Regisseure ohne Kinos So verändern Streamingplattformen die Filmindustrie
Stand: 19.12.2025 20:28 Uhr
Netflix könnte Warner Bros. übernehmen und Streaming endgültig zur dominierenden Macht in der Filmbranche machen. Wird das Kino bald nur noch Beiwerk zu Streamingplattformen sein?
Von Caroline O. Jebens, SWR Kultur
Die Nachrichten von der möglichen Übernahme von Warner Bros. Discovery durch die Mediengruppe Paramount Skydance oder den Streaminganbieter Netflix lasen sich Anfang Dezember als weiterer Schritt weg vom Kino, wie wir es kennen: Erst wurde aus dem Old-Hollywood-Studio ein Medienunternehmen, nun könnte es in einem Internetkonzern aufgehen.
Aktuell sieht es danach aus, als könnte der Bieterkampf zugunsten von Netflix ausgehen. Nachdem die Walt Disney Company 2019 das Filmstudio 21st Century Fox übernommen hat und diesen Sommer das Medienunternehmen Skydance das angeschlagene Studio Paramount übernahm, würde Netflix die Rechte für HBO-Serien (u.a. „Game of Thrones“), die Comics von DC und „Harry Potter“ erhalten.
Doch geht es nicht nur darum, geistiges Eigentum zu sichern. Streaminganbieter nehmen immer größeren Einfluss darauf, wie Filme produziert, distribuiert und gesehen werden. Sowohl Netflix als auch Paramount Skydance betonten zwar, aktuelle Warner-Bros.-Produktionen würden auch weiterhin im Kino laufen. Man hält sich aber die Option offen, Filme auch sofort online bereitzustellen. Damit könnte Streaming endgültig das Kino dominieren.
Kino auf dem Rückzug
Die Sorge um das Kino ist keine neue: Als in den 1950er-Jahren das Fernsehen auf dem Vormarsch war, wurde bereits befürchtet, dass die Kinosäle leer blieben. In den 1970er- und 1980er-Jahren wurden prestigeträchtige Studiomarken von internationalen Konzernen aufgekauft. Doch durch die digitale Revolution zur Jahrtausendwende und zuletzt mächtiger werdende Internetkonzerne hat sich der Markt nachhaltig verändert. Geschlossene Kinos während der Pandemie taten ihr Übriges.
Zwar gehen wieder mehr Menschen ins Kino, der Trend ist jedoch weiterhin rückläufig. Laut einer Erhebung der Filmförderungsanstalt sank die Kinobesucherzahl 2024 um zehn Prozent auf 18,9 Millionen. Neue Filme landen schnell auf Plattformen und konkurrieren dort mit Serien, Dokumentationen und Reality-Fernsehen.
Filmemacher setzen auf Streaminganbieter
Streamingplattformen bemühen sich daher um Exklusivrechte für diese Bandbreite. Neben dem Kauf von Franchises werden Filme nun vermehrt auf Festivals akquiriert und selbst produziert. Als Alfonso Cuaróns Schwarzweiß-Drama „Roma“ 2018 für Netflix große Preise einheimste, gab es bereits eine Debatte darüber, ob Filmkunst, die für die Leinwand gedacht ist, nun kampflos LCD-Bildschirmen überlassen werden soll.
Die Fronten zwischen Filmemachern und Streaminganbietern sind dabei längst aufgeweicht. Diesen Herbst zeigte gleich eine ganze Reihe namhafter Filmemacher Netflix-Produktionen: Guillermo del Toro mit „Frankenstein“, Noah Baumbach mit „Jay Kelly“, Katherine Bigelow mit „A House of Dynamite“. Und Edward Berger, der Netflix mit „Im Westen nichts Neues“ großen Oscar-Erfolg bescherte, legte mit „Ballad of a Small Player“ einen neuen starbesetzten Film vor.
