Pläne der Bundesregierung Mehr Familienfreundlichkeit – nur wie?
Stand: 25.10.2025 16:07 Uhr
Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, Familien in den Mittelpunkt zu stellen. So steht es auch im Koalitionsvertrag. Von Mutterschutz bis Elterngeld: Vieles ist geplant – doch bislang wenig beschlossen.
Vor dem Bundestag enthüllte Johanna Röh vor kurzem eine Statue: Eine schwangere Gerechtigkeitsgöttin Justitia mit acht Armen. Sie jongliert mit Baby, Laptop und Kalender – als Symbol für die Last vieler Frauen, besonders selbstständiger wie Röh aus Alfhausen in der Nähe von Osnabrück.
Die 37-jährige Tischlermeisterin und Unternehmerin erlebte 2022 selbst, was das bedeutet: Kein Mutterschutz, dafür „ein Insolvenzrisiko“, sagt sie im Gespräch mit tagesschau.de. Aus diesem „Ohnmachtsgefühl“ startete sie damals eine Petition, gründete mit anderen Betroffenen einen Verein und wurde dessen Vorsitzende.
Ihr Engagement zeigt Wirkung: Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) will Anfang 2026 einen Gesetzentwurf zum Mutterschutz für Selbstständige vorlegen. Gut, meint Röh, dafür hätten sie und viele andere gekämpft. Für Röh selbst würde ein Gesetz aber zu spät kommen: „Ein zweites Kind kann ich mir nicht leisten.“ Sie könnte nicht noch einmal ihren Betrieb „so krass auf Messers Schneide stellen, während ich schon Verantwortung für ein Kind habe“.
Wie ihr geht es vielen Frauen – ob selbstständig oder angestellt. Das Familienministerium betont auf Anfrage: „Angesichts der demografischen Entwicklung ist es wichtig, dass Menschen sich für Familie entscheiden können – wenn sie es wollen – und dabei auf verlässliche Unterstützung zählen können.“
Opposition verlangt konkrete Vorhaben
Im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Regierung steht: „Familien stehen im Mittelpunkt.“ Doch Familienpolitikerin Denise Loop (Grüne) meint: Stand jetzt tue die Regierung „zu wenig“ für werdende Eltern und junge Familien. Prien habe „noch nichts Konkretes“ vorgelegt im Familienbereich, bislang habe sie sich vor allem auf den Bereich Bildung fokussiert. Ist das Familienressort also eine Leerstelle im Kabinett? Darum geht es auch in der neuen Folge des Podcasts Berlin Code aus dem ARD-Hauptstadtstudio.
Jedenfalls ist Priens Fokus kein Zufall: Prien war zuvor Bildungsministerin in Schleswig-Holstein. Seit sie das Bundesfamilienministerin leitet, hat auch ihr Haus einen neuen Zuschnitt: Neben Familien, Senioren, Jugend und Frauen ist jetzt auch die Bildung zu ihr gewandert – zuvor lag Bildung im Forschungsministerium.
Was Prien bereits verlängert hat: Der Bund investiert mit dem Kita-Qualitätsgesetz vier Milliarden Euro. Die Bundesländer können das Geld in den nächsten zwei Jahren nutzen, unter anderem für die Förderung sprachlicher Bildung und für die Sicherung von Fachkräften. Dazu sollen aus dem 500 Milliarden Euro schweren Sondervermögen für Infrastruktur Gelder in Schulen und Kitas fließen – so zumindest der Plan.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Ab 2026 gilt zudem stufenweise – zunächst ab der ersten Klasse – ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen. Saskia Esken von der SPD ist Vorsitzende des Familienausschusses im Bundestag. Sie weiß: Betreuung ist essentiell für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Viel wurde in den vergangenen Jahren ausgebaut, aber es gebe noch viel zu tun, „damit dann auch so was zurückgewiesen werden kann, wie die Einschätzung von Herrn Merz, dass in Deutschland zu wenig gearbeitet wird. Das hat damit zu tun, dass Frauen geringere Stundenzahlen haben, weil es gar nicht anders geht“, so Esken.
Der Blick in Statistiken und Studien zeigt: Fast die Hälfte der berufstätigen Frauen arbeitete 2024 in Teilzeit, bei Männern waren es nur zwölf Prozent. Auch Elternzeit nehmen Männer deutlich seltener: Durchschnittlich lag die voraussichtliche Bezugsdauer bei Männern bei 3,8 Monaten Elterngeld gegenüber 14,8 Monaten bei Müttern, wie eine Statistische Bundesamt mitteilte.
„Pakt für mehr Familienfreundlichkeit“
Das soll sich ändern – ein Modell müsse hierfür aber noch entwickelt werden, meint Esken. Das Ministerium verweist auf erste Abstimmungen. Außerdem habe Prien vor Kurzem einen „gesellschaftlichen Pakt für mehr Familienfreundlichkeit“ angestoßen – damit Frauen ihre Arbeitszeit aufstocken können, mit flexibleren Arbeitsmodellen und verlässlicher Kinderbetreuung. Wie das konkret aussehen soll, bleibt offen.
Unklar ist auch, was Prien mit ihrer Forderung nach einer Weiterentwicklung im Steuersystem von einem Ehegatten- zu einem „Familiensplitting“ meint. Hier heißt es aus ihrem Ministerium: „Erste Abstimmungen sind noch nicht abgeschlossen.“
Der Koalitionspartner SPD kritisiert das bestehende Modell schon lange, es fördere alte Rollenbilder, zum Nachteil von Frauen. Esken aber dämpft Erwartungen in Sachen Änderungen beim Ehegattensplitting: „Progressive Familienpolitiker auch in der Union wissen, dass das notwendig wäre, um da eine Veränderung herbeizuführen. Aber bedauerlicherweise ist nicht die gesamte Union davon zu überzeugen.“
Und: Was ist mit der geplanten Erhöhung des Elterngeldes? Seit Einführung der Familienleistung im Jahr 2007 wurde die Höhe nicht verändert, im Koalitionsvertrag ist das Vorhaben zwar benannt, aber: „All diese Dinge stehen unter Finanzierungsvorbehalt“, so Esken. Das bedeutet: Hat der Staat kein Geld dafür, wird das Vorhaben auch nicht umgesetzt. Angesichts der Haushaltslöcher stehen die Chancen nicht gut.
Kein Vaterschaftsurlaub unter Schwarz-Rot
Sicher nicht umsetzen wird die Regierung den sogenannten Vaterschaftsurlaub, den die Ampel-Regierung angehen wollte, aber scheiterte. Die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie verlangt von jedem Mitgliedsstaat – darunter auch Deutschland – gesetzlich einen zehntägigen, bezahlten Sonderurlaub einzuführen, den jeder Vater oder gleichgestellte zweite Elternteil in Anspruch nehmen darf.
Auf Nachfrage heißt es vom Familienministerium: Die Auszeit „muss Deutschland nicht umsetzen“. Denn: Unter bestimmten Voraussetzungen seien Mitgliedstaaten von dieser Verpflichtung befreit. Das Ministerium bezieht sich hierbei auf die Elternzeit und das Elterngeld.
Vieles hängt am Geld – das weiß auch Tischlermeisterin Johanna Röh. Familien haben keine große Lobby, meint sie. Erst durch den Zusammenschluss vieler Betroffener bewege sich etwas – wie beim Mutterschutz für Selbstständige. Für sie ist klar: „Wir stehen nicht still, bevor wir nicht zufrieden sind.“
Mehr zu diesem Thema hören Sie im Podcast Berlin Code:










