Schuldenbremsen-Reformkommission Auf schwieriger Mission
Stand: 11.09.2025 13:25 Uhr
Heute traf sich eine Expertengruppe zum ersten Mal, die Reformvorschläge für die Schuldenbremse erarbeiten soll. Auf der Kommission ruhen viele Hoffnungen, aber die Positionen der Mitglieder sind weit auseinander.
15 Männer und Frauen sollen in den kommenden Wochen eine Lösung liefern für ein Problem, das die Bundespolitik seit Jahrzehnten beschäftigt: Wie gehen wir um mit den Schulden, wie können wir die Schuldenregel reformieren? Im vierten Stock des Finanzministeriums traf sich die Gruppe heute zum ersten Mal.
Der Bundesfinanzminister war mit dabei. „Wir brauchen eine kluge Modernisierung der Schuldenbremse“, so Lars Klingbeil. Dauerhafte Handlungsspielräume für Investitionen müssten sichergestellt sein und die Schuldenlast begrenzt werden. „Dafür braucht es bessere Rahmenbedingungen als in der Vergangenheit.“
Das Eigeninteresse des Finanzministers dürfte groß sein: In der mittelfristigen Finanzplanung klaffen riesige Löcher, allein von 2027 bis 2029 fehlen mehr als 170 Milliarden Euro. Eine neue Schuldenregel könnte beim Flicken der Löcher helfen – und dabei, die schwarz-rote Koalition zusammenzuhalten.
15 Menschen sollen Vorschläge erarbeiten
In der Kommission sitzen 12 Expertinnen und Experten, darunter Namen wie der wirtschaftsliberale ifo-Präsident Clemens Fuest, die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer oder der eher gewerschaftsnahe Konjunkturforscher Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung.
Den Vorsitz übernehmen SPD-Mann Stephan Weil (Ex-Ministerpräsident von Niedersachsen), CDU-Mann Reinhold Hilbers (Ex-Finanzminister von Niedersachsen) und CSU-Mann Stefan Müller (Ex-Staatssekretär im Bildungsministerium).
Die Mitglieder der Expertenkommission sind:
▪ Stephan Weil, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen a. D. (Vorsitz)
▪ Reinhold Hilbers MdL, Finanzminister des Landes Niedersachsen a. D. (Vorsitz)
▪ Stefan Müller, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung a. D. (Vorsitz)
▪ Prof. Dr. Thiess Büttner, Vorsitzender des unabhängigen Beirats des Stabilitätsrats
▪ Prof. Dr. Désirée I. Christofzik, Lehrstuhl für Finanzwissenschaft, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
▪ Prof. Dr. Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung
▪ Prof Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Präsident ifo Institut
▪ Werner Gatzer, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen a. D.
▪ Prof. Dr. Johannes Hellermann, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der juristischen Fakultät der Universität Bielefeld
▪ Prof. Dr. Hanno Kube, LL. M. (Cornell), Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
▪ Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
▪ Philippa Sigl-Glöckner, Geschäftsführerin des Thinktanks Dezernat Zukunft – Institut für Makrofinanzen
▪ Prof. Isabella Weber, Ph. D., Associate Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der University of Massachusetts Amherst; Vertretung in der Anfangsphase der Kommission durch
▪ Patrick Kaczmarczyk, Ph. D., Postdoctoral Researcher an der Universität Mannheim, Kompetenzzentrum Transformation
▪ Prof. Dr. Ruth Weber, Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
▪ Prof. Volker Wieland, Ph. D., Geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS) an der Goethe Universität Frankfurt
Änderungen der Schuldenbremse im März
Die sogenannte Schuldenbremse im Grundgesetz soll sicherstellen, dass nicht zu viele Schulden gemacht werden. Sie steht in Art. 109 und 115 des Grundgesetzes und begrenzte früher den Spielraum des Bundes zur Schuldenaufnahme auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Höhere Schulden sind im Fall einer schlecht laufenden Konjunktur oder bei Ausnahmesituationen wie einer Naturkatastrophe möglich.
Am 18. März dieses Jahres beschloss der Bundestag aber zwei wesentliche Lockerungen:
- Erstens gab es eine Ausnahme von der Schuldenregel bei Verteidigung und bestimmten sicherheitspolitischen Ausgaben, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigen.
