Sexuelle Belästigung im Internet So können Eltern ihre Kinder schützen
Stand: 11.10.2025 15:14 Uhr
Die Täter geben sich im Internet als Gleichaltrige aus und erschleichen sich das Vertrauen von Kindern – bis es online zu sexuellen Übergriffen kommt. Der Kinderschutzbund gibt Tipps, worauf Eltern achten sollten.
„Schule nervt“, „Keiner mag mich“, schreibt die damals 12-jährige Jessica an jemanden, den sie für einen gleichaltrigen Jungen hält. „Stimmt nicht – ich mag dich“, schreibt ihr Chatpartner zurück. Doch schon schnell änderte sich der Ton. „Dann kam direkt so: Ich zeig dir mal was. Oder willst du mir nicht was zeigen? Da kamen irgendwelche Nacktbilder von Männern“, erzählt Jessica. „Und dann muss man halt schauen, wie man damit klarkommt.“ Sie habe dann sehr schnell geschrieben, dass sie das nicht möchte.
Jessicas Mutter, Gaby Flößer, arbeitet beim Kinderschutzbund – deshalb war die 12-Jährige vorgewarnt. „Jedes vierte Kind unter 18 hat Erfahrungen damit gemacht. Und das ist egal, ob Mädchen oder Junge“, sagt Flößer. Die Zahl kommt aus einer aktuellen Umfrage der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen. Flößer geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus. Es sei kaum vorstellbar, wie groß das Ausmaß wirklich sei.
Vertrauen erschleichen, um Nacktfotos zu bekommen
Ende September wurde ein 32-jähriger Mann aus Münster zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, weil er zwei Mädchen sexuell missbraucht hatte. Auf der Plattform nannte er sich „Sadistic Daddy“ – dort chattete er 2022 mit einem damals elf Jahre alten Mädchen aus Österreich. In den Chats zwang er das Kind, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen. Die Mutter fand die Bilder und alarmierte die Polizei.
Der Angeklagte hatte außerdem eine erwachsene Frau – mutmaßlich aus Vietnam – in einem kostenpflichtigen Videotelefonat dazu aufgefordert, ein Kind im Alter von etwa zehn bis zwölf Jahren sexuell zu missbrauchen. Die Frau tat dies, der Angeklagte filmte das Geschehen.
Beim Cybergrooming sprechen Erwachsene, meist Männer, Kinder und Jugendliche im Internet gezielt an. Sie erschleichen sich ihr Vertrauen, um später Nacktfotos zu bekommen oder sogar reale Treffen zu vereinbaren. Die Eltern bekommen davon oft nichts mit. Die Chatpartner versuchen häufig, die Plattform zu wechseln. Sie wollen unbedingt privat schreiben, zum Beispiel über WhatsApp.
Kinderschutzbund startet Kampagne
Unter dem Motto: „Mach mich nicht an!“ hat der Kinderschutzbund NRW eine Kampagne gegen Cybergrooming gestartet. Dadurch sollen die eigenen Verbände sensibilisiert und Mitarbeitende geschult werden. „Der Kinderschutzbund ist in rund 100 Städten in NRW aktiv. Wenn Fachkräfte informiert sind und Kinder lernen, sich vor Cybergrooming zu schützen, ist das ein großer Erfolg“, sagt Nicole Vergin vom Kinderschutzbund NRW.
Durch Aufklärung, sichere Einstellungen und klare Regeln lasse sich das Risiko verringern, im Internet Opfer sexueller Gewalt zu werden. Eltern spielten dabei eine zentrale Rolle. Entscheidend sei, dass sie sich mit sozialen Medien auskennen und gemeinsam mit ihren Kindern verbindliche Regeln festlegen.