Früher dauerte es in der Regel gut drei Monate, bis Filme von der Kinoleinwand ins Fernsehen oder auf DVD wanderten. Nun werden Produktionen von einstigem Leinwandformat nur noch kurz gezeigt – und erscheinen zwei Wochen später schon auf der Plattform. Der Anreiz für einen Kinobesuch ist gering.
Dass sie überhaupt im Kino laufen, hat andere Gründe: Zum einen will man leichter mit Regisseuren ins Geschäft kommen und Kinopremieren abhalten können. Zum anderen lässt sich ein Film später besser für die Plattform vermarkten. Und, am wichtigsten: Filme können nur so für Filmpreise nominiert werden.
Von Arthouse-Streaming zur Kinoleinwand?
Verkommt der Kinovertrieb zum prestigeträchtigen Beiwerk für den Fernseher zu Hause? Nicht ganz. Neben den einschlägigen Plattformen vermarkten sich beispielsweise Criterion, Kanopy und Fandor als Streamingplattformen für Kinoliebhaber.
Der erfolgreichste Anbieter hierzulande ist Mubi. Während der Pandemie schöpfte das britische Unternehmen die Zielgruppe der zu Hause gebliebenen Cineasten ab und ist seitdem stark gewachsen. Der Geschäftsführer betont dabei stets, Mubi sei kein Streamingunternehmen, sondern eine Kuratierungsplattform, die Menschen ermutigen soll, ins Kino zu gehen. Man wirbt mit einem speziellen Abo, mit dem man einmal die Woche kostenlos ins Kino gehen kann.
Wie Netflix und Prime Video akquiriert und produziert Mubi mittlerweile selbst Filme. Diese sollen für zwei Monate im Kino gezeigt werden, bevor sie auf der Plattform zu sehen sind. Paradoxerweise stellten sich Kinoreleases für die Plattform als lukrativ heraus: Der Horrorfilm „The Substance“ spielte weltweit schätzungsweise 82 Millionen US-Dollar an den Kinokassen ein. Ausgerechnet eine Streamingplattform habe den Film zu einem Kinoerfolg gemacht, hielt der Produzent des Films später fest. An dieser Widersprüchlichkeit zeige sich, wie die Branche revolutioniert werden kann.
Ein erfolgreicher Kinostart erhöht nicht nur das Prestige für die eigene Distribution, sondern soll weitere Eigenproduktionen und Festivaleinkäufe finanzieren. Dieses Jahr stellte Mubi mit „The Mastermind“ von Kelly Reichardt seine erste eigene Produktion in Cannes vor.
Was bedeutet das für die Zukunft des Kinos?
Die Hoffnung könnte auf Independent-Produktionen liegen: Nachdem sich eine große Franchise-Müdgkeit ausgebreitet hatte, zogen Independent-Filme dieses Jahr wieder viele Besucher ins Kino. Die fünf wichtigsten Titel spielten gut 430 Millionen US-Dollar weltweit ein. Bei den Oscars 2025 waren sechs von zehn Nominierungen in der wichtigsten Kategorie „Bester Film“ Independent-Produktionen, in den vorigen Jahren waren es je vier.
Eine weitere Tendenz lässt sich in der Statistik der Filmförderanstalt ablesen: Der Umsatz von US-Produktionen in den deutschen Kinos verringerte sich 2024. Europäische und internationale Produktionen legten hingegen mit 36 Prozent stark zu. Streamingplattformen könnten dafür sorgen, dass nationale oder Special-Interest-Produktionen eher realisiert werden. Denn während früher vor allem vorige Einspielergebnisse über einen Zuschlag entschieden, lassen sich nun über Verhaltensdaten Zielgruppen genauer feststellen und Filme für einen speziellen Raum vermarkten.
Auch eine weitere Entwicklung könnte dem Kino in die Karten spielen: Die Wachstumsphase im Streaming stagniert. Durch das überbordende Angebot und Werbepausen ist Streaming zum teuren Bezahlfernsehen geworden. Vielleicht ist man dann doch bereit, wieder mal ein Kinoticket zu kaufen.









