstwerken. Der NDR Kultur Podcast „Kunstverbrechen“ und die ARD-Dokumentarfilm-Reihe „Millionen Fake“ rollen den Fall noch einmal neu auf.
Robert Driessen ist gebürtiger Niederländer und heute 66 Jahre alt. Er wächst in einer Familie von Kunsthändlern auf und beginnt in den 1970er Jahren während seines Studiums in Arnheim mit dem Kopieren von Öl-Gemälden. Kurz danach beginnt er auch Signaturen von bekannten Künstlern auf die Kopien zu malen. Es sind damit strafbare Fälschungen. Nach Öl-Gemälden steigt er um auf Bronze-Skulpturen. Über sich selbst sagt er: „Ich bin Fälscher und kein Künstler, aber ich mache Kunst.“
Mitte der 1990er Jahre lernt Driessen den Kunsthändler Herbert Schulte aus Mainz kennen. Schulte bestellt bei Driessen während der folgenden Jahren immer wieder gefälschte Figuren von Alberto Giacometti. Driessen erstellt die Figuren diskret in einer kleinen Kunstgießerei in Arnheim und versieht sie mit kopierten Marken von französischen Gießereien, in denen Giacometti tatsächlich Figuren gießen ließ.
Mehrmals im Monat treffen sich Driessen und Schulte an einer Autobahnraststätte der A1 bei Köln, um Figuren gegen Bargeld, Schmuck, Diamanten, oder echte Kunstwerke zu tauschen.
Lügengeschichte zur Herkunft der Skulpturen
Die gefälschten Giacometti-Figuren gibt der Kunsthändler an Lothar Senke weiter, der sie verkaufen soll. Senke lebt schon damals unter dem Pseudonym „Reichsgraf von Waldstein“. Mit ausgedachtem Adelstitel und extravagantem Auftreten gelingt es ihm, potenzielle Kunden zu täuschen. Heute lebt Senke zurückgezogen in Schwerin.
Zur angeblichen Herkunft der Figuren denken sich Schulte und Senke eine Lügengeschichte aus, die sie in ihrem Buch „Diegos Rache“ festhalten. Diego, der jüngere Bruder von Alberto Giacometti, habe heimlich Abgüsse von Albertos Figuren gemacht, bevor dieser sie zerstören konnte. Die Brüder hatten in den 1920er Jahren gemeinsam in Paris gelebt. Tatsächlich hatte Alberto Giacometti immer wieder Entwürfe von Figuren, die ihm nicht gefielen, vernichtet. Lothar Senke sei über eine angebliche Freundschaft zu Diego an diese Abdrücke gekommen und könne nun die Figuren aus dem Nachlass verkaufen.
Senke spricht gezielt Kunden ohne tieferes Kunstverständnis an. Geködert habe er sie mit dem Interesse an Statussymbolen: „Hier, Junge, die Figur kostet normalerweise 28 Millionen. Willst du 25.000 oder 30.000 ganz schnell bezahlen? Herkunft ist mir unbekannt.“ Die Aussicht auf ein Schnäppchen hilft offenbar dabei, über die dubiosen Kaufumstände hinwegzusehen.
Milliardär kauft 52 Fälschungen
Neben kleineren Käufern gewinnt Senke auch Großkunden, darunter der 2015 verstorbene Unternehmer Wolfgang Schuppli, dessen Familienvermögen auf mehr als eine Milliarde Euro geschätzt wird. Er kauft von Senke 52 gefälschte Figuren für einen sechsstelligen Betrag. Insgesamt erbeutet das Verbrecher-Trio rund acht Millionen Euro.
Giacometti lebte von 1901 bis 1966 und schuf nur rund 500 originale Figuren. Seine Skulptur „Pointing Man“ wurde 2015 bei Christies für 126 Millionen Dollar versteigert. Dem gegenüber stehen schließlich mehr als 1.300 Fälschungen des Verbrecher-Trios. Wären sie alle auf den Markt gekommen, hätten sie das Werk des Künstlers massiv verwässert.
Erst im Jahr 2001 fällt der Betrug auf. Das Trio bietet einem Schweizer Kunstsammler mehrere Giacometti-Figuren gleichzeitig an. Daraufhin schaltet sich Ernst Schöller ein, Kunstermittler beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg. Gemeinsam mit einem Kollegen gibt sich Schöller als Kaufinteressent aus. Es gelingt ihnen, Herbert Schulte festzunehmen und die ersten Giacometti-Fälschungen zu beschlagnahmen.
Polizei entdeckt 1.000 falsche Werke in Mainz
Schultes Gerichtsprozess zieht sich jedoch über Jahre. Währenddessen verkauft Lothar Senke weiterhin Figuren. Erst 2009 bringt die Staatsanwältin Mirja Feldmann auch ihn mit den Fälschungen in Verbindung. Mithilfe eines verdeckten Ermittlers gelingt es den Beamten, Senke im August 2009 in einem Hotel am Flughafen in Frankfurt am Main zu überführen und weitere gefälschte Figuren zu beschlagnahmen. Driessen ist zu diesem Zeitpunkt in den Niederlanden. Er flieht nach Thailand.
In einer Mainzer Lagerhalle entdecken die Beamten schließlich die restlichen gefälschten Figuren der Bande. Es sind rund 1.000 Bronzen und Gipse, die noch verkauft werden sollten. Zwei Jahre später werden sie medienwirksam im schwäbischen Süßen zerstört. Unter ihnen sind auch die 52 falschen Figuren von Wolfgang Schuppli.
2011 werden Lothar Senke zu neun Jahren und Schulte zu siebeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Robert Driessen gelingt es, sich bis 2014 in Thailand versteckt zu halten. Doch bei einer Reise in die Niederlande wird er mit internationalem Haftbefehl schließlich festgenommen und nach Stuttgart Stammheim ausgeliefert. Er erhält fünf Jahre und sechs Monate Gefängnis. Es sind die höchsten Strafen, die bisher in einem Fall von Kunstfälschung in Europa verhängt wurden.
Nach seiner Gefängnisstrafe kehrt Driessen nach Thailand zurück, wo er noch heute auf Koh Samui lebt. Er stellt weiterhin kopierte Kunstwerke her und verkauft sie an seine wohlhabenden Nachbarn, meist ebenfalls westliche Auswanderer. Allerdings verzichtet er mittlerweile auf die strafbare Signatur der Original-Künstler.