Keine persönlichen Informationen preisgeben
Kriminalhauptkommissarin Yvonne Leven vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen warnt eindringlich davor, im Internet persönliche Informationen preiszugeben. „Weder Namen, Alter, Geschlecht, Fotos, Schule noch Adresse sollten öffentlich geteilt werden“, sagt Leven. „Solche Daten können Täter nutzen, um Kinder anzusprechen und zu missbrauchen.“
Tipps für Eltern
Offen über Online-Themen sprechen: Kinder sollten wissen: Sie dürfen über alles reden, ohne Angst vor Ärger zu haben.
Interesse zeigen: Regelmäßig nachfragen, mit wem das Kind online Kontakt hat, ohne es zu kontrollieren.
Privatsphäre-Einstellungen gemeinsam prüfen: Kindern zeigen, wie man Accounts auf „privat“ stellt und wer Inhalte sehen darf.
Medienkompetenz fördern: Erklären, wie leicht Bilder kopiert, verändert oder weitergeschickt werden können.
Anlaufstellen kennen: z.B. die „Nummer gegen Kummer“ und die Online-Meldestelle ZEBRA.
Ihr Kollege, Kriminalhauptkommissar Eric Dieden, ist seit vielen Jahren an Schulen unterwegs, um Jugendliche über die Gefahren von Cybergrooming aufzuklären. Er rät schon bei der Wahl des Nutzernamens zu besonderer Vorsicht. „Wenn mein Account-Name Gina2012 ist, hat der Täter schon ein klares Bild vor Augen, wer eventuell der Nutzer dieses Accounts sein könnte“, so Dieden.
Wichtig sei auch, dass Eltern aktiv werden. „Vielleicht gibt es die Möglichkeit, einen familiengeführten Account zu haben“, schlägt er vor. „Hier kann ich den Account meines Kindes ein wenig kontrollieren, sehen, was dort passiert oder bestimmte Funktionen sperren, damit Fremde diesen Account gar nicht anschreiben dürfen.“
Mehrere Anlaufstellen
Ein großes Problem sei die Scham vieler Betroffener. Kinder und Jugendliche hielten Missbrauchserfahrungen häufig geheim – aus Angst, ihnen werde das Chatten oder die Nutzung sozialer Netzwerke verboten. Fachleute raten daher, Vertrauen aufzubauen und ihnen deutlich zu machen, dass sie nicht schuld seien.
Unterstützung erhalten Betroffene bei verschiedenen Anlaufstellen. So bietet die „Nummer gegen Kummer“ kostenlose telefonische und Online-Beratung für Kinder und Jugendliche an.
Tipps für Kinder und Jugendliche
Vertraue deinem Bauchgefühl: Wenn sich etwas seltsam, unangenehm oder komisch anfühlt – brich den Kontakt sofort ab.
Screenshots machen und Beweise sichern: Wenn jemand dich bedrängt oder seltsame Dinge schreibt, mach Screenshots. Das hilft bei der Anzeige.
Sprich mit einer Vertrauensperson: Sag es Eltern, Lehrkräften oder einer erwachsenen Person, der du vertraust.
Blockieren und melden: Plattformen wie Instagram, TikTok oder Discord bieten Funktionen zum Blockieren und Melden von Accounts.
Nie zu Treffen überreden lassen: Wenn jemand dich drängt, dich offline zu treffen, sag nein und sprich sofort mit einem Erwachsenen.
Auch die Landesanstalt für Medien NRW hat mit ZEBRA eine Online-Meldestelle für Cybergrooming geschaffen. Dort können verdächtige Kontakte gemeldet und Beweise wie Screenshots hochgeladen werden. Die Hinweise werden anschließend an die Polizei weitergeleitet – ein wichtiger Schritt, um Täter zu überführen und weitere Opfer zu schützen.
Inzwischen begleitet Jessica ihre Mutter ab und zu auf Infoveranstaltungen. Sie möchte Gleichaltrigen von ihren Erfahrungen erzählen und so helfen, dass sie vorbereitet sind, sollten sie im Netz von Cybergrooming betroffen sein.