analyse
Stand: 25.09.2025 05:12 Uhr
Anfang Juli scheiterte die Wahl von drei neuen Verfassungsrichtern im Bundestag – und sorgte für eine Regierungskrise. Nun versucht es das Parlament erneut. Wie ist die Ausgangslage für die Kandidaten?
Jens Spahn gibt sich entspannt. „Das klappt!“, sagte der Vorsitzende der Unionsfraktion am Sonntag in der ARD-Sendung Caren Miosga mit Blick auf die anstehende Wahl drei neuer Richter am Bundesverfassungsgericht. Für Spahn muss es dieses Mal – im zweiten Anlauf – klappen, denn sonst droht erneut eine Koalitionskrise. Eine Krise nicht nur für die schwarz-rote Regierung, sondern auch für den CDU-Politiker persönlich.
Denn Spahn hatte im Juli, als der erste Wahlversuch in letzter Minute abgeblasen wurde, als Führungskraft versagt. Er hatte den Widerstand in seiner Fraktion gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf fatal unterschätzt und besaß dann nicht die Autorität, die umstrittene Personalie in den eigenen Reihen durchzusetzen. Noch so eine Blamage kann sich Spahn nicht erlauben.
Steht die nötige Mehrheit?
Drei Kandidaten stellen sich am späten Nachmittag im Bundestag zur Wahl: Günther Spinner, Ann-Katrin Kaufhold und Sigrid Emmenegger. Die Juristen hatten zuvor im zuständigen Wahlausschuss die nötige Zweidrittelmehrheit für ihre Nominierung erreicht. Bei der geheimen Abstimmung im Plenum müssen sie erneut die hohe Hürde von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen überwinden.
Union und SPD verfügen im Bundestag mit dessen 630 Sitzen zusammen über 328 Abgeordnete. Sie sind also auf die Unterstützung der Grünen (85 Abgeordnete) und der Linken (64 Abgeordnete) angewiesen, um die angestrebte eine Zweidrittelmehrheit ohne Stimmen aus der AfD-Fraktion hinzukriegen. Klappt das?
Günther Spinner – Kandidat der Union und des Gerichts
Der 53 Jahre alte Spinner ist seit dem 1. Juni 2011 Richter am Bundesarbeitsgericht. Er geht als Vorschlag der Union ins Rennen und genießt in juristischen Fachkreisen einen sehr guten Ruf. Bester Beweis: Die amtierenden Richter am Bundesverfassungsgericht hatten Spinner selbst als möglichen Nachfolger für den scheidenden Josef Christ vorgeschlagen. Das ist laut Gesetz möglich, wenn sich der Wahlausschuss des Bundestages zuvor nicht innerhalb der vorgesehenen Fristen auf einen Kandidaten einigen konnte. In diesem Fall erstellen die Karlsruher Richter eine eigene Liste geeigneter Kandidaten: Günther Spinner kam dabei auf Platz 1.
In der Linken gibt es Vorbehalte gegen den Vorschlag der Union. Dabei geht es weniger um die Person Spinner als um das Vorgehen von Fraktionschef Spahn. Der lehnt es konsequent ab, mit der Linken über die Richterwahl zu sprechen. Er verweist dabei auf den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, der jede Form der Zusammenarbeit mit der Linken ausschließt.
Außerdem sind die Genossen verstimmt, weil ihre Co-Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek bei der Wahl zum Parlamentarischen Kontrollgremium durchgefallen ist. Die Fraktionsspitze stellt es ihren Abgeordneten frei, wie sie am Nachmittag abstimmen. Machen genügend Abgeordnete der Linken den Weg frei für die Wahl Spinners, damit das Bundesverfassungsgericht keinen Schaden nimmt?
Prognose: Ja, die Zweidrittelmehrheit für Spinner sollte stehen.
Ann-Katrin Kaufhold – SPD-Kandidatin im Schatten
Die 49-jährige Rechtswissenschaftlerin Kaufhold ist seit 2016 Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, dort hat sie derzeit den Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht inne. Kaufholds Nominierung stieß im Sommer kaum auf Kritik – ganz im Gegensatz zur ehemaligen SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf.
In der Union gab es nun aber zumindest bei einzelnen Abgeordneten noch Klärungsbedarf zu Kaufhold im Zusammenhang mit dem Thema Enteignungen. Die Juristin war Mitglied einer Kommission, die sich im Auftrag des Berliner Senats mit der Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen beschäftigt hatte. Wie schon bei Brosius-Gersdorf versucht die AfD die Kritik zu befeuern und warnt Unionsabgeordnete vor einer Wahl der „Aktivistin“ Kaufhold.
Unions-Fraktionsgeschäftsführer Steffen Bilger sichert jedoch allen drei Kandidaten „großen Rückhalt“ seiner Fraktion zu, also auch Kaufhold.
Prognose: Die Zweidrittelmehrheit für Kaufhold steht.
Sigrid Emmenegger – die „Ersatzkandidatin“
Die 48-Jährige Emmenegger besitzt viel Erfahrung als Richterin und arbeitet seit 2021 am Bundesverwaltungsgericht. Am Montag nahm sie als letzte der drei Kandidaten die Auswahlhürde im Wahlausschuss des Bundestages. Zu wichtigen oder kontroversen rechtlichen Fragen hat sich Emmenegger – anders als die gescheiterte Vorgängerkandidatin Brosius-Gersdorf – kaum in der Öffentlichkeit geäußert.
Eine „Top-Juristin“, sagt die SPD über ihren Personalvorschlag. Auch aus Reihen der Union ist Positives zu hören. Fraktionschef Spahn und CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann sprechen von einem „hervorragenden Vorschlag“.
Prognose: Auch für Sigrid Emmenegger steht die notwendige Zweidrittelmehrheit.
Richterkandidaten im Scheinwerferlicht
Noch nie stand die Nominierung und Wahl neuer Richter so in der Öffentlichkeit wie dieses Mal. Das Bundesverfassungsgericht genießt als Institution hohes Ansehen in der Bevölkerung, seine 16 Richter sind bei den Bürgern aber kaum bekannt. Sie können in den Supermarkt, ins Theater oder in ein Café gehen, ohne erkannt oder angesprochen zu werden.
Dieses Leben außerhalb des grellen Scheinwerferlichtes ist jetzt vorbei – das hat spätestens die Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf gezeigt, angefacht auf Social Media-Kanälen, durch weit rechts stehende Online-Plattformen und die AfD. Die lange wissenschaftliche Karriere der Potsdamer Jura-Professorin wurde durchleuchtet, auf der Suche nach kritikwürdigen Positionen, die skandalisiert werden können. Brosius-Gersdorf zog schließlich zermürbt ihre Kandidatur zurück.
Zukünftigen Richterkandidaten könnte ebenfalls drohen, dass sie in den Strudel von politischer Auseinandersetzung und Kulturkampf gezogen werden.