Klimaneutralität bis 2045? Bauen für die Zukunft
Stand: 12.11.2025 14:45 Uhr
Bauen wird in Deutschland gerade immer kreativer – vor allem wegen der Vorgaben zum Klimaschutz. Schließlich soll die Bundesrepublik bis 2045 klimaneutral sein. Ein Netzwerk aus Hessen zeigt, wie es geht.
Baukräne, viel Beton, 13.000 Quadratmeter Fläche. Architekt Markus Plöcker steht im hessischen Eschborn vor einem Bürogebäude aus den 1980er-Jahren, das seit Langem leer steht.
„Früher hätte man so ein Haus abgerissen und den gebundenen CO2-Wert weggeschmissen. Heute sieht man, dass so ein Rohbau noch Potenzial hat“, sagt er. Aus dem leer stehenden Bürogebäude werden 200 Mietswohnungen. Denn Beton ist langlebig – ein solcher Rohbau kann mehr als 100 Jahre halten.
CO2 sparen durch Umbau
Plöckers Ziel ist es, die Emissionen beim Bauen zu reduzieren. Mit seinem Team sucht er Bestandsgebäude, um sie neu zu nutzen. Das spart CO2 ein: 2.000 Tonnen schätzt er, dank Umbau statt Neubau in Eschborn. Unterm Strich heißt das: weniger Einsatz von Beton, keine neuen Flächenversiegelungen, weniger Bauschutt. Laut Bundesumweltamt machen Bauabfälle etwa 60 Prozent des gesamten deutschen Mülls aus.
Graue Energie – warum ist Beton so klimaschädlich?
Ein großer Bestandteil von Beton ist Zement. Um den herzustellen, werden vor allem Kalk, Ton und Sand auf mehr als 1.400 Grad erhitzt. Die Treibhausgase entstehen durch das Verbrennen von Kalkstein, das CO2 freisetzt; außerdem durch die fossile Energie, die zum Erhitzen der Öfen verwendet wird. Die Zementbranche ist für schätzungsweise acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.
Mehr Klimaschutz oder mehr Wohnungen?
Der Gebäudesektor, also Bauen und Wohnen, ist mit dem Verkehrssektor der Bereich, in dem Deutschland seine Klimaziele deutlich verfehlt. Weltweit sind Gebäude für einen großen Teil der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich: etwa 40 Prozent.
Die Bundesregierung steht in dieser Hinsicht vor einer zentralen Frage: Was ist dringender, mehr Wohnungen oder mehr Klimaschutz? Eigentlich will Deutschland beides. Eine Antwort auf die Frage ist der „Bau-Turbo“ der Bundesregierung. Mit dem neuen Gesetz sollen mehr und vor allem schneller Wohnungen gebaut werden. Um nachhaltiger zu bauen, fördert die Bundesregierung nun Projekte, die „Urban Mining“ erforschen – also das lokale Wiederverwenden von Bauteilen.
Neues Netzwerk aus Offenbach
Klimaziele und mehr Wohnungen schließen sich nicht aus. Im Gegenteil: Architekt Plöcker und seine Firma haben sich deshalb einem neuen Netzwerk angeschlossen, dem Circle Hub in Offenbach. Knapp 70 Firmen arbeiten hier zusammen, um Baustoffe wiederzuverwerten oder zu recyclen.
Es geht also um Kreislaufwirtschaft, dem Gegenteil von Wegwerfwirtschaft. Georg Schiller vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) erforscht die praktische Umsetzung von Kreislaufwirtschaft in der Baubranche. „Es gibt schon eine Tendenz: Die Architekten wollen gerade mit alten Gebäuden kreativ werden.“ Besonders Beton werde in den nächsten Jahren großes Potenzial zeigen. „Beton eignet sich hervorragend für Recycling.“
Bauen in Deutschland wird immer kreativer
Beim Circle Hub spielt Wettbewerb eine große Rolle. Hier treffen Architekten, Anwälte für Umweltrecht, Wissenschaftler und Bauunternehmen aufeinander. Genau das ist gewollt: Konkurrenten sollen sich untereinander vernetzen. Denn nur so entstehe ein Markt für nachhaltiges Bauen, so Daniel Imhäuser, Begründer des Circle Hubs, „damit Kreislaufwirtschaft innovativ und Bauen am Ende so günstig wie möglich ist“.
Langfristig spare auch das Nachdenken über Transportwege CO2: „Für Ballungsräume ist es besonders spannend, sich optimal zu organisieren, weil Rohstoffe oft aus weiten Entfernungen transportiert werden müssen.“
Eine Idee, die im Circle Hub heraussticht, ist die des Tübinger Unternehmens Optocycle: eine Kamera, die Bauschutt in Echtzeit scannt und für Abnehmer kategorisiert, mithilfe von KI. So können Abnehmer live sehen, wie viel Beton, Metall, Holz etc. im Bauschutt enthalten ist.
„Da muss Deutschland perspektivisch auch hinkommen“
Damit Kreislaufwirtschaft funktioniert, ist jetzt die gesamte Baubranche gefragt. Schotter aus dem Straßenbau könne besser wiederverwendet werden, so Georg Schiller vom IÖW. Nachhaltige Baustoffe wie Lehm oder klimaneutraler Zement seien ein weiterer Schlüssel. „Und dann erst kommt das Recycling.“ Und nicht zuletzt sollten Gebäude eine möglichst lange Lebensdauer haben – auch wenn das kurzfristig weniger Aufträge bedeute.
Das sieht auch Daniel Imhäuser vom Circle Hub so. Er ist überzeugt, dass der Druck, innovativer zu bauen, in Deutschland steigen wird. Nicht nur wegen der Klimaziele: auch, weil die Nachfrage nach Beton weltweit deutlich höher ist als seine Bestände in der Natur.
In den Niederlanden werden die Rohstoffe für Beton schon seit Jahren knapper. „Hier gab es schon in der Vergangenheit einen höheren Innovationsdruck als in Deutschland. Und was dort heute schon möglich ist, da muss Deutschland perspektivisch auch hinkommen.“ Das habe auch die Politik mittlerweile verstanden.
„Wir sind auf dem richtigen Weg“
Länder, Kommunen und der Bund gehören zu den größten Auftraggebern im Gebäudesektor. Sie können also maßgeblich mitbestimmen, wie nachhaltig in Deutschland zukünftig gebaut wird. Der Fall Eschborn zeigt: Effizienter Wohnraum ist klimagerecht und bezahlbar. Aber schafft Deutschland bis 2045 Klimaneutralität beim Bauen? „Wir brauchen vielleicht etwas länger – aber wir sind auf dem richtigen Weg zum Ziel Klimaneutralität“, sagt Architekt Markus Plöcker.










