
Stand: 14.10.2025 14:22 Uhr
Nach der Rückkehr der letzten noch lebenden Geiseln herrscht in Israel eine ambivalente Stimmung. Die Erleichterung trifft auf Freude und Trauer, aber auch auf Vorwürfe.
Nach den Emotionen gestern, als die letzten noch lebenden Geiseln aus dem Gazastreifen nach Israel zurückkehren konnten, ist heute eine fast schon unnatürliche Ruhe eingekehrt. Das liegt zum einen an dem hohen jüdischen Feiertag, der heute in Israel begangen wird, Simchat Tora. Vor allem aber liegt es daran, dass die Menschen nach den Emotionen schlicht durchatmen, alles sacken lassen können.
Auf dem sogenannten Platz der Geiseln, wo gestern Zehntausende jubelten, sich umarmten und weinten, sind heute Morgen nur wenige Personen zu sehen. Die große Digitaluhr auf dem Platz, die die Stunden, Minuten und Sekunden seit der Terrorattacke der Hamas zählt, läuft unterdessen weiter.
Nicht ohne Grund, meint Ilana Peer aus Tel Aviv, die nachdenklich wirkt. Sie fühle eine immense Freude, sagt sie: „Wer hätte das so vorausgesehen, dass alle lebenden Geiseln freigelassen werden?“ Doch es sei auch traurig, dass bis jetzt nicht alle toten Geiseln zurückgebracht wurden, so Peer. „Hoffentlich ändert sich das, dass alle Geiseln zurückkommen. Auch, um sie zu bestatten.“
„Gefühl, dass Ihr Land Sie verraten hat“
Ihren Sohn Tamir bestatten, das möchte auch Yael Adar, die seit gestern Gewissheit hat, dass Tamir tot ist. Sie kann nicht verstehen, dass die israelische Regierung nicht mehr Druck ausübt, damit alle toten Körper zurückkommen. Bisher wurden erst 4 der 28 Leichname an Israel überstellt. Yael Adar macht der eigenen Regierung schwere Vorwürfe.
„Es ist ein Gefühl des Verrats“, sagt Adar. Tamir sei nicht wichtiger als die anderen, sagt sie, aber sie sei Tamirs Mutter. „Als er in den Kampf für den Staat zog, da wurde der Eindruck vermittelt, Gaza sei ein sicheres Gebiet, und sie waren sicher, dass sie geschützt waren“, so Adar.
Zukunft des Gazastreifens unklar
Im Gazastreifen hält die Waffenruhe weitgehend. Die Menschen können wieder auf die Straßen, ohne Angst haben zu müssen, bombardiert zu werden. Erste Hilfsgüter kommen wieder in den Küstenstreifen. Das UN-Welternährungsprogramm nimmt eigenen Angaben zufolge weitere Bäckereien in Betrieb.
Das könne jedoch nur ein Anfang sein, sagt Antoine Renard, der Direktor des UN-Welternährungsprogrammes für das Palästinensergebiet: „Unser Ziel ist einfach: Wir müssen Gaza so schnell wie möglich mit Nahrungsmitteln überfluten“, so Renard. „Hoffentlich werden wir jeden Tag deutlich mehr Lastwagen für den Transport von Lebensmittelpaketen, Weizenmehl und Nahrungsmitteln einsetzen können.“
Wer den Gazastreifen künftig verwalten soll, ist weiter völlig offen. Einstweilen zeigt die Terrororganisation Hamas wieder Stärke. Dort, wo sich das israelische Militär zurückgezogen hat, sieht man wieder vermehrt uniformierte, vermummte Hamas-Kämpfer. Auf öffentlichen Plätzen richtete die Terrororganisation mehrere Personen hin. Es sollen Kollaborateure gewesen sein, die mit dem israelischen Militär zusammengearbeitet haben.