- Zweitens hatten die Bundesländer hatten bisher keinen Verschuldungsspielraum. Sie haben diesen nun bekommen – mit ebenfalls 0,35 Prozent des BIP pro Jahr.
„Bereichsausnahme“ für Verteidigung umstritten
Gerade an der sogenannten Bereichsausnahme bei Verteidigung reiben sich konservative Finanzexperten. Zwar finden sie es richtig, an dieser Stelle die Schuldenregel zu öffnen, um gegen einen Aggressor wie den russischen Präsidenten Wladimir Putin aufrüsten zu können.
Kritisch aber wird gesehen, dass die Bereichsausnahme nicht befristet ist und dass es möglich ist, Ausgaben dorthin verschieben und so zusätzliche Spielräume an anderer Stelle zu schaffen. Ob bei der Bereichsausnahme alles so bleibt wie gehabt, dürfte also ein Diskussionsthema werden.
Andere Experten können sich hingegen vorstellen, die Schuldenbremse beim Thema Investitionen zu lockern und anders zu fassen. Sie wollen damit vorbauen für die Zeit, wenn das milliardenschwere Sondervermögen Infrastruktur aufgebraucht ist. Schwierig ist es an dieser Stelle eine gute Definition zu finden, was als Investition gelten könnte.
Warnung vor künftigen Zinslasten
Schon bei einer Anhörung des Haushaltsausschusses zum Sondervermögen vor einigen Wochen zeigten sich diese Diskussionslinien. Hier tauchten Fragen auf wie: Ist eine neue Brücke, die eine alte Brücke ersetzt, wirklich eine Investition? Könnte diese Annahme womöglich die Politik dazu verleiten, bei der Instandhaltung einer Brücke zu sparen, weil später eine neue Brücke über Schulden gebaut werden kann? Müsste man dann Instandhaltung als Investition definieren?
Was abstrakt klingt, kann schnell alle Menschen im Land berühren, wenn die Schuldenregel die Politik zu Sparmaßnahmen zwingt. Ein Druck, den viele in der Union auch richtig finden. „Die Schuldenbremse ist bereits massiv gelockert. Mittelfristig müssen wir wieder lernen mit dem Geld auszukommen, das wir erwirtschaften“, argumentiert Mathias Middelberg, der Vize-Fraktionsvorsitzende der Union. „Sonst werden uns die Zinslasten für immer mehr Schulden irgendwann erdrücken.“
In der SPD sehen das viele anders. Solide Finanzen schön und gut, wichtiger aber ist ihnen ein funktionierender Sozialstaat und die Möglichkeit, die Infrastruktur zu erhalten. Tropfende Decken in Klassenzimmern und geschlossene Schwimmbäder sorgen dieser Ansicht nach nur für frustrierende Bürger, die an der Funktionsfähigkeit der Demokratie zweifeln – und das sei eine schlimmere Hypothek als Schulden.
Schwierige Mission mit ambitioniertem Zeitplan
Schon die Positionen von SPD und Union sind schwer vereinbaren. Doch bei einer Reform der Schuldenbremse braucht es eine Zweidrittel-Mehrheit, da das Grundgesetz geändert werden muss. Die Stimmen von Union und SPD reichen also nicht. Auf die AfD werden die Regierungsparteien nicht zugehen, es müssten also sowohl die Linken als auch die Grünen mit an Bord sein.
Die fordern eine grundlegende Reform. „Bislang ist die Flickschusterei an Textbausteinen dem Grundgesetz nicht würdig“, so Andreas Audretsch, Vize-Fraktionsvorsitzender der Grünen. „Auch um bei der Sanierung von Infrastruktur, etwa bei der Bahn, sinnvoll planen zu können, muss klar sein, wie die Regelungen langfristig sein werden.“
Die Expertinnen und Experten der Kommission sollen Vorschläge diskutieren und erarbeiten. Und das möglichst zeitnah, denn laut Koalitionsvertrag will Schwarz-Rot „die Gesetzgebung bis Ende 2025 abschließen“. Ein ambitionierter Zeitplan für ein fast unmögliche Mission: eine Lösung zu finden, auf die sich alle einigen können. Im vierten Stock des Finanzministeriums hat die Suche nun begonnen.