In den nervösesten Zonen des südkoreanischen Spektakelkinos hat der Figurentypus „Muttersöhnchen“ eine seltsam heroische Sonderstellung inne. Westmenschen können erwachsene Männer, die den Zeitpunkt verpasst haben, an dem sie sich von der Mama hätten emanzipieren sollen, seit Alfred Hitchcocks Robert-Bloch-Verfilmung (1960) allenfalls für ein Monster halten, ansonsten aber eher für einen Witz wie in Loriots Komödie „Ödipussi“ (1988). Zu bewundern gibt’s im okzidentalen Kino an solchen Gestalten nichts; sie stecken, wird da behauptet, in einer gesellschaftlich abseitigen, entweder lächerlichen oder grusligen Privatheit fest, das Gemeinwesen darf nichts Großes von ihnen erwarten.
In asiatischen und eben insbesondere koreanischen Horror-, Science-Fiction- und Fantasy-Epen dieser Provenienz dagegen ist das Muttersöhnchen immer mal wieder von höheren Mächten dazu bestimmt, die Grundbotschaft der „Matrix“-Filme messianisch auf seine schmächtigen Schultern zu nehmen, die bekanntlich lautet: „Erst dann, wenn du als einziger wacher Geist, umzingelt von lauter Schlafenden, deine gesamte Gesellschaft, vom Erwerbsleben bis zum Staat, von der Arbeits- bis zur Freizeitwelt, als Lug und Trug entlarvt hast, kannst du vielleicht retten, was dir lieb und teuer ist.“
Vorlage für ein Remake von Giorgos Lanthimos
Im hyperhysterischen Verschwörungsdrama „Fabricated City“ (2017) von Park Kwang-hyun wird dieses Prinzip besonders schamlos übertrieben in Schießereien und Verfolgungsjagden abgefeiert: Der Held des Films ist ein kaum erwachsener ehemaliger Jugend-Spitzensportler, der sich aus Enttäuschung über mehr oder weniger alles (die Menschheit weiß ihn einfach nicht zu schätzen) ins Internet zurückgezogen hat. Plötzlich, er weiß nicht wie, hat er eine Mordanklage am Hals. Wasserdichte und bissfeste Beweise schlagen alle Zweifel tot; der Junge muss in den Knast, wo er erniedrigt und gemartert wird. Nur seine Mutter glaubt an seine Unschuld. Erst in dem Moment, in dem ihr aussichtsloser Kampf für ihn sie zugrunde richtet, rafft er sich zur Gegenwehr auf und wird teamfähig. Allein lässt sich das unwahre Ganze nämlich nicht sprengen.
Die befremdlichste südkoreanische Muttersöhnchen-Messiade ist „Save The Green Planet!“ (2003) von Jang Joon-hwan, ein Kuriosum, auf das der griechische Ausnahmeregisseur Giorgos Lanthimos dieses Jahr mit einem Remake namens „Bugonia“ zu antworten versprochen hat. In der Originalversion des Stoffs glaubt der zurückgezogen in den Bergen lebende postpubertäre Kindskopf Byeong-gu (Shin Ha-kyun) an eine Infiltration der Zivilisation durch Andromeda-Außerirdische in Menschenverkleidung. In diesem Glauben unterstützt ihn nicht mal seine Mutter (die seit langer Zeit komatös im Krankenhaus liegt), sondern lediglich eine knuddelige, leicht dusselige, aber herzensgute Zirkus-Akrobatin namens Su-ni (Hwang Jung-min, die den Film in einigen sensationell liebenswerten Szenen dem übrigen Ensemble schlicht mopst; sie gibt ihn dann freilich immer ein bisschen hübscher zurück, als er vorher war). Vom Helden, dem sie bei der Entführung eines Industriellen hilft, den jener als Andromeda-Monster entlarven will, fordert sie nichts als ein Liebesbekenntnis. Emotional verkümmert, wie er ist, kriegt er das natürlich nicht hin. So muss sie ihn denn verlassen. Dass sie weg ist, scheint er zunächst gar nicht zu merken. Verbissen zieht er sein Wahnsinnsding durch und quält den Entführten – bis sich plötzlich eine Chance ergibt, der geliebten Mutter zu helfen. Wie in „Fabricated City“ kommt erst jetzt, da es um Mama geht, endlich Schwung in den Messias. Er gewinnt sogar Su-ni zurück, wenn auch nur für ein strahlend katastrophales Finale.
Was macht Lanthimos daraus? Entführt wird bei ihm, verrät der Trailer, kein kapitalistisches Alpha-Männchen, sondern eine Frau, die Naturgewalt Emma Stone nämlich, das setzt schon mal einen großen Unterschied. Ist Jesse Plemons, der den Entführer gibt, ein Muttersöhnchen wie sein Urbild in „Save The Green Planet!“? Könnte ja sein, denn: Dass ein Kerl, den seine Mama stets vor den Herausforderungen der Außenwelt bewahrt hat, daraus das Geschick macht, die Gesellschaft zu durchschauen, an der er nicht teilhat, wäre durchaus ein geeigneter Aufhänger für eine Geschichte, die der sozialen Wirklichkeit so lustig schmerzhaft treffenden Spott antut, wie er bei Lanthimos in „The Lobster“ (2015), „The Killing of A Sacred Deer“ (2017), „Kinds of Kindness“ (2024) und eigentlich allen seinen Filmen vorkommt. Nur: Wie passt die Mischung aus törichter Arglosigkeit und Empfindlichkeit, aus Egozentrik, Narrheit und Berufensein, endlich: aus Infantilität und Heroismus, die den südkoreanischen Muttersöhnchen-Nexus trägt, zur rauschhaften Bluthochzeit von Güte und Grausamkeit, die im Zentrum der kritischen Phantastik des Griechen pulsiert? Ein Sphinx-Rätsel, genau richtig für Ödipus (hier dürfen Sie sich zum Schluss die berühmte „Psycho“-Musik dazudenken. Kreisch!).
