Stand: 23.12.2025 09:20 Uhr
Die staatlichen Medien hat Ungarns Regierungschef Orban unter Kontrolle – das Internet aber nicht. Und so kann der YouTuber Adam Nagy dort Themen ansprechen, die Orban missfallen. Hunderttausende sehen ihm zu.
Große Scheinwerfer leuchten den hölzernen Schreibtisch aus, an dem ein junger Mann im Norwegerpulli mit Laptop Platz nimmt. Die Kameras zeichnen auf, wie der 33-jährige Ádám Nagy eine Stunde lang mit ruhiger Stimme Ungarns Politik kommentiert – und sich dabei ständig neue Feinde macht. In einem Staat, den Politikwissenschaftler als illiberale Demokratie einstufen, ist Widerspruch unerwünscht.
Nagy ist YouTuber, sein Kanal Jolvanezigy, was übersetzt so viel heißt wie „Passt schon“, hat 250.000 Abonnenten, einige seiner Inhalte gehen viral. Als Nagy den aussichtsreichen Oppositionskandidaten Péter Magyar zum Interview trifft, klicken eine Million Menschen auf das Video. Bei einer Bevölkerungszahl von zehn Millionen beeindruckt diese Zahl, die auch für einen neuen Trend in Ungarn steht.
Staatliche Medien im Griff der Fidesz
Immer mehr Menschen teilen regierungskritische Inhalte im Netz. Der Kanal Partizan beispielsweise hat 600.000 Abonnenten. Oppositionsführer Magyar wählte eben diese Plattform, um als Regierungsinsider wie eine Art Whistleblower über die korrupten Machenschaften der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán auszupacken. Knapp drei Millionen Menschen sahen sich diese Aufnahme bisher an.
Auffällig ist, dass die Opposition und auch Magyar selbst in den staatlichen Medien praktisch nicht vorkommen. Ungarns Medienlandschaft sei mit Orbán Machtantritt 2010 zu Gunsten der rechten Regierungspartei Fidesz komplett umgebaut worden, erklärt Medienwissenschaftlerin Agnes Urban von der Corvinus Universität in Budapest.
Unglücklicherweise hätten internationale Investoren, insbesondere deutsche Unternehmen, ihre ungarischen Anteile an ungarischen Medien an regierungsnahe Firmen verkauft. So habe die Regierungspartei ein riesiges Medienimperium aufbauen können, welches heute praktisch nur noch aus Propagandamedien bestehe, so Urban.
Ehemals seriöse Nachrichtenportale, wie beispielsweise Origo, hätten ihr Profil stark verändert, seien nun ein Sprachrohr des Kremls. Das falle besonders ins Auge, wenn man sich das Layout und die Farben der Seite anschaue: „Das sind die Farben der russischen Fahne. Die Seite ist voll mit prorussischen, antiwestlichen und anti-ukrainischen Artikeln.“
Neue Medienlandschaft verunsichert
Der wachsende Einfluss regierungskritischer YouTuber mache Orbáns Partei Fidesz nervös, erklärt Medienwissenschaftlerin Urban. Die Funktionsträger seien ältere Herren ab 60, die mit der neuen Medienlandschaft nichts anfangen könnten und den Anschluss verpasst hätten.
Im Mai hatte Orbán versucht, mit dem sogenannten Transparenzgesetz gegenzusteuern, das es der Regierung einfacher gemacht hätte, kritische Medien und NGOs aufgrund ausländischer Finanzierung aus dem Verkehr zu ziehen. Letztendlich wurde der Gesetzentwurf, womöglich auch auf Druck der EU, nicht umgesetzt. Beobachter gehen aber davon aus, dass das Paket nur aufgeschoben wurde, mitnichten aufgehoben.
Das Internet sei der einzige Raum, den die Regierung noch nicht kontrolliere, sagt YouTuber Nagy, hier könne man noch frei seine Meinung äußern. Auf seinem Kanal berichtet er über Themen, die der Öffentlichkeit verheimlicht würden, wie der aktuelle Skandal um ein ungarisches Erziehungsheim, in dem der Direktor äußerst brutal auf einen Jungen einprügelte. Die Aufnahmen einer Überwachungskamera gelangten schließlich über einen oppositionellen Politiker an die Öffentlichkeit. Offenbar wusste die Regierung von den Vorfällen im Heim, hielt die Informationen aber zurück.
Nagy fürchtet, Ungarn könne sich in Richtung Belarus oder Russland weiterentwickeln. Vor allem bei der Bevölkerung auf dem Land komme nur noch Orbáns Propaganda an. „Wir treffen zum Beispiel viele Menschen, die Angst vor einem Krieg haben. Sie glauben, dass jeder Krieg will, außer Viktor Orbán. Für Orbán ist es anscheinend in Ordnung, Rentner in Angst und Schrecken zu versetzen, damit sie ihn wählen.“
Interesse vor der Parlamentswahl wächst
Nagy betreibt inzwischen drei YouTube-Kanäle und beschäftigt ein Team von zwölf Leuten. Sie alle können davon leben, verkaufen inzwischen sogar Merchandise-Artikel.
Die Zahl der Menschen, die kritische Inhalte im Netz konsumieren, wächst, besonders jetzt, wenige Monate vor den nächsten Parlamentswahlen. Kürzlich warnte die Organisation Reporter ohne Grenzen vor Schikanen und rechtlichen Drohungen gegenüber unabhängigen Journalisten in Ungarn.
Denn der Wahlkampf ist in vollem Gange. Ministerpräsident Orbán hat mit Magyar erstmals seit vielen Jahren einen ernst zu nehmenden politischen Gegner. Es könnte also knapp werden.